Unterrichtssituationen meistern 2 (E-Book). Rolf Gschwend

Unterrichtssituationen meistern 2 (E-Book) - Rolf Gschwend


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Professorin Universität Zürich

      2 Wie es zu diesem Buch kam

      2.1 Der Fachbereich Sekundarstufe II: Kurse und Tagungen

      Der Fachbereich Sekundarstufe II im Institut für Weiterbildung und Medienbildung der Pädagogischen Hochschule Bern hat den Auftrag, für Lehrerinnen und Lehrer der verschiedenen Schultypen der Sekundarstufe II Weiterbildungsangebote bereitzustellen. Zur Sekundarstufe II gehören im Kanton Bern die Berufsfachschulen, die Mittelschulen und die Brückenangebote. Für die Lehrpersonen dieser Zielstufen gestaltet der Fachbereich Sekundarstufe II (FB Sek. II) seit langer Zeit Weiterbildungskurse und Tagungen. Aus dieser Tätigkeit ergab sich im Verlauf der vergangenen zwanzig Jahre ein «immerwährender Tagungskalender».

NameTerminZielpublikum
EBA-Tagung1. Samstag im MärzjährlichLehrpersonen an Berufsfachschulen, die Lernende unterrichten, die das Eidgenössische Berufsattest (EBA) anstreben.
ImpulstagungMitte MärzjährlichLehrpersonen an Mittelschulen, vorwiegend Gymnasien
FMS-TagLetzter Freitag im MärzzweijährlichLehrpersonen an Fachmittelschulen
Forum Berufsbildung1. Samstag im NovemberjährlichLehrpersonen an Berufsfachschulen
BrückentagLetzter Samstag im NovemberjährlichLehrpersonen an Brückenangeboten

      Für jede Tagung existiert eine Begleitgruppe, die von einem Dozenten oder einer Dozentin des FB Sek. II geleitet wird. Darin sind Schulleitungsmitglieder und Lehrpersonen der jeweiligen Zielstufe vertreten, und oft arbeitet auch eine Vertreterin oder ein Vertreter der Bildungsverwaltung mit. Hier wird das Tagungsthema erarbeitet und die Mitglieder unterstützen die Dozierenden des FB Sek. II bei der Vorbereitung und Durchführung.

      EBA-Tagung 2017

      Im Frühjahr 2016 begann die Planung der 9. EBA-Tagung, die schliesslich am Samstag, 4. März 2017, stattfand. In der Begleitgruppe diskutierten wir mögliche Tagungsthemen wie die Förderung der Arbeitsmarktfähigkeit der Lernenden, den Umgang mit Interkulturalität, die Einführung und Umsetzung der fachkundigen individuellen Begleitung und den Umgang mit Autismus und Legasthenie. Hängen geblieben sind wir an einem Phänomen, das ein Mitglied der Begleitgruppe wie folgt umschrieb:

       «Wir haben den Eindruck, immer öfter EBA-Lernende zu unterrichten, die sich schwertun im Umgang mit ihren Emotionen, oder besser, sie sind diesen hilflos ausgeliefert: mangelnde Impulskontrolle, Wutanfälle, komplettes Abblocken wegen Sorgen in Familie, Betrieb und Freundeskreis.

       Ich spreche nicht von den jungen Menschen, die eine so grosse Bürde zu tragen haben, dass wir nur staunen, wie sie das bewältigen. Eher sind es kleinkindliche Trotzreaktionen, Arbeitsverweigerung, einen «Kopf machen», beleidigt sein und dies ausgiebig inszenieren. Die Ausbildnerinnen und Ausbilder in den Lehrbetrieben sagen oft, sie kennten das Problem. An einem Tag seien, die Lernenden gut gelaunt und arbeitswillig, am anderen gehe gar nichts, weil ihnen eine Laus über die Leber gekrochen sei.»

      Mit der Frage, wie aus diesem Phänomen ein Weiterbildungstag gestaltet werden könnte, sind wir auseinandergegangen. Die nächste Sitzung der Begleitgruppe fand Ende August statt. Kurz vorher erschien das Buch[1] «Unterrichtssituationen meistern. 20 Fallstudien aus der Sekundarstufe II» von Patrick Brugger und Regula Kyburz-Graber. Dieses Buch war ein Wegweiser. Es entstand die Idee, an der Tagung Fallstudien aus dem Ausbildungsalltag resp. Schulalltag der EBA-Lernenden zu bearbeiten. Diese Idee hat die Begleitgruppe unterstützt und alle Mitglieder haben mitgeholfen, acht Autorinnen und Autoren zu finden, die bereit waren, einen Fall aus ihrem Ausbildungsalltag zu beschreiben. Später mussten wir acht Moderatorinnen resp. Moderatoren und gleich viele Fachpersonen finden.

