Vier Bilder von Jesus. Boris Repschinski

Vier Bilder von Jesus - Boris Repschinski


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      Zur Geschichte der Bibelwissenschaften finden sich Hinweise in vielen Einleitungen. Empfehlenswert sind: Udo Schnelle: Einleitung in das Neue Testament (6. Auflage, Tübingen 2007); Martin Ebner – Stefan Schreiber (Hg.): Einleitung in das Neue Testament (2. Auflage, Stuttgart 2008).

      Zur Umwelt des frühen Christentums bietet Kurt Erlemann, Neues Testament und Antike Kultur. Gesamtausgabe in fünf Bänden (Neukirchen 2011) eine gute Einführung in die verschiedensten Aspekte. Eine kurze Darstellung findet sich bei Udo Schnelle: Die ersten 100 Jahre des Christentums (Tübingen 2015). Kapitel 3 (S. 29–94) bietet eine gute Einführung in die Umwelt des frühen Christentums. Dazu passt eine Auswahl von antiken Texten in deutscher Übersetzung:Jens Schröter – Jürgen Zangenberg (Hg.): Texte zur Umwelt des Neuen Testaments (Tübingen 2013).

       Kapitel 1: Von Jesus zum Text – und zurück

      Jesus verbrachte die meiste Zeit seines Lebens im nördlichen Palästina, in einer Region namens Galiläa. Auch sein öffentliches Wirken dürfte auf Galiläa konzentriert gewesen sein. Er sammelte Freunde und Gefährten um sich, die ebenfalls aus dieser Region stammten. Die Gegend war hauptsächlich jüdisch geprägt, doch gab es auch eine heidnisch geprägte Präsenz. Sepphoris im Unterland von Galiläa wurde von Herodes Antipas, dem Herrscher von Galiläa und Peräa, zu seiner Hauptstadt ausgebaut und erhielt unter anderem ein großes Theater. Antipas gründete um 20 n. Chr. Tiberias am Westufer des Sees Gennesaret, um Sepphoris als Hauptstadt zu ersetzen. Tiberias galt den Juden als unrein, weil es über einem alten Friedhof errichtet war. Es wurde daher vornehmlich mit Heiden besiedelt.

      Die Evangelien schildern Jesus als jüdischen Wanderprediger in dieser Gegend. Eine Tätigkeit in Tiberias wird allerdings nicht erwähnt, ebenso wenig ein Aufenthalt in Sepphoris. Das Markusevangelium berichtet von Reisen in die benachbarte Dekapolis und an das angrenzende Syrien, das Matthäusevangelium nimmt Teile davon auf. Das Lukasevangelium erwähnt einen längeren Aufenthalt in Samarien. Lediglich das Johannesevangelium berichtet von mehrfachen Reisen nach Jerusalem.

      In all diesen Gegenden hat Jesus höchstwahrscheinlich seine Muttersprache Aramäisch gesprochen. Trotzdem gibt es eine Generation später auf Griechisch verfasste Evangelien. Die historisch interessante Frage dabei ist: Wie kommt es dazu, und warum dauert es an die 40 Jahre, bevor überhaupt Texte erscheinen, die uns heute überliefert sind? Was ist in der Zwischenzeit passiert?

      Die moderne Forschung teilt die Geschichte der Entstehung der Evangelien in drei Phasen ein. Während die Einteilung selbst eher wenig umstritten ist, wird heute häufig darüber diskutiert, was in den einzelnen Phasen eigentlich passiert ist und wie man sich die Entstehung der Evangelien denken sollte.

      Die drei Phasen der Entstehung der Evangelien sind eine moderne Hypothese, die zu erklären versucht, wie es zu den Evangelien gekommen ist, warum sie geschrieben wurden und warum sie teilweise unterschiedliche und teilweise gemeinsame Materialien enthalten. Im 19. Jh. und im ersten Teil des 20. Jh.s wurde diese Theorie von protestantischen Neutestamentlern entwickelt, die sich mit der Frage nach dem „Sitz im Leben“ der verschiedenen Texte auseinandersetzten. Eminentes Beispiel ist Rudolf Bultmanns 1921 erschienene „Geschichte der synoptischen Tradition“, noch immer ein Standardwerk zur neutestamentlichen Formgeschichte. In einer Instruktion der Päpstlichen Bibelkommission von 1964 über die historische Wahrheit der Evangelien wird dieses Modell herangezogen, um zu erklären, dass die Evangelien zwar historische Fakten enthalten, aber nicht als Ganzes historische Wahrheit sein können. Das Zweite Vatikanische Konzil nimmt dieses Modell in der dogmatischen Konstitution „Dei Verbum“ wieder auf.

