Der grüne Pfad hat nie ein Ende. Gerhard Böttger

Der grüne Pfad hat nie ein Ende - Gerhard Böttger


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am Fuß der Leiter ablegen. Obwohl sie mir niemals „durchgegangen“ ist, pflegte ich ihre Führleine am Holm zu verknoten – es gab mir einfach ein sicheres Gefühl.

      Lange hatte ich keine gute Zigarre mehr geraucht, setzte sie aber jetzt wohlgelaunt und mit Genuss in Brand und wartete auf die Böcke, die mir hier ihre rote Decke präsentieren würden. Einer war ja hier mindestens zu Hause!

      Gerne ließ ich mir von der im Juni noch so lebendigen Vogelwelt die Zeit vertreiben und rechnete noch nicht mit Anblick, als sich bei noch über den Baumwipfeln stehender Sonne doch schon ein Stück rotbraune Decke durch eine Lücke schob. Obendrüber schwankte ein silbergraues Bastgeweih, an dem ich wenig später 14 Enden zählte, wobei die Viererkrone noch nicht ganz ausgeschoben schien. Ein mittelalter, gut veranlagter Hirsch, der völlig vertraut von uns weg äste und bald wieder verschwand.

      Bianka hatte mit hoher Nase Witterung genommen, fing etwas an zu zittern – es waren nur 50–60 Meter bis zum Wild –, beruhigte sich aber schnell wieder. Im Vorjahr hatte ich in diesem Revier meine stärkste Abwurfstange mit 3,2 Kilogramm Gewicht gefunden, auch von einem Vierzehnender, nach dem Petschaft zu urteilen aber mindestens vom 8. Kopf, sodass sie nicht von dem eben gesehenen Hirsch stammen konnte. Über eine Stunde lang hatte ich kreisförmig um die Fundstelle herum nach der Passstange gesucht, sie aber leider nicht gefunden. Die Entdeckung einer gut angenommenen Suhle in einem versteckten Sumpfloch war aber auch ein Erfolg! Als ich dem Beständer davon berichtete, wetterleuchtete es in seinem Gesicht: „So, hast du sie entdeckt? An diesem Rückzugsort unseres Wildes herrscht strenge Jagdruhe. Es gibt nur eine einzige Ausnahme – der starke Feisthirsch!“

      Vom Rotwild wieder zum Rehwild. Als das Tagesgestirn sich zur Nachtruhe vorbereitete, tauchte in etwa gleicher Entfernung eine Ricke mit ihrem Kitz auf, die ich fünf Minuten beobachten konnte.

      Eigentlich hatte ich mir hier mehr Anblick versprochen, aber den Ansitz hatte ich sehr genossen. Als es so dunkel geworden war, dass ich nicht mehr ansprechen konnte, baumte ich ab. Der Hund freute sich über die erneute Bewegung und verwies mir auf dem Heimweg so manche frische Fährte, zog immer wieder kurz an, stellte die Behänge auf und teilte mir durch sein ganzes Verhalten mit, dass in dem Bereich viel Wild auf den Läufen war. Daraufhin fragte ich sie: „Bianka, war der Abnorme hier auch unterwegs?“ Sie schaute mich wissend an und schüttelte ihren edlen Kopf.

      Also morgen früh wieder die Schneisen abpirschen und die kleinen Blößen und Lücken im Bestand im Auge behalten!

      Als es so weit war, wählte ich den gleichen Pirschweg wie am Vortag, der Wind hatte nicht gedreht und würde dem am Morgen Richtung Einstand ziehenden Wild meine Anwesenheit verraten. Man wird es nachvollziehen können, dass es mich bald zu „der“ Schneise hinzog, an der ich den Bock zum ersten und einzigen Male gesehen hatte. Es widersprach nicht meinem Plan, hier auf dem Sitzstock eine Viertelstunde zu verhocken, bevor die Morgenpirsch weitergehen sollte. Zufrieden nahm der Hund neben mir Platz, und zwar so, dass ich seinen Kopf ständig im Auge hatte, denn er würde mir die Botschaften des Windes vermitteln, die ich Zweibeiner mit meinem verkümmerten Riechorgan nicht mitbekam.

      Die Kühle des frischen Junimorgens vor Sonnenaufgang ließ mich bald etwas frösteln. Den Kuckuck schien das zu amüsieren, ganz nahe ließ er seine heisere Lache ertönen, bevor ich den Sperbergefiederten über die Wipfel streichen sah.

      Da brach es in dem kürzlich durchforsteten Stangenholz rechts vor uns, wenig später flitzte ein vorwitziger Frischling über die Schneise. Während ich noch dachte: „Nanu, der ist doch wohl nicht alleine?“, schob sich schon die Bache aus dem dichten Himbeergestrüpp heraus, gefolgt von fünf weiteren Fröschen, die wussten, was sich gehört und schön der Mama auf dem Pürzel folgten. Bianka tauschte einen tiefen Blick mit mir und sackte enttäuscht etwas zusammen, als ich abwinkte.

      Da! Ein zorniges Schrecken aus dem Stangenholz. War es der Bock? Rehwild pflegt auf diese Weise häufig seinen Unmut über die quirligen Sauen auszudrücken.

