Dürnsteiner Himmelfahrt. Bernhard Görg

Dürnsteiner Himmelfahrt - Bernhard Görg


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      Bernhard Görg:

      Dürnsteiner Himmelfahrt

      Alle Rechte vorbehalten

      © 2020 edition a, Wien

      www.edition-a.at

      Cover: Isabella Starowicz

      Satz: Sophia Stemshorn

      Lektorat: Andreas Görg

      ISBN 978-3-99001-449-3

      E-Book-Herstellung und Auslieferung:

      Brockhaus Commission, Kornwestheim

       www.brocom.de

      Samstag, 18. Juni 10 Uhr 27

      Als er auf dem Pfarrplatz aus seinem Dienstwagen stieg, fiel sein erster Blick auf die breite Front der Pfarrkirche und dann auf den Turm der Piaristenkirche.

      Keine zweihundert Meter voneinander entfernt. Aber welch ein Höhenunterschied! Die eine Kirche hoch oben auf dem Berg, die andere fast auf Höhe der Donau. Was für eine tolle Komposition den Kremser Stadtvätern da vor langer Zeit doch eingefallen war. Würde wahrscheinlich sogar seine Frau begeistern, die sich in letzter Zeit immer mehr über St. Pölten und die Aussicht beklagte, dort wegen ihm und seiner Stellung als Landespolizeidirektor versauern zu müssen. Eigentlich schade, dass sie nicht mit ihm mitgekommen war. Aber heute ging es wirklich nicht.

      Der Platz war gerammelt voll. Kein Wunder an einem Samstagvormittag. Bei Kaiserwetter noch dazu.

      Sein Chauffeur, der keinen freien Parkplatz fand, stellte den Wagen vor die Einfahrt eines der Kirche gegenüberliegenden, ockerfarbenen Hauses, was eine vorbeigehende ältere Dame, so viel konnte Wolfgang Marbolt sofort sehen, nach der Nummerntafel schielen und dann verärgert den Kopf schütteln ließ. Offensichtlich auch jemand, der die Landeshauptstadt nicht mochte.

      Keine zwanzig Meter von seinem Auto entfernt sah er eine Reihe von im Freien aufgestellten Tischen, die offensichtlich zu einer Café-Konditorei gehörten. Dort hätte er noch gern einen schnellen Kaffee getrunken und sich dabei die Sonne auf sein Haupt scheinen lassen. Aber alle Tische waren besetzt.

      Seinen Chauffeur ließ er beim Auto zurück. Er hätte sich auch direkt über den Stadtgraben auf den Hohen Markt und dann ein paar Meter die Wegscheid hinunter zu seinem Ziel, einer Kunst- und Antiquitätenhandlung, chauffieren lassen können. Aber er wollte den knapp zehnminütigen Fußweg über den Pfarrplatz hinauf zum Hohen Markt an so einem herrlichen Tag ganz bewusst auf sich nehmen. Er nahm sein leichtes, erdfarbenes Sommersakko, das auf einem Kleiderhaken im Fond des Wagens hing, schwang es sich mit einer betont lässigen Bewegung über seine Schulter und schlenderte los über den Platz. Samstag war Markttag. Nicht, dass ihn Obst und Gemüse besonders interessiert hätten, aber die Kombination der Farben sprach selbst ihn an. Er musste aufpassen, nicht mit einer der vielen Frauen zusammenzustoßen, die nur Augen für die an den Marktständen präsentierten Paradeiser, Gurken und Äpfel und nicht für entgegenkommende Passanten zu haben schienen.

      Die ganz dunkelroten Kirschen, die eine der Standlerinnen in einer lichtbraunen, geflochtenen Steige präsentierte, erinnerten ihn an die Ferien seiner Kindheit auf dem großelterlichen Bauernhof im Weinviertel und ließen sogar ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen. Auf seinem Rückweg würde er ein halbes Kilo davon für seine Frau kaufen.

      Kurz nach dem Pfarrplatz warf er einen Blick auf seine Armbanduhr, merkte sich die Uhrzeit und beschleunigte seinen Schritt. Schon eine tolle Atmosphäre, die das Zentrum der Kremser Altstadt ausstrahlte. An den Gebäuden gab es überall Details zu entdecken, die vom Stolz der Bauherren aus vergangenen Tagen zeugten. Warum musste ausgerechnet St. Pölten die niederösterreichische Hauptstadt und damit sein Dienstort sein?

      Krems spielte sogar in Sachen Wasser in einer anderen Liga. Großer Strom gegen mickriges Flüsschen. Er war überzeugt, dass seine Wien-närrische Britta, deren Laune von Tag zu Tag schlimmer wurde, ein Exil in der Stadt an der Donau eher ertragen hätte als in der Stadt an der Traisen.

      Umso mehr wollte er ihr zu ihrem morgigen Geburtstag eine Überraschung bereiten.

