Lebendige Seelsorge 3/2017. Erich Garhammer
können herrschende Institutionen, Gesetze und Konventionen außer Kraft gesetzt sein zugunsten einer Zügellosigkeit, die – je nach Ansatz – als Rückkehr in das der Neuschöpfung vorausgehende Chaos verstanden werden kann oder als Protest gegen das bestehende System.
Diese Merkmale eines Festes lassen sich an christlichen Festen durchaus auch beobachten. Es ist hier allerdings nicht der Raum, um allen nachzugehen und am Beispiel verschiedener Feste zu verifizieren. Ich möchte mich, dem gestellten Thema gemäß, auf den ersten Punkt, und da auch nur auf das zum Fest gehörige Essen und Trinken – das Festmahl – beschränken.
FEST UND MAHL
Ähnlich wie die verschiedenen Formen der Gastlichkeit im Gastmahl einen besonderen Ausdruck erfahren, so die Festfeier im Festmahl. Ein besonderes Mahl gehört zu den Festen und Feiern im Lebens- wie auch im Jahreslauf. Das Mahl hat dabei nicht nur eine begleitende äußerliche Funktion; zunächst einmal kann es
(1) die Festfreude ausdrücken, die auch durch eine gelegentliche Üppigkeit den Alltag vergessen lässt. Weiterhin können an bestimmten Festen die Speisen und auch die Gestaltung
(2) den Festinhalt widerspiegeln und diesen so aus dem kirchlichen Bereich in den Alltag der Menschen hinein verlängern. Dann ist natürlich auch das gemeinsame Mahlhalten für den
(3) Zusammenhalt der Gemeinschaft wichtig und trägt so, wie das Fest selbst, zur Identität bei. Schließlich war das Festessen auch immer
(4) eine Gelegenheit, den Bedürftigen Anteil am Fest zu geben.
I. FESTFREUDE
Um die sich auch im Essen und Trinken äußernde Festfreude besser zu verstehen, muss man sich auch klarmachen, was Alltag für die Menschen früherer Jahrhunderte kulinarisch bedeutete. Eine Kärglichkeit in vielen Fällen, die auch noch durch ausgeprägte Fastenzeiten und -tage mit beeinflusst war. Bis vor hundert Jahren war das Kirchenjahr (das ja das bürgerliche Jahr auch mit prägte) von zahlreichen Fasten- und Abstinenztagen durchzogen. Und angesichts der Bedeutung der Kirchen und des kirchlichen Lebens kann man davon ausgehen, dass diese Fastenvorschriften durchaus eine Rolle im Leben der meisten Menschen spielten. Große Feste hatten Vigiltage, die ebenfalls zu den Fastentagen zählten und damit die Feste nochmals erwartungsmäßig kulinarisch aufluden. Folgende Beschreibung eines Osterfrühstücks aus der Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts bringt dies zum Ausdruck: „Am Ostersonntag ging die Köchin mit einem Henkelkorb zur Speisenweihe. Das Festessen am Mittag ging nach folgender Reihenfolge vonstatten: Zuerst kam das Weihfleisch auf den Tisch: ein großes Oval mit einem Berg von bestem Selchfleisch, Eiern und Würsten beladen, dazu geweihtes Brot; dann Nudelsuppe mit Rindfleisch als Einlage und anschließendem Rindfleisch mit Semmelkren. Nun kam der Schweinebraten mit Salat auf den Tisch, dann Hühnerfleisch, Gugelhupf, Krapfen und Dörrpflaumen mit Rum oder Schnaps. Und dies alles nach vierzigtägigem Fasten! Die Gaumenfreuden waren unbeschreiblich“ (Löcher/ Abeln, 153). Ähnliche Beschreibungen und Erinnerungen gibt es auch für Weihnachten. Natürlich sind die großen Feste wie Ostern und Weihnachten noch einmal etwas besonderes, aber auch der Sonntag war kulinarisch vor anderen Tagen ausgezeichnet und brachte dadurch seine Würde zum Ausdruck. „Am Sonntag ehrt das Elsass den Herrgott in allen Kirchen und Tempeln, mehr aber noch in allen Küchen und Stuben. Sonntag ist Eß-Tag.“ So beginnt Jean Egen seine ausführliche Schilderung des sonntäglichen Essens und dessen Zubereitung in seiner elsässischen Heimat – „eine gastronomische Liturgie am Rande der religiösen“, wie er schreibt (Egen, 46-51).
In einer Zeit und Gesellschaft, in der allein der Vorschlag auf einen fleischfreien Tag in der Woche die Menschen aufschreien lässt und sich die Wochentage auch kulinarisch längst einander angeglichen haben, erscheinen Schilderungen wie die von Egen oder auch anderen Autoren wie romantische Relikte einer längst vergangenen Zeit.
II. FESTINHALT
An manchen Tagen spiegelt das Essen auch den Festinhalt wider. Bestes Beispiel ist das jüdische Sedermahl (Pessachmahl), dessen Speisen und Getränke auf den Anlass der Feier, die wunderbare Befreiung der Israeliten aus der ägyptischen Gefangenschaft hinweisen und während des Mahles auch so gedeutet werden. Allerdings ist dieses Mahl bereits ein häuslicher Gottesdienst, von Gebeten, Gesängen und Erinnerungen durchzogen, so dass er nicht wirklich als Beispiel für die Verlängerung des Festes in den Alltag hinein stehen kann, wie es bei manchen Festmählern im christlichen Bereich der Fall ist.
