Lebendige Seelsorge 3/2017. Erich Garhammer

Lebendige Seelsorge 3/2017 - Erich Garhammer


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Glaube und kulinarischem Genuss. Es ist auch einer der Vorzüge des katholischen Glaubenslebens, dass es sich mit den allzu menschlichen Seiten der weltlichen Existenz gut auskennt und sich über die Jahrtausende mit ihnen zu arrangieren gelernt hat. Es ist nicht nur sehr menschenfreundlich, dem reuigen Sünder im Sakrament der Beichte seine Verfehlungen zu vergeben. Es ist auch menschenfreundlich, ihm durch die harten Zeiten auf Erden so gut wie möglich hindurch zu helfen. Dies geschieht wie eingangs erwähnt dadurch, dass seine nutritive Grundlage gesichert wird. Dies geschieht aber auch dadurch, dass gerade in Klöstern die Entwicklung und Produktion von Speisen und Getränken vorangetrieben wurde. „Ora et labora“ – „bete und arbeite“ – ist nur die eine Seite der Medaille, auf der anderen finden sich nicht selten schmackhafte Gerichte, Biere und Weine, die in eben diesen Abteien für die Menschen hergestellt wurden und werden.

      Der Mensch mag aus dem Paradies verwiesen worden sein, paradiesische Zustände findet man jedoch auch in irdischen Gefilden, wie in den Psalmen treffend bemerkt wird: „Du krönst das Jahr mit deiner Güte, deinen Spuren folgt der Überfluss“ (Ps 65,12). Bekannt ist auch, dass es selbst für die Fastenzeit einige Kniffe gibt, wie diese entbehrungsreiche Zeit besser durchzustehen ist. So weiß der kenntnisreiche Gläubige zum Beispiel, dass Flüssiges das Fasten ebenso wenig bricht – etwa das nährstoffreiche und inzwischen auch alkoholfreizu erhaltene Bier – wie auch nahrhafte Schokolade nicht verboten ist.

      HEDONISTISCHES CHRISTENTUM?

      Gründet die Alltagspraxis des Christentums nun gar nicht auf Verzicht? Die Antwort ist aus der kulturwissenschaftlichen Sicht der Ernährungssoziologie eine von Ambivalenz geprägte Beobachtung. Den vielen auf Askese und Verzicht drängenden Äußerungen in der christlichen Kommunikation stehen durchaus auch empirische Beispiele und Texte gegenüber, die einen maßvollen, einen womöglich in puncto kulinarischem Genuss gar epikureischen Hedonismus nicht ganz abwegig erscheinen lassen. So wird auch im Buch Kohelet wiederholt über das Glück, ein zentrales Element hedonistischen Daseins, reflektiert. Dabei stellt der Autor des Buchs zwar einerseits fest, dass das gesamte irdische Leben und mit ihm das irdische Glück vor allem „Windhauch“ sind, doch er kommt auch zu der Erkenntnis: „Es gibt kein in allem Tun gründendes Glück, es sei denn ein jeder freut sich und so verschafft er sich Glück, während er noch lebt, wobei zugleich immer, wenn ein Mensch isst und trinkt und durch seinen ganzen Besitz das Glück kennenlernt, das ein Geschenk Gottes ist“ (Koh 3,11). Geschenke Gottes gilt es für einen anständigen Christen freilich anzunehmen und im besten menschlich-gottgefälligen Sinne zu verwenden. Das hieße im Fall von Essen und Trinken wohl zunächst einmal zu essen und zu trinken – aber nicht allein, sondern das Brot, den Wein oder was auch immer mit einem anderen zur Gründung oder Bestätigung einer Inklusion zu brechen. Und ganz ohne Mäßigungsappell kommt natürlich auch Kohelet nicht aus. So heißt es gegen Ende des Buches: „Aber sei dir bewusst, dass Gott dich für all das vor Gericht ziehen wird. Halte deinen Sinn von Ärger frei, und schütze deinen Leib vor Krankheiten“ (Koh 11,9f.). Das kann man durchaus so verstehen, dass nicht übertrieben werden soll mit den Genüssen und ein gesundes, sittliches Maßhalten angebracht sei.

      Aus ernährungssoziologischer Sicht könnten Christen als reflektierte und maßvolle Genussmenschen beschrieben werden.

      Insofern könnten Christen aus ernährungssoziologischer Sicht als eine Gemeinschaft reflektierter und maßvoller Genussmenschen beschrieben werden, die zunächst einmal den grundlegenden Hunger bekämpfen, aber über die Gefahren, die Freuden und die Potentiale einer weitergehenden Esskulturpraxis durchaus Bescheid wissen.

      LITERATUR

      Fuchs, Guido, Gott und Gaumen. Eine kleine Theologie des Essens und Trinkens, München 2010.

      Heckmann, Herbert, Die Freud’ des Essens, München 1979.

      Kofahl, Daniel, Religionssoziologische (Geschmacks-)Sinnsuche – Ein Gesprächsangebot über Essen, Gott und die Welt, in: Sascha Müller (Hg.), Die Sprache verstehen. Interdisziplinäres zwischen Germanistik, Philosophie und biblischer Exegese, München 2014, 117-134.

