Nachdenken und vernetzen in Natur, Mensch, Gesellschaft (E-Book). Dominik Helbling

Nachdenken und vernetzen in Natur, Mensch, Gesellschaft (E-Book) - Dominik Helbling


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auch gleichzeitig die Weltsicht. Erst das Zusammenspiel von fachlichen und fächerübergreifenden Perspektiven ermöglicht eine optimale Handlungsfähigkeit des Subjekts. Vernetztes Denken ist mehr als die lehrerzentrierte Addition der Teile eines Ganzen. Erst durch den Bezug auf ein für die Schüler relevantes Problem kann eine vernetzte Sichtweise entstehen.»[39] Durch den Aufbau vernetzten Wissens (und die daraus folgende Chance, solches Wissen vermehrt in Handlungssituationen einsetzen zu können) können den Schülern und Schülerinnen zudem Erfolgserlebnisse verschafft werden, was wiederum ihre Lernmotivation verstärkt.

      •Der lernbiologische Ansatz: Lernen entsteht, wenn es zur Bildung und Vernetzung von Nervenzellen im Gehirn kommt.

      Perspektivenübergreifender Unterricht und Kompetenzorientierung

      Durch die Ausrichtung des Unterrichts auf die Entwicklung und Förderung von Kompetenzen stellt sich die Frage, welche Kompetenzen durch einen perspektivenübergreifenden Unterricht speziell entwickelt und gefördert werden. Veronica Boix Mansilla stellt in diesem Zusammenhang das «fächerübergreifende Verstehen» ins Zentrum ihrer Überlegungen:

      Fächerübergreifendes Verstehen ist die Fähigkeit, Wissen oder Denkweisen aus zwei oder mehreren Fächern bzw. Wissensgebieten so zusammenzuführen, dass daraus ein Erkenntnisfortschritt resultiert, der die Möglichkeiten eines Einzelfaches übersteigt. Dieser Erkenntnisfortschritt kann darin bestehen, dass ein Phänomen erklärt, ein Problem gelöst, ein Produkt geschaffen oder eine neue Frage aufgeworfen wird.[40]

      Vernetztes Denken und Verstehen ist in diesem Verständnis ein zielgerichteter Vorgang, der unter dem Einbezug verschiedener Fächer bzw. fachlicher Perspektiven einen Erkenntnisfortschritt anstrebt. Beim pers­pektivenübergreifenden Verstehen geht es um die Kompetenz, mit dem Fachwissen aus mehreren fachlichen Perspektiven eine überfachliche Fragestellung zu erschliessen und damit Wissen nicht bloss anzuhäufen, sondern es sich intelligent anzueignen und es anzuwenden. Es geht also um die Fähigkeit, kompetent mit Fachperspektiven umzugehen. Sich auf Klakfi beziehend, spricht Detlef Pech im Sinne eines integrativen Entwurfs von Bildung von der Notwendigkeit eines «Zusammenhangsdenkens». Für ihn stellt gerade «das Erschliessen von Zusammenhängen in und mit der Umwelt […] das bildungsrelevante Moment des Sachunterrichts»[41] dar.

      Die Kompetenz des fächer- bzw. perspektivenübergreifenden Verstehens lässt sich in drei Teilkompetenzen ausdifferenzieren:[42]

      •Fachkompetenz: Die Lernenden wenden fachliches Wissen und Können (Methoden) an.

      •Die Fähigkeit, die Fachperspektiven bzw. fachlichen Perspektiven zusammenzuführen: Die Lernenden sind in der Lage, durch Einbezug unterschiedlicher fachlicher Wissensbestände ein Phänomen oder eine übergeordnete Frage zu erklären und zu verstehen.

      •Die Reflexion dieses Vorgangs selbst: Die Lernenden besitzen die Fähigkeit, die Möglichkeiten und Grenzen einzelner Fächer in Bezug auf das zu untersuchende Phänomen bzw. in Bezug auf die Fragestellung zu erkennen und einzuschätzen.

      «Fachlicher Perspektivenwechsel», «vernetztes Denken» und «komplexes Handeln» bilden dabei zentrale überfachliche didaktische Unterrichts­prinzipien, welche die Grundlage bilden zur Bearbeitung gesellschaftlicher Konflikte und Probleme.[43] Der Lehrplan 21 für NMG seinerseits betont die perspektivenübergreifenden Ziele des Unterrichts mit dem Ins­trument der vier «Handlungsaspekte in der Begegnung und Auseinandersetzung mit der Welt in NMG»[44]: In allen fachlichen Perspektiven bzw. Kompetenzbereichen von NMG sollen Schülerinnen und Schüler die Gelegenheit erhalten, die Welt wahrzunehmen, sie zu erschliessen, sich in ihr zu orientieren und in ihr zu handeln. Die Bedeutung der Förderung und Entwicklung vernetzten Denkens als Ziel perspektivenübergreifenden Unterrichts ist besonders hervorzuheben. Vernetzendes Lernen als didaktisches Unterrichtsprinzip geht dabei von zwei Prämissen aus: Erstens muss Lernen vielperspektivisch stattfinden, indem im Unterricht verschiedene Aspekte zu einem Phänomen aufgezeigt werden, und zweitens müssen diese Perspektiven in Bezug auf einen Gegenstand (eine Fragestellung) verknüpft werden.[45]

      Fazit: Wann ist es sinnvoll, einen perspektivenübergreifenden Unterricht durchzuführen?