Für den Ostertag ist es seit alters bezeugt, Lammfleisch zu essen; schon der Apostel Paulus stellt im Neuen Testament heraus, dass Jesus Christus für uns als Osterlamm geschlachtet wurde. Er wurde ja im Zusammenhang eines Pessachfestes gekreuzigt, an dem die Lämmer geschlachtet und zum Festtag verzehrt wurden. Und selbst wo kein Lammfleisch auf den Tisch kommt, sind es vielfach Biskuitlämmer, die den Zusammenhang mit dem kirchlichen Festinhalt herstellen, auch wenn es sicher vielen Menschen nicht bewusst ist. Der „Weihkorb“ (siehe obige Erinnerung) enthält auch andere Speisen mit Bezug zum Fest wie den Meerrettich oder die Eier.
Eine ganz besondere Osterfesttagsspeise ist die russische Pascha, eine Süßspeise. Ihre hauptsächlichen Zutaten (Quark, Sahne, Eier, Butter) waren und sind in der – weit strengeren – orthodoxen Fastenzeit nicht erlaubt, allein das macht sie zu etwas Besonderem. Dazu kommt aber auch noch die Art ihrer Zubereitung: Die fertig zubereitete Quarkmasse wird in ein weißes Mulltuch eingeschlagen, in einen Blumentopf gegeben und mit einem Stein beschwert, der das restliche Wasser aus der Quarkmasse herausdrücken soll. Dieser Topf bleibt mindestens über eine Nacht stehen. Nach der Osternachtfeier wird dann die „Pascha“ dem Topf entnommen, aus dem Tuch gelöst und als wunderbar süße Speise serviert. Die Analogie zu Begräbnis und Auferstehung Jesu ist nicht nur mit Händen zu greifen, sondern gewissermaßen auch mit dem Gaumen zu schmecken. All das sollen nicht nur äußerliche Bezüge sein; das kirchliche Segensbuch „Benediktionale“ rät im Zusammenhang einer Speisensegnung an Ostern, dass sich die Tischgemeinschaft der Gläubigen mit dem Auferstandenen an diesem Tag „gleichsam als Agape“ in den Häusern fortsetzen möge.
III. GEMEINSCHAFT
Kaum etwas drückt besser die Zusammengehörigkeit einer Gruppe aus als das gemeinsame Mahl. Die Gemeinschaft beim Essen verstärkt den Zusammenhalt – typisch auch die großen Essen im Zusammenhang kirchlicher Knotenpunkte: Taufe, Erstkommunion, Trauung und Beerdigung. Und an die Stelle der unübersichtlich gewordenen Gemeinde tritt die Familie, die sogar oft von weit her dazu anreist. Bis über den Tod hinaus wird diese Gemeinschaft symbolisiert durch den frei gehaltenen Platz, wie es im Altertum üblich war (vgl. das Fest Kathedra Petri) und heute noch nach dem Tod eines Konventualen in manchen Klöstern für einige Zeit gemacht wird.
Andererseits zeigt sich die Nicht-Gemeinschaft zwischen katholischer und evangelischer Kirche gerade in dem Umstand, dass es kein gemeinsames (eucharistisches) Mahl gibt. Im Falle des gemeinsamen Kirchentags in München 2010 wich man dabei auf die orthodoxe Form der „Artoklasie“ aus und versammelte sich unter freiem Himmel und brach das Brot an den vielen Tischen. „Es geht um die Gemeinschaft, die wir heute hier erlebt haben“, sagte der griechisch-orthodoxe Erzbischof am Ende dieser Feier, die freilich nur eine Ahnung von Tischgemeinschaft bot.
IV. ANTEIL AM FEST
Der Gedanke, bei großen Feiern auch diejenigen nicht auszuschließen, denen es nicht gut geht, ist alt und schon biblisch belegt. Im 8. Kapitel des Buches Nehemia wird beschrieben, wie dem Volk Israel nach der Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft erstmals wieder das Wort Gottes feierlich verkündet wird – ein denkwürdiges Ereignis. „Dann sagte Esra zu ihnen: Nun geht, haltet ein festliches Mahl und trinkt süßen Wein! Schickt auch denen etwas, die selbst nichts haben; denn heute ist ein heiliger Tag zur Ehre des Herrn. Macht euch keine Sorgen; denn die Freude am Herrn ist eure Stärke“ (Neh 8,10).
Diejenigen, „die selbst nichts haben“, sind im Alten Testament in der Regel Witwen, Waisen, Leviten, Sklaven, Fremde. Sie haben keinen Besitz und sind deshalb bei Festen auf einen Anteil an den Gaben anderer angewiesen. Zugleich stellen sie gewissermaßen ein Abbild der Israeliten dar, die in Ägypten Sklaven gewesen und auf Gottes Güte angewiesen waren. Es sind zunächst also tief menschliche Verhaltensweisen, die zum Teilen der Freude mit Bedürftigen an großen (Bundes-)Festen drängen: Eingedenk