Jürgen Klopp. Elmar Neveling

Jürgen Klopp - Elmar Neveling


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Plastiktische. Da sitzt eine Hand voll Männer aus Glatten, Neuneck und Böffingen, rauchen, und schweigen sich in den Feierabend hinein. Die zwei Linden vor der »Linde« sind keine Linden, sondern Eichen. Mir wäre das nicht aufgefallen.

      Wenn ich nach Hause komme, sind zwei Lieder in meinem Kopf. Akustikgitarre und die zerknitterten Stimmen von Neil Young, der »Sugar Mountain« singt, und Bruce Springsteen, der von einem »Mansion On The Hill« erzählt. Es gehen so viele Gefühle in mir herum, dass ich sie nicht alle aufschreiben kann. Ich hab genug damit zu tun, sie auszuhalten. Ich kriege die Risse in meine Leben nicht zu, indem ich drauf zeige, was aus mir geworden ist. Wenn der eine Bücher schreibt, die keiner liest, schiebt ihn das weiter von dem weg, was mal sein zu Hause war, und wenn der andere Deutscher Meister im Fußball wird, auch. Der Deutsche Meister wird auch Heimweh haben.

      Das Hotel Schwanen steht in der Ortsmitte von Glatten. Von da bin ich den Berg hochgegangen. Es geht immer den Berg hoch, denn Glatten liegt für ein Dorf im Nord-Schwarzwald mit 530 Metern nicht hoch. Deshalb brauchen die Kinder, die in die weiterführende Schule nach Dornstetten oder gar Freudenstadt gehen, ein Rad, mindestens, oder besser ein Mofa, oder den Bus. Auch wenn sie ins Kino wollen, das geht nur in Freudenstadt, oder in die Disko, etwa das »Barbarina« in Freudenstadt, oder den »Scotch Club«, oder das »Juz«, das Jugendzentrum in Dornstetten, oder die »Ranch« in Neuneck. Bis auf einen versichern alle einheimischen männlichen Anwesenden am Tisch in der »Linde« sofort hoch und heilig, nie dort gewesen zu sein. Gerhard Triks Beschreibung dessen, was auf der »Ranch« abging, beschränkt sich auf einen entzückten Gesichtsausdruck, »ooh, ooh« und das Heben und Senken der Hände, begleitet von weiteren »ooh, oohs«.

       Glatten, der Ursprung

      Das Wasser ist der Grund, aus dem es Glatten gibt, und sicherte sein Überleben. »Glatt« stammt vom Althochdeutschen »glat« beziehungsweise »glad« ab, und heißt so viel wie »klar, glänzend, rein«. Die Glatt entsteht in Aach, einem Stadtteil von Dornstetten, aus Ettenbach, Stockerbach und Kübelbach, und fließt erst nach Süden, dann nach Osten, und mündet nach 37 Kilometern bei Neckarhausen in den Neckar. An der Glatt siedelten sich Getreide- und Sägemühlen an, Gerbereien und Brauereien, Flößereien, Waldbau, der ohne Wasser die geschlagenen Bäume nicht hätte transportieren können, und alles, was sonst irgendwie mit Wasser zu tun hat. Das rot-silberne Wappen der Gemeinde zeigt ein vierspeichiges Mühlrad mit zwölf Schaufeln.

       Der Latschariplatz

      Die Einwohner von Glatten, die sich selbst »Glattemer« nennen, sagen zur Ortsmitte »Latschariplatz«. Latschari ist alemannisch und bezeichnet das, was in Norddeutschland »Puschen« sind. Hier stand, gegenüber dem »Schwanen«, die Brauerei Reich. Die gehörte der Familie von Jürgen Klopps Mutter Liesbeth, die den Kürschner Norbert Klopp heiratete, der aus Dornhan nach Glatten gekommen war. »Z’Glatten«, wie man hier sagt. Er arbeitete dann für die Firma »Fischer-Dübel« in Tumlingen. Artur Fischer, Jahrgang 1919, der 1958 den Dübel aus Polyamid erfand, ist in Tumlingen geboren. Über Norbert Klopp sagen die, die ihn kannten, dass er ein eleganter Mann war, gewandt, ein guter Verkäufer, selbstbewusst, der auch Kindern mit Respekt begegnete, was dem kleinen Jens Haas schwer imponierte, weil das in den siebziger Jahren nicht üblich war.

      Da steht ein Brunnen am Latschariplatz, über dem Bürgenbach. Hier treffen sich die Jugendlichen, kauen Kaugummi, die Jungens spucken Lachen auf den Boden, rauchen, und schmeißen ihre Kippen in den Bach, in dem Forellen stehen. Auch ihr Plastikbesteck, das eventuell aus dem Döner-Imbiss kommt, den es nun auch in Glatten gibt, und wenn sie ganz übermütig sind, die Jugendlichen, ihre Bierflaschen. Das ist dann Punk. Hier am Brunnen, treffen sich die Kreisliga-A-Fußballer des SV Glatten, wenn sie auswärts spielen. Auch die Spieler der Nachwuchsmannschaften halten das so. Der Brunnen, das ist der Platz in Glatten!

