Lebendige Seelsorge 4/2019. Verlag Echter

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und vor allem den Islam als Quelle für Konflikte, Kriege und Gewalt betrachten. Eine solche Wahrnehmung ist in einer Zeit, in der Extremisten weltweit den Namen Gottes für ihre Schandtaten missbrauchen und angesichts andauernder weltweiter terroristischer Gräueltaten, durchaus nachvollziehbar. Zugespitzt wird zuweilen gefragt, ob es nicht besser um den Frieden bestellt wäre, wenn es keine Religionen gäbe.

      Hinzu kommt, dass die gesellschaftlich verbreitete Islamfeindschaft selbst zur Ursache weiterer Probleme wird: Pauschalisierungen und Rassismus führen dazu, dass bestimmte Gruppierungen unseres Landes „den Islam“ vor allem als eine Bedrohung des „christlichen Abendlandes“ sehen und neue Abgrenzungsmechanismen befördern. Die Angst vor dem Islam in Europa ist hierbei keine Erfindung rechtspolitischer Bewegungen, sondern bestimmte die abendländische Islam-Wahrnehmung seit dem Mittelalter. Tief verankerte stereotype Bedrohungsszenarien können so in neuer Instrumentalisierung und leitkultureller Inszenierung wirksam werden. Doch auch schon in den hoch aufgeladenen Symboldebatten um Kopftuch und Kreuz spiegelt sich eine jahrhundertealte Konfliktgeschichte.

      Katalysierend wirkt, dass die gesellschaftliche Debatte seit 2015 verstärkt von der so genannten Flüchtlingsdebatte mitbestimmt wird. Überaus problematisch ist, dass der muslimische Glaube seither in oft unzulässiger Verkürzung nur mehr wieder als Teil der aktuellen In-

      tegrationsdebatte wahrgenommen und bewertet wird. Wie sehr schließlich der Themenkomplex „Religion, Migration und Integration“ in Deutschland zum Zentralthema des Selbstverständnisses und der Artikulation gesellschaftlicher Problemlagen wurde, hat die letzte Bundestagswahl deutlich gemacht.

      ENTWICKLUNGEN IM CHRISTLICH-MUSLIMISCHEN DIALOG IN DEUTSCHLAND

      Das christlich-muslimische Gespräch hat in besonderer Weise mit diesen Anfragen zu tun. Für dieses kann die „Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen (Nostra Aetate) des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) zu Recht bis heute als das katholische Grundsatzdokument gelten. Mit dem sich verdichtenden theologischen Interesse für den Islam kehren die seinerzeit vom Konzil offengehaltenen Fragen wieder.

      Gewiss wurde die positive interreligiöse Öffnung des Konzils in den nachfolgenden Pontifikaten bestärkt und jeweils konturiert, so zuletzt im Februar 2019 durch die bemerkenswerte Unterzeichnung des gemeinsamen Dokuments „Über die Geschwisterlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt“ von Papst Franziskus und Großiman al-Tayyeb in Abu Dhabi. Doch ist bis heute von einer über die Aussagen des Konzils hinausgehenden „Islamtheologie“ der katholischen Kirche leider kaum zu reden. Jedoch hat sich auch im kirchlichen wie theologischen Kontext im deutschen Kontext vieles weiterentwickelt. Hierzu wiederum nur wenige Schlaglichter auf den deutschen Kontext.

      - Ein Spiegelbild dieses wachsenden Interesses an Informationen über den Islam im kirchlichen Bereich ist beispielsweise die Entwicklung der Christlich-Islamischen Begegnungs- und Dokumentationsstelle e. V. (CIBEDO) in Frankfurt-Sankt Georgen. Sie wurde 1978 als Einrichtung der Afrikamissionare gegründet und erledigt seit 1998 ihre Aufgaben im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz.

      - Seit inzwischen 15 Jahren liefert auch das bundesweite Theologische Forum Christentum-Islam wichtige Anstöße für die interreligiöse Debatte, zu dem jährlich etwa 130 Wissenschaftler/innen der religionsbezogenen Fächer in Stuttgart zusammentreffen. Ein ebenso wichtiger wie produktiver Impulsgeber für das Debattenfeld ist zudem das Zentrum für Komparative Theologie in Paderborn.

      - Zur Ausdifferenzierung der Diskurse im Feld der christlich-muslimischen Beziehungen trug wesentlich die Etablierung von fünf Instituten für islamische Theologie (Tübingen, Münster, Osnabrück, Erlangen und Frankfurt a. M.) im Jahr 2011 bei. Hinzu kommt das 2018 an der Berliner Humboldt-Universität gegründete Institut. Die Ausdifferenzierung vollzieht sich einerseits durch die Ausbildung islamischer Religionslehrerinnen und -lehrer und die Einführung dieses Unterrichtsfaches, andererseits durch die Weiterentwicklung des fachwissenschaftlichen Diskurses über Graduiertenschulen, Forschungsprojekte, Konferenzen und Publikationen. Eine immense Weiterentwicklung des Themengebietes im deutsch-sprachigen Raum ist in vollem Gang.