      Im November 2016 erschien die Ausschreibung[2] mit acht kurzen Beschreibungen der Fälle und dem Hinweis, dass an der EBA-Tagung zwei Fälle nach der Vorgehensweise[3] von Patrick Brugger und Regula Kyburz-Graber bearbeitet werden können. Folgende Fälle standen zur Auswahl:

      – Kann sie nicht? Will sie nicht?

      Eine an sich leistungsstarke Lernende bringt Unruhe in die Klasse und (über-)fordert das Lehrerteam durch ihr impulsives Verhalten.

      – Es interessiert mich einen feuchten Dreck, was die anderen machen (…).

      Ein überforderter Lernender mit Verweigerungstendenz und aggressivem Verhalten – Klasse und Lehrpersonen sind ratlos.

      – Alle sind gegen mich

      Eine Lernende nennt die Lehrperson «dumme Siech»; Klassenkolleginnen und -kollegen bringt sie zur Weissglut. Gespräche, Appelle an die Vernunft und Disziplinarmassnahmen nützen nichts, die Situation eskaliert regelmässig.

      – Das Phantom

      Der schwer fassbare Lernende ist ein wahrlich begabter Verweigerer und darum entwicklungsresistent. Bei Gesprächen und in Krisensitzungen zeigt er sich einsichtig, verspricht Besserung, bewegt sich – wenn überhaupt – nur kurzfristig in die versprochene Richtung.

      – Schoggidrink – verschmutzte Jacke – vergiftetes Klima

      Streitigkeiten zwischen Schweizern und Ausländern

      – Sich mit Händen und Füssen verständigen

      Eine 29-jährige Lernende aus Eritrea ist willig und arbeitsam, aber kaum in der Lage, schriftliche Aufträge auszuführen. Ihr bisheriges Leben verlief dramatisch.

      – Ich lass mir von Ihnen gar nichts sagen!

      Ein Lernender reisst die Klassenführung an sich und dominiert den Unterricht.

      – Ein Lernender droht: «Ich gehe bis zum Äussersten»

      Auf Facebook und auf dem Intranet eines grossen Lehrbetriebes wird ein Lernender von seinen Mitlernenden übel beschimpft und verleumdet. Er reagiert mit Selbstmorddrohungen. Wie kann nach einem solchen Vorfall ein lernförderliches Klima in der Klasse geschaffen werden?

      Ende Jahr haben die acht Autorinnen und Autoren ihre Fallbeschreibungen abgegeben, sodass im Januar 2017 die Langfassung der Ausschreibung vorlag. Dieses dreizehnseitige Dokument schien derart interessant, dass die Idee entstand, die Fallbearbeitungen während der Tagung zu dokumentieren. Leider war es knapp sechs Wochen vor dem Weiterbildungsanlass nicht möglich, Leute zum Dokumentieren zu finden.

      Für die Tagung haben sich ca. 80 Personen angemeldet. Am 4. März 2017 hielt Regula Kyburz-Graber das Einführungsreferat, in dem sie die Vorgehensweise der Fallstudienarbeit erläuterte. Danach wurden in den Workshops fast alle Fälle zweimal bearbeitet, und später ergab die Evaluation, dass eine grosse Mehrheit der Teilnehmenden die Ansicht vertrat, es sei sehr lehrreich, sich analytisch derart intensiv mit einer Situation aus dem Ausbildungsalltag auseinanderzusetzen. Für die Tagungsverantwortlichen war klar: Wir haben ein «neues Tagungsformat» geschaffen.

      Brückentag 2018: Planung

      Erfolg motiviert. Deshalb schlugen die Tagungsverantwortlichen im Februar 2018 der Begleitgruppe zum 11. Brückentag vor, am nächsten kantonalen Weiterbildungstag Fallstudien aus den Brückenangeboten zu bearbeiten. Später hat auch die Schulleiterkonferenz diesem Vorschlag zugestimmt. Am Brückentag nehmen gegen 200 Lehrpersonen teil. Sie unterrichten grossmehrheitlich im deutschsprachigen Kantonsteil, eine kleine Minderheit stammt jedoch aus dem Berner Jura und spricht Französisch. Infolgedessen mussten zwölf deutschsprachige und zwei französischsprachige Fallbeschreibungen aus den verschiedenen Brückenangeboten gefunden werden. Dank der Unterstützung der Begleitgruppe haben wir vierzehn Lehrpersonen ausfindig gemacht, die bereit waren, einen Fall aus ihrem Unterrichtsalltag zu beschreiben. Mit den Autorinnen und Autoren der Fallbeschreibungen haben wir vereinbart, dass sie anonym bleiben werden.

      Aufgrund der beschriebenen Problemsituationen engagierten wir Fachpersonen,


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