      Da ist die Bäckerei Trik, die immer hier war, und in der Gerhard Trik 25 Jahre lang aushalf. Immer samstags. Gerhards Bruder, der inzwischen auch schon 62 ist und seinen Bruder mit einem kurzen, freundlichen Brummen grüßt, hat die Bäckerei übernommen. Die letzte eigenständige, in der noch gebacken wird – alle anderen Bäcker im Ort: Kette. Mechanikermeister Gerhard Trik wurde Platzwart des SV Glatten und betreibt das Vereinsheim. Er will in diesem Text nicht vorkommen, also entschuldige ich mich hier bei ihm: Lieber Gerhard Trik – es geht ums Verrecken nicht anders.

       Gerhard Trik bricht sich den Fuß

      Es muss ein Samstag im Jahr 1974 gewesen sein, »legen Sie mich nicht fest«, bittet Trik, als die vom SV Glatten Samstag morgens um Acht in der Backstube beim »Aushilfsbäcker« Gerhard Trik vorsprechen, weil sie wissen, dass der am Samstag um diese Zeit schafft, und ihn bitten, als Aushilfsfahrer für eine Fahrt nach Kirn einzuspringen. Der vorgesehene Fahrer war ausgefallen. Die A-Jugend soll dort spielen. In Kirn, in der Pfalz. Der Trik, der lässt sich breitschlagen, und setzt sich hinters Steuer. Die Leute helfen sich gegenseitig, so ist das auf dem Dorf. Der Norbert Klopp und sein etwa siebenjähriger Sohn Jürgen sind auch dabei, weil der Vater doch aus Kirn stammt. Der Vater spielt gut Tennis, ist auch kein schlechter Fußballer, Torwart, bei den Turn- und Sportfreunden Dornhan in der zweiten Amateurliga, Probetraining beim 1. FC Kaiserslautern, beim SV Glatten, wenn es eng wurde, Mittelfeldspieler – und ehrgeizig. Auch was seinen Bub anbelangt. Gerade bei dem.

      Wir sind nun in Kirn. Die A-Jugend kickt und der kleine Klopp, der schiebt dem Trik einen Ball zu, und der Trik, nicht faul, schiebt ihn zurück. Das geht so hin und her. Vater Klopp guckt bei der A-Jugend zu. Und dann rutscht der Trik aus, wahrscheinlich war der Rasen nass, sagt er, und – bautz, haut es ihn längs hin. Und auch der Knöchel ist hin. In Kirn, in der Pfalz. »Hol’ Hilfe«, sagt der Trik, der am Boden liegt und nicht mehr aufstehen kann, zum kleinen Klopp, und der wetzt los. Und schon kommt der Sani mit der Trage und der Trik in Kirn ins Krankenhaus. Heute humpelt er, hat Arthrose im Knöchel, und deshalb tut ihm die Hüfte weh. Fehlbelastung. Jetzt überlegt er, was er machen soll. Operation? »Au«, sagt Gerhard Trik, und zieht die Luft zwischen den Zähnen in seinen Mund. Schon das Wort: furchtbar. Er war bislang nur ein Mal in seinem Leben im Krankenhaus. In Kirn, in der Pfalz. Er findet, das reicht.

      Habe ich gesagt, dass er nicht in diesem Text vorkommen will? Der Gerhard Trik? Habe ich? Er will sich nämlich nicht in den Vordergrund schieben. Er sagt nicht, dass sich andere in Glatten mit Jürgen Klopp in den Vordergrund schieben. Das würde er nie sagen, weil er sich damit ja doch in den Vordergrund schieben und über andere richten würde. Das will er auf keinen Fall. Und nicht vorkommen. Nun kommt es anders.

       Astrid Wissingers Klassenfoto

      Gerhard Trik ist nicht aus Glatten weggegangen. Jeder, der geblieben ist, hat darüber nachgedacht, was für Glatten spricht, und was dagegen. Die, die gegangen sind, haben sich das Gleiche gefragt, und anders entschieden getroffen. Der Haas sagt: »Für mich ist das der richtige Ort.«

      Astrid Wissinger hat ein Foto, gerahmt, mit in die »Linde« gebracht. Die vierte Grundschulklasse, Jahrgang 1966/67, alle sind so zehn, elf Jahre alt. Das Foto bedeutet ihr was. Man erkennt nicht, wer die Lehrerin ist, wie hieß die nochmal, die immer schön »Jim Knopf und die Wilde 13« vorgelesen hat, so jung sieht die Lehrerin aus, und wer Astrid ist, erkennt man auch nicht. Alle haben schöne Pullover an und machen einen sehr braven Eindruck. Wie sie so unbeweglich auf dem Foto stehen. Den Klopp, den damals jeder »Klopple« ruft, kennt man sofort. Astrid Wissinger hat alle Namen parat und weiß, was aus ihnen geworden ist. Zwei haben geheiratet, also, nicht direkt in der Klasse, aber Parallelklasse.

      In der ersten Grundschulklasse waren sie 45 Kinder. »Das ging nur, weil wir alle gerne in die Schule gegangen sind und weil der Druck nicht so groß war wie heute«, sagt Astrid Wissinger, die es wissen muss, weil sie ein Kind im schulpflichtigen Alter hat. In der Grundschule Glatten gab es Lehrer, die geschlagen haben, »so mit der Handkante«, sagt Wissinger, und als sie es demonstriert, macht ihre


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