      - Zahlreiche Fort- und Weiterbildungen zum Thema „Islam“ für Religionslehrer/innen, pastorale Mitarbeiter/innen und Priester sind im kirchlichen Bereich etabliert und stellen einen wachsenden Sektor dar.

      - In der Dialogpraxis stellt aktuell die überaus angespannte politische Situation innerhalb der großen türkischstämmigen muslimischen Gemeinschaft ein Problem dar. Diese hat auch in religiösen Angelegenheiten zu starken Lagerbildungen geführt, die besorgniserregend sind. Die politischen Spannungen sind vor allem zwischen den Moscheen der DITIB und den Einrichtungen der Hizmet-Bewegung auszumachen, allerdings finden sich wenige vermittelnde muslimische Einrichtungen. Da vor allem die DITIB als langjähriger verlässlicher Partner in vielen lokalen Dialogprojekten involviert ist, stehen diese nun vielerorts auf dem Prüfstein. Mit welchem der Lager soll in der interreligiösen Zusammenarbeit kooperiert werden und was ist zu tun, wenn lange gewachsene interreligiöse Beziehungen oder gar persönliche Freundschaften unter den veränderten politischen Bedingungen fragwürdig oder zerbrechen werden?

      - Die Hochschule Sankt Georgen bietet Hörerinnen und Hörern als Zusatzstudiengang eine Einführung in den Islam im Hinblick auf die christlich-muslimische Begegnung an. Dieser vermittelt islamwissenschaftliche Grundkenntnisse, die in dem alltäglichen und beruflichen Zusammentreffen mit Musliminnen und Muslimen hilfreich sein können und bietet darüber hinaus einen Überblick über die Geschichte und Gegenwart der christlich-islamischen Beziehungen.

      - Dass es um den christlich-muslimischen Dialog in der Praxis hierzulande am Ende gut bestellt ist, zeigt hingegen die immer stärkere Etablierung einer „Iftar-Tradition“ im Fastenmonat Ramadan, in Brandenburg wie bundesweit. War das allabendliche Fastenbrechen in früherer Zeit eine „rein“ muslimische Angelegenheit, so verändert sich dies: Nicht nur Musliminnen und Muslime laden zunehmend in ihren Kontexten dazu ein, auch öffentliche oder kirchliche Einrichtungen etablieren hier eine für Deutschland neue religiöse Praxis, die sich als sehr bereichernd erweist.

      KEINE ALTERNATIVE ZUM DIALOG

      Abschließend kann angesichts der spannungswie verheißungsvollen Dynamiken im Feld der christlich-muslimischen Beziehungen einmal mehr postuliert werden: Es gibt keine Alternative zum Dialog der Religionen untereinander und keine Alternative zum Dialog der Religionsgemeinschaften mit der Gesamtgesellschaft. Nur durch ihn können notwendige Korrekturen und Differenzierungen vorgetragen und geleistet werden. Insbesondere der christlich-muslimische Dialog in all seinen Facetten ist in diesen Tagen eine der vordringlichen Aufgaben der christlichen Kirchen und Moscheegemeinden und er ist zugleich politischer denn je.

       LITERATUR

      Alhambra-Gesellschaft: https://alhambra-gesellschaft.de.

      Al-Mustafa Institut: www.al-mustafa.de.

      Die Fachstelle der Deutschen Bischofkonferenz CIBEDO (Christlich-Islamische Begegnungs -und Dokumentationsstelle e. V.) bietet unter http://cibedo.de/ ein sehr gutes Informationsportal.

      Deutsche Islamkonferenz/BAMF, Studie „Muslimisches Leben in Deutschland“, 2008 (MLD 2008), Volltext unter: www.bamf.de/SharedDocs/Projekte/DE/DasBAMF/Forschung/Integration/muslimisches-leben-in-deutschland-2008.html (Eine Folgestudie wurde in diesem Jahr begonnen und soll 2021 vorgelegt werden. Die im Projekt „Muslimisches Leben in Deutschland 2016“ (MLD 2016) erarbeiteten Ergebnisse fokussieren die Bedarfe im Bereich einer muslimischen Wohlfahrtspflege in den Bereichen vorschulische Kinderbetreuung und Altenpflege).

      Deutsche Islam-Akademie: www.deutsche-islam-akademie.de.

      Koordinationsrat der Muslime: Скачать книгу