      Vierläufer und Zweibeiner richteten sich auf, Spannung lag plötzlich in der Luft.

      Die Schneise war nur schmal, vorsichtig und langsam nahm ich schon mal die Büchse hoch und ging in Anschlag. Eine Chance würde ich trotzdem nur haben, wenn der Bock zumindest kurz verhoffen würde. Auf ein flüchtiges Stück würde man an dieser Stelle nicht fertig werden. Da war er schon! Es gibt viele Situationen auf der Jagd, in denen man unbedenklich durchs Zielfernrohr ansprechen kann. Aber … das Stück hatte nicht auf, eine Ricke!

      Völlig breit stehend äugte sie zur anderen Seite hin, dann zu mir rüber, neigte den jetzt erkannten schlanken Schmalreh-Hals, zupfte ein Kräutlein und verschwand im dichten Ginsterbestand. Jeder Weidgenosse wird mir beipflichten: Jetzt musste er kommen!

      Ganz leises Klicken des Stechers, im Zielfernrohr erwartete ich jeden Moment die rote Decke, das klar zu erkennende Schaufelgehörn – und fieberte vor dem Schuss!

      Eine Minute, zwei Minuten … Er kam nicht! Ich setzte die Büchse ab, war aber jederzeit bereit, sie blitzschnell wieder hochzunehmen. Meine Bereitschaft wurde nicht belohnt, und nach einer Viertelstunde war ich mir ziemlich sicher, dass meine Büchse heute nicht mehr sprechen würde. Das Schrecken konnte aber nicht von einem Geist stammen, und ich sann über die hundert Gründe nach, warum das begehrte Wild sich heute nicht gezeigt hatte.

      Trotzdem marschierte ich entspannt durch die herrliche Natur mit dem freudig mich begleitenden Hund an der Seite in Richtung Unterkunft zurück mit dem festen Vorsatz: Sowohl heute Abend als auch morgen in der allerersten Frühe wieder Ansitz an der Schneise!

      Es ist immer ein Genuss, das langsame Vergehen eines Junitages im Revier – und nicht in engen vier Wänden – zu erleben und mit allen Fasern des Menschseins den unendlich vielen Facetten des Lebens „in Farn und Fichten“ zu folgen. In Bökshagen gab es selten eine Störung durch Zweibeiner. Noch eine Seltenheit gab es an dem Abend: Keinerlei Wildanblick! Auch keine Lautäußerung, kein Schrecken im Bestand, kein Brechen von Hochwild, auch die Hundenase zeigte nichts an.

      So ging ich am nächsten Morgen mit gemischten Gefühlen hinaus, obwohl das Wetter und vor allem der Wind mir wohlgesonnen waren und ich meinen alten Ansitzplatz deswegen wieder beziehen konnte. Und – diesmal hatte ich den gleichen Anblick wie am Tag zuvor: Es wird die gleiche mittelalte Bache gewesen sein, die ihre sechs Frischlinge – diesmal alle hinter ihr – über die Schneise in den Tageseinstand führte. Beschwören kann ich es natürlich nicht, dass es auch das gleiche Schmalreh war: Nicht nur ein Häppchen nahm es auf der Schneise auf, sondern äste zwei oder drei Minuten lang auf dieser, völlig vertraut und kaum einmal den feinnervigen Kopf zum Sichern erhebend.

      Bevor es einzog, wechselte es auf kaum 50 Meter an meine Position heran, was mich veranlasste, den Gesichtsschleier von der diesmal getragenen Schirmmütze herunterzulassen. Bei der Blattjagd ging ich kaum einmal ohne diese Gesichtstarnung hinaus.

      War der „Schaufelige“ hier nicht mehr um die Wege? Schon mindestens eine halbe Stunde lag die Schneise ohne Leben vor mir. Aufmerksam wurde ich, als meine Hündin abrupt ihren Kopf erhob, die Behänge aufstellte und in das mit dichtem Unterwuchs bestandene Stangenholz hineinäugte. Ich hatte nichts gehört oder gesehen.

      Doch im selben Augenblick blendete mich eine Bewegung auf der „falschen Seite“, wo das Schmalreh verschwunden war. Ein Stück rote Decke in der Randvegetation – kam das Stück zurück, um noch Nachlese zu halten?

      Nein, wieder brauchte ich kein Glas: Spitz zu mir hin verhoffte auf 70–80 Meter ein starker Rehbock, viel Masse zeigte sich zwischen den Lauschern, er äugte mich direkt an, durch mich hindurch, erkannte mich nicht.

      Regungslos verharrten Jäger, Hund und Wild. Als der Bock eine halbe Wendung machte, stand er breit und gab mir die zwei Sekunden Zeit, schnell die Waffe hochzunehmen, wobei ich durch das Zielfernrohr die „erschreckend“ schaufelige linke Stange klar erkannte.

      Er war es! Der Zeigefinger verstärkte den leichten Druck auf den gestochenen Abzug und der Schuss peitschte hinaus. Im Repetiervorgang sah ich den Bock fallen, sekundenlang die Läufe schlagen über den noch vom Morgentau glänzenden Stauden, dann zog wieder Ruhe und Bewegungslosigkeit ein, überraschendes und spannendes Erleben verhallte


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