      Simmel, Georg, Soziologie der Mahlzeit, in: Kikuko Kashiwagi-Wetzel und Anne-Rose Meyer (Hg.), Theorien des Essens, Berlin 2017, 69-76.

      Fest und Mahl

      Fest und Mahl gehören zusammen – vom „Festmahl“ spricht man ja auch. Viele religiöse Feste spiegeln sich auch in den Speisen wider – ähnlich wie früher die Fastentage und -zeiten. In dieser Beziehung hat sich viel verändert; oft werden Feste ohne Inhalt gefeiert, nur die „Requisiten“ bleiben. Und das Mahl wird zum Fest. Guido Fuchs

      Der Bauer Wladimir Wladimirowitsch Merslikow lag in seinem Bett mit den gewürfelten Kissenbezügen und wartete auf den Tod.“ So beginnt eine kleine Erzählung von Ernst Wiechert („Der einfache Tod“). Sie spielt in Russland zur Zeit der kommunistischen Herrschaft, es ist kurz vor Ostern. „Das Haus duftete nach Osterkuchen, aber der Geruch war ihm zuwider. Er wusste, dass sie nicht mehr für Christus buken, sondern für ihren Magen.“ Das orthodoxe Kirchenjahr spiegelt sich ebenso in den Speisen wie das katholische. Feste und Festzeiten, Fastentage und Fastenwochen haben ihre bestimmten Gerichte, üppig oder kümmerlich, je nach Anlass, und der Festinhalt ist nicht nur im Gottesdienst der Kirche, sondern auch noch einmal in der Speise mit auf dem Tisch. Ja, das Fest war und ist auch im Essen ein Fest, weil man sich wochenlang eingeschränkt hat, auf das Wohlschmeckende verzichtete, um sich dann, wenn es wieder erlaubt ist, umso stärker am Fest zu freuen, denn Fest bedeutet Ausnahmezustand.

      Selbst in Zeiten und Gesellschaften, in denen die Religion nicht mehr maßgeblich ist, bleiben Bräuche, vor allem Mahl- und Speisebräuche oft lange erhalten. Aber sie werden äußerlich, haben keinen inneren Bezug mehr. „Das Haus duftete nach Osterkuchen, aber der Geruch war ihm zuwider. Er wusste, dass sie nicht mehr für Christus buken, sondern für ihren Magen.“ Der ursprüngliche Festgedanke bleibt zwar auch über das Essen und Trinken spürbar, aber spielt er noch eine Rolle? Dieser Frage lohnt sich nachzugehen. Zunächst aber ein Blick auf das Wesen des Festes und die Bedeutung des Festmahles dabei.

      FEST

      Das Fest ist zunächst einmal das dem Alltag entgegenstehende, aus ihm herausragende Geschehen und Erleben, damit das Un-Alltägliche schlechthin. Diese Besonderheit zeigt sich in mehreren Merkmalen, die freilich nicht immer bei allen Festen gleichermaßen in Erscheinung treten müssen.

      Die Besonderheit zeigt sich zunächst in der äußeren Gestaltung: Musik, Lied, Tanz, Wettspiele,

       Guido Fuchs

      Dr. theol., apl. Prof. für Liturgiewissenschaft an der Universität Würzburg; leitet das „Institut für Liturgie- und Alltagskultur“ in Hildesheim mit der Forschungsstelle „Kulinaristik & Religion“ (www.liturgieundalltag.de); erhielt 2016 den Wissenschaftspreis des „Kulinaristik-Forums“ (www.kulinaristik.net).

       Umzüge, dramatische Aufführungen, Opfer, reiche Mahlzeiten, besondere Kleidung – sie alle sind nicht nur eine sekundäre Begleiterscheinung, sie gehören vielmehr zum Wesen eines Festes, sie sind Ausdruck des Un-Alltäglichen. Die Besonderheit des Festes tritt weiterhin im Bezug des Festes auf einen Ursprung hin zutage. Feste haben ihre Bedeutung in der Nachahmung, Wiederholung und womöglich auch Vergegenwärtigung eines prototypischen Handelns oder Geschehens, eines Heil schaffenden „ersten Males“. Das Fest will den Ursprung zur Sicherung der Zukunft gegenwärtig machen. Es bringt die Ängste und Hoffnungen einer Gruppe nicht nur zum Ausdruck, sondern will diese Ängste überwinden und das Leben neu schaffen.

      Das Fest will den Ursprung zur Sicherung der Zukunft gegenwärtig machen.

      Das Fest ist ein Geschehen, das hauptsächlich von einer Gruppe für eine Gruppe begangen wird. Jede soziale Gruppe braucht Feste als identitätsfördernde Ausdrucksformen. Feste bestätigen, stärken und erneuern die Gemeinschaft und den Zusammenhalt, die Identität, indem sie auf den Ursprung verweisen. Das Un-Alltägliche des Festes zeigt sich auch in dessen exzessiver Gestaltung, die auch zeitlich zum Ausdruck kommt. So kann


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