      Den Unterricht in NMG perspektivenübergreifend oder transperspektivisch durchzuführen ist dann sinnvoll, wenn das ausgewählte Unterrichtsthema vielperspektivisch und vielschichtig ist und sich die zentralen Fragen dazu deshalb auch nicht einfach mit «Ja» oder «Nein» beantworten lassen.

      So können Fragen wie zum Beispiel «Gehören Wölfe in unsere Wälder?» oder «Was ist ein guter Apfel?» nur dann sinnvoll beantwortet werden, wenn viele verschiedene sich gegenseitig beeinflussende Faktoren (Fakten, Annahmen, Thesen) berücksichtigt werden, die wiederum nur durch das Beiziehen von Wissensbeständen und methodischen Zugangsweisen unterschiedlicher fachlicher Perspektiven und/oder von Wissen betroffener Akteure befriedigend beleuchtet werden können.[46]

      Um zu einem sinnvollen perspektivenübergreifenden oder transperspektivischen Unterrichtsthema zu gelangen, ist es nützlich, einen inhaltlichen Fokus in Form einer übergeordneten Fragestellung zu formulieren, der die Beiträge der fachlichen Perspektiven bzw. der Beiträge betroffener Akteure filtert, zusammenführt und sinnvoll vernetzt. Für Lehrerinnen und Lehrer, die einen solchen Unterricht gestalten wollen, besteht die Herausforderung in einem ersten Schritt deshalb darin, eine solche komplexe und bildungsrelevante Fragestellung zu finden. Erst im zweiten Schritt stellt sich dann die Frage, welche fachlichen Perspektiven von NMG bzw. welche Akteure einen Beitrag zur Beantwortung dieser übergeordneten Fragestellung leisten können. Durch die Formulierung einer übergeordneten Fragestellung wird der Unterrichtsgegenstand zudem eingegrenzt und die Vielzahl der möglichen fachlichen Perspektiven und deren inhaltliche und methodische Angebote reduziert.

      Vom Stichwort zum Unterrichtsthema

      Im Lehrplan 21 zum Fachbereich NMG finden sich zu den einzelnen Kompetenzstufen Stichworte zu verbindlich zu behandelnden Inhalten (z. B. «Lebensmittelverschwendung»), Stichworte zur freien Auswahl durch Lehrerinnen und Lehrer (z. B. «Znüni», «Zvieri», «einfaches Essen») oder gar keine Angaben. Auch Zeitschriften für die Praxis des Unterrichts in NMG[47] betiteln ihre Ausgaben oft mit knappen Stichworten wie «Tod und Trauer», «Insekten», «Weltraum», «Ernährung», «Leben in alter Zeit», «Vom Rad zum Roboter», «Spuren der Kindheit», um nur einige Beispiele der letzten Jahre zu nennen. Dasselbe ist anzutreffen, wenn anstatt Zeitschriften handelsübliche Unterrichtswerkstätten betrachtet werden – überall wird von Stichworten ausgegangen. Wie wir bereits am Beispiel eines Themenhefts zu «Wasser» gesehen haben, können daraus Probleme entstehen wie eine hohe Beliebigkeit der Inhalte und daraus resultierendes unverbundenes «Inselwissen» bei den Lernenden. Ginge man stattdessen als Unterrichtsthema von einer übergeordneten Fragestellung aus, liessen sich diese Probleme vermeiden.

      Welche Vorteile bringt es, ein Unterrichtsthema, ob zentriert auf nur eine fachliche Perspektive oder perspektivenübergreifend, in Form einer übergeordneten Fragestellung zu formulieren?

      •Eine übergeordnete Frage dient als roter Faden oder als Klammer einer Unterrichtseinheit. Einzelne Unterrichtssituationen des Unterrichts­prozesses stehen dadurch «in einem thematischen Zusammenhang […], der mit der Beantwortung der Frage seinen vorläufigen Abschluss findet»[48].

      •Der Unterricht dient weniger der Vermittlung von kanonisiertem Wissen als der gemeinsamen Suche nach möglichen Antworten. Eine Frage als roter Faden einer Unterrichtseinheit stimuliert somit Bildungsprozesse, da sie diese «als sinngebend und sinnerschliessend erleben lässt»[49].

      •Übergeordnete Fragestellungen legen den Fokus auf einen exemplarischen, bildungsrelevanten Sachverhalt und filtern dadurch die zur Sprache kommenden inhaltlichen und methodischen Beiträge der fachlichen Perspektiven.

      Die übergeordnete Fragestellung dient in erster Linie der Lehrperson, um auf der Grundlage des Lehrplans das Unterrichtsthema zu definieren und die daraus resultierenden übergeordneten Lernziele und zentralen Inhalte herauszuschälen. Ob die übergeordnete Fragestellung


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