      In den letzten Monaten hatte er an ihr ein zunehmendes Interesse für Malerei bemerkt. Er war nicht ganz sicher, ob dieses Interesse nur ein vorübergehender Spleen oder nachhaltiger Begeisterung geschuldet war. Ihre Schwärmerei für Theaterstücke, in denen die Schauspieler entweder in erster Linie stumm vor sich hin starren oder sich gegenseitig anschreien oder gar handgreiflich werden mussten, war jedenfalls nur eine zeitweilige gewesen. Unlängst war er auf ihr Drängen hin mit ihr in einem neuen Museum gewesen, nicht weit vom Bauernhof seiner Großeltern entfernt. In dem gab es nur riesige abstrakte Bilder, viele ganz in blutigem Rot oder glänzendem Schwarz gehalten, mit unförmigen Farbbatzen auf den Leinwänden. Diese Bilder hatten Britta eines wie das andere zu Schreien des Entzückens veranlasst, während er nur kopfschüttelnd und verständnislos neben ihr her trotten konnte. Solche Bilder zu malen, würde er sich selbst auch zutrauen. Das konnte er natürlich nicht laut sagen, weil er sonst als Kunst-Banause dagestanden wäre, was er sich in seiner Position nicht leisten konnte. Später hatte er im Internet recherchiert, dass der Erwerb eines solchen Bildes die finanziellen Möglichkeiten eines Landespolizeidirektors bei Weitem überstieg, was selbst seiner Frau klar sein musste. Gott sei Dank. Er selbst hätte so ein Bild gar nicht in seiner Wohnung haben wollen.

      Wieder blickte er auf seine Armbanduhr. Gut trainiert wie er war, hatte es kaum mehr als sechs Minuten gedauert, bis er auf dem Hohen Markt stand. Nun musste er Richtung Untere Landstraße nur noch ein paar Schritte auf dem altehrwürdigen Kopfsteinpflaster die steile Wegscheid hinunter.

      Anfang der Woche hatte er begonnen, sich nach Namen von Kunsthändlern zu erkundigen. Mehrfach war ihm ein Dr. Haberl aus Krems empfohlen worden. Sogar mit dem Herrn Landeshauptmann als Kunden. Nicht, dass das der Hauptgrund gewesen wäre, dieser Empfehlung Folge zu leisten. Aber schaden konnte es auf keinen Fall, bei einem Gespräch mit dem Landeskaiser ganz beiläufig einfließen zu lassen, dass sich die Marbolts bei einem Dr. Haberl in Krems mit Kunst und Antiquitäten eindecken würden.

      Das Geschäft fand er auf Anhieb. Auch, weil vor dem Antiquitätenladen gerade ein Mann damit beschäftigt war, einen alten Schrank von einem Lieferwagen abzuladen.

      Da er über seine Sekretärin seinen Besuch hatte ankündigen lassen, begrüßte ihn der Kunsthändler sofort mit Namen, ohne dass er sich erst hätte vorstellen müssen.

      Zunächst plauderte er mit dem Geschäftsinhaber über die Unterschiede zwischen Krems und St. Pölten, ohne seine wahre Meinung über die Landeshauptstadt zu verraten. Selbstverständlich vergaß er nicht darauf hinzuweisen, dass er seinen heutigen Besuch einem Tipp des Herrn Landeshauptmanns verdanken würde. Schien bei Dr. Haberl, dessen Aufmerksamkeit mit einem Schlag spürbar zunahm, die erwünschte Wirkung nicht zu verfehlen. Das war der richtige Moment, um zu seinem Anliegen zu kommen: Dem Erwerb eines kleinen Geburtstagsgeschenks für seine Frau, die seit ihrer Kindheit an Malerei ernsthaft interessiert war. Von der Renaissance bis zur Moderne. Er nahm dabei einen Katalog in die Hand, der auf dem Verkaufspult lag, im Glauben, dort all die Bilder abgebildet zu finden, die der Händler im Angebot hatte. Aber noch bevor er den Katalog aufschlug, merkte er, dass er sich getäuscht haben musste. Wegen des Titelblatts in italienischer Sprache.

      »Das ist ein Mitbringsel von meiner jüngsten Reise nach Florenz. Laufende Ausstellung in den Uffizien. Renaissance-Kunst vom Feinsten, kann ich Ihnen sagen.«

      Wolfgang Marbolt tat so, als müsse er kurz überlegen. »Richtig, davon hat mir meine Frau erst gestern erzählt. Will unbedingt, dass ich mit ihr hinfliege.«

      Er schlug den Katalog auf und blätterte ein bisschen, bis sein Blick an einer Seite hängenblieb.

      Der Händler folgte seinem Blick. »Sie scheinen ja einen sehr exquisiten Geschmack zu haben. Eine wunderbare Zeichnung von Raffael, von der man bis vor acht Jahren gar nicht gewusst hat, dass sie überhaupt existiert.«

      Wolfgang


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