      Während seines Lebens wirkte Jesus Wunder, tat Außergewöhnliches, predigte die Herrschaft Gottes. Unter den vielen Menschen, denen er begegnete, wählte er ihm besonders nahestehende Jünger. Ihre Erinnerungen wie auch die Berichte von anderen Augenzeugen formen später das Rohmaterial für die Jesus-Traditionen. Diese Erinnerungen waren selektiv und wurden im Laufe der Zeit sicher auch noch weiter sortiert. Zu diesen Erinnerungen gehörte, was zu Jesu Botschaft von Gott und seiner Herrschaft gehörte, vielleicht auch die trivialen Ereignisse des alltäglichen Lebens. Es sind Erinnerungen an einen Menschen, der in Galiläa und Jerusalem gegen Ende der 20er Jahre des 1. Jahrhunderts aktiv war und der schließlich in Jerusalem grausam durch Kreuzigung hingerichtet wurde.

      Jesus muss einen großen Eindruck bei seinen Mitmenschen hinterlassen haben, der dazu führte, dass sie sich später an Ereignisse und Taten aus seinem Leben erinnerten. In späterer Überlieferung ist das Ostererlebnis zwar der entscheidende Auslöser für die systematische Weitergabe der Erinnerungen an Jesus, aber auch sein Leben hatte Wirkung auf die Jüngerinnen und Jünger.

      Die Erfahrungen mit dem irdischen Jesus und der Glaube an seine Auferstehung bestärkten die jungen Gemeinden in der Überzeugung, dass in Jesus Gott sein heilsmächtiges Wirken an Israel endgültig gezeigt und bestätigt hat. Dieser Glaube wurde formuliert in Hoheitstiteln für Jesus, in Bekenntnis- und Glaubensformeln wie auch in Gebeten. Der Osterglaube erhellte und färbte ihre Erinnerungen an das irdische Wirken Jesu. Diese Phase wird „apostolisch“ genannt. Die Boten der neuen Verkündigung waren sich gewiss, vom auferstandenen Christus gesandt (griechisch: Apostel) zu sein.

      Von Anfang an hat es sich bei diesen Boten um Frauen und Männer gehandelt. Paulus schreibt ganz selbstverständlich von Junia als einer Frau, die herausragend unter den Aposteln ist (Röm 16,7), während in Apg 16,40 die Purpurhändlerin Lydia offensichtlich die Gemeinde in Philippi leitet. Die Evangelien berichten, dass es unter denen, die Jesus von Anfang an nachfolgten, eine ganze Reihe Frauen gab. Anders als die männlichen Jünger waren diese Frauen auch bei der Kreuzigung anwesend (Mk 15,40–41). Die Evangelien berichten außerdem einmütig, dass es zunächst Frauen waren, die Zeugen der Osterbotschaft waren.

      In die apostolische Zeit fällt auch die Notwendigkeit des Adaptierens der Botschaft – und damit der Erinnerungen – an neue kulturelle, politische und religiöse Gegebenheiten. Die Ausbreitung des Christentums über die Grenzen Palästinas hinaus in die heidnisch-hellenistische Welt erfordert eine Anpassung der Botschaft. Manchmal sind solche Adaptionen lediglich von äußerlichen Umständen abhängig, wie die Änderung der in Palästina üblichen Lehmdachkonstruktion in Mk 2,4 zu einem für griechische Menschen vertrauteren Schindeldach in Lk 5,19. Andere Umformulierungen sind ungleich bedeutsamer.

      Das Markusevangelium muss plötzlich erklären, was jüdische Reinheitsvorschriften sind und wie sie funktionieren (Mk 7,3–5). Offensichtlich richtet sich das Evangelium an Menschen, die mit solchen Bräuchen nicht mehr vertraut sind. Damit stellt sich auch die Frage nach der Gültigkeit des jüdischen Gesetzes und der damit verbundenen Beschneidung für die neuen heidnischen Christen. Auf den Punkt gebracht, lautet die neue Herausforderung: Muss man Jude werden, um Christ sein zu können? Und wie soll das Verhältnis zu Juden aussehen, die sich nicht den Jesus-Jüngern anschließen?

      Die Antworten auf solche Fragen werden in der Lehre Jesu gesucht. Man ist überzeugt, dass die Botschaft und die Person Jesu eine Lösung für solche Fragen bieten. Die mündliche Überlieferung wird daraufhin geschärft und konzentriert. Gleichzeitig werden als unwichtig geltende Dinge nicht weitergegeben. Deshalb wissen wir auch nicht, wie Jesus ausgesehen hat oder was er vor seinem öffentlichen Auftreten in Galiläa gemacht hat. Die Überlieferung ist auch ein Konzentrationsprozess.

      Obwohl diese Phase oft als Zeit der apostolischen Predigt bezeichnet wird, ist eine Beschränkung auf Predigt oder Verkündigung zu kurz gegriffen. Liturgie und Gottesdienst wurden Teil christlichen Lebens. Damit wurde auch gottesdienstliche Sprache Teil der christlichen Überlieferung. Spuren dieser Sprache finden sich auch in den Jesustraditionen wieder, z. B. Mt 7,21.

      In diese Periode könnten auch die ersten schriftlichen Sammlungen von Jesusmaterial erstellt worden sein. Der Kirchenvater Papias von Hierapolis erzählt zu Beginn des 2. Jahrhunderts, dass ein gewisser Matthäus


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