Mit allem rechnen (E-Book). Geri Thomann

Mit allem rechnen (E-Book) - Geri Thomann


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Geri (2017). Kompetenzorientierung und Bildung auf Tertiärstufe: Drei unterschiedliche Sichtweisen. In: Case Management 4/2017, S. 148–151.

      Weick, Karl. E. & Sutcliffe, Kathleen (2016). Das Unerwartete managen. 3. Auflage. Stuttgart: Schäffer-Poeschel.

      Zanetti, Sandro (Hrsg., 2014). Improvisation und Invention – Momente, Modelle, Medien. Zürich: diaphanes.

      Improvisation legitimiert nachträglich selbst verschuldete Pannen.

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      Theo Wehner und Geri Thomann

      Über den Geltungsbereich improvisierenden Handelns[1]

       Gut ist der Vorsatz,

       aber die Erfüllung schwer.[2]

      Menschen planen, handeln und improvisieren (auch)

       … am besten war ich, wenn ich improvisierte.

      In einer Weiterbildung mit Dozierenden zum Fehler- und Konfliktmanagement ging es um die Voraussetzungen und um die Bewältigung von Fehlern. Die Dozierenden waren sich einig, dass unter anderem fehlende Ressourcen und Gründlichkeit bei der Vorbereitung eine der häufigsten subjektiv wahrgenommenen Fehlerquellen für einen nicht gelungenen Unterricht darstellen. Als wir den Umgang mit Fehlern, Pannen, Irrtümern oder nicht vorher bedachten Störungen im Unterricht reflektierten, gab es viele interessante, meist individuelle Erfahrungsberichte, aber letztlich keinen gemeinsamen Nenner. Eindrücklich war für den Erstautor des Textes die in einem späteren Gespräch selbstbewusste Aussage eines Dozenten: «Am besten war ich, wenn ich improvisierte …» Obwohl dieser Dozent meine kopfnickende Zustimmung erfuhr, schob er unmittelbar nach: «… natürlich ging das nur, wenn ich auch gut vorbereitet war.» Damit ist der Dreiklang benannt, um den es im Folgenden geht: (gründliche) Vorbereitung – (unerwartete) Störung – (selbstsichere) Improvisation.

      Wer erfolgreich improvisiert, braucht – dort, wo der Plan nicht hinreicht, oder dort, wo Störungen auftreten, mit denen nicht zu rechnen ist – Handlungsfähigkeit in Form von Geistesgegenwart beziehungsweise eine gesteigerte Präsenz. Vor diesem Hintergrund soll hier – stark vereinfacht – nachgezeichnet werden, was in der Psychologie unter Handeln verstanden wird.

      Wer improvisiert, der handelt

      Wer vom menschlichen Handeln – im Alltag oder in organisationalen Kontexten – spricht, der spricht irgendwann immer auch und zwar ausführlich vom Planen und weiss sich damit in guter Gesellschaft mit der Praxis von Führungspersonen, Dozierenden, Lehrpersonen und mitunter auch von Lernenden: Sie alle legitimieren ihr Handeln meist durch Planung und finden dafür auch in den angewandten Wissenschaften veritable Referenzen (Walkowiak & Erber-Schropp, 2017 oder Heimberg, 2017).

      Wer hingegen vom improvisierenden Handeln sprechen möchte, relativiert den vermeintlich allumfassenden Geltungsbereich des rational-planvollen Vorgehens und muss jenen der Improvisation – als erweitertes Handlungsvermögen – bestimmen.

      Improvisierendes Handeln – ob in einer musikalischen Darbietung, in der manageriellen, handwerklichen oder pädagogischen Praxis – zeigt sich als aktives Tätigsein, welches zum Beispiel für die Musik nicht auf eine Komposition oder, in den anderen Fällen, nicht auf einen geplanten Ablauf zurückgreift. Um Handeln handelt es sich dabei aber allemal.

      Ohne an dieser Stelle eine Handlungs- oder Tätigkeitstheorie zu referieren oder gar weiterzuentwickeln (Volpert, 1992; Leontjev, 1977), lässt sich, um Handeln zu kennzeichnen, auf enzyklopädisches Wissen zurückgreifen: «Handeln bezeichnet jede menschliche, von Motiven geleitete zielgerichtete Tätigkeit, sei es ein Tun, Dulden oder Unterlassen.»[3] Letztlich ist es die Ethik beziehungsweise die Moralphilosophie, die sich auf universaltheoretischer Ebene mit der Bewertung menschlichen Handelns und auch mit dessen Absichten und Voraussetzungen befasst (vgl. hierzu den Beitrag von Honegger, S. 68). Als zentral gilt dabei eine Hervorhebung von Höffe (1992, S. 92): «Handlungen sind nur verstehbar, wenn sie unter dem Gesichtspunkt betrachtet werden, ob sie ein Mittel darstellen, das gewünschte Ziel zu erreichen.» Der Zweck, die Mittel und die Zweck-Mittel-Relation sind es, die für zielorientiertes menschliches Handeln bestimmend sind – egal, ob es sich um improvisierendes, schöpferisches, kreatives, innovatives oder auch um rational-planvolles Handeln handelt.[4]

      Das Tätigsein verbindet Mensch und Umwelt

      Obschon – gerade in institutionellen Kontexten, wie Schule, Hochschule oder Betrieb – behavioristisches Denken und Handeln (Skinner, 1938) in Form von Belohnung und Bestrafung noch häufig anzutreffen ist, ist das Reiz-Reaktions-Schema, was der Verhaltensverstärkung und -löschung zugrundeliegt, in seinem Geltungsbereich stark eingeschränkt und weitgehend durch kognitive Modelle (Miller et al., 1960; Neisser, 1976) ersetzt worden. Letztere beziehen auch innerpsychische Verhaltensprozesse mit ein. Hervorgehoben wird damit, dass nicht die Unmittelbarkeit zwischen Umweltreizen und menschlichen Verhaltensreaktionen die «Mensch-Umwelt-Beziehung» (M–U) am treffendsten beschreibt, sondern eine durch Vorschau und Rückkopplungsprozesse sich ergebende Kreisstruktur. In dieser Struktur tritt die menschliche Tätigkeit (Leontjev, 1977) als verbindungsstiftendes Glied zwischen die «Subjekt-Objekt-Beziehung» (S–T–O). Dabei spielen selbstverständlich Bedürfnisse, Motive, Einstellungen, mentale Modelle und Erfahrungen eine zentrale Rolle. Für unsere Diskussion genügt es festzuhalten: Wir verhalten uns nicht reizgesteuert, womöglich gar reflexartig. Wir sind vielmehr selbstbestimmte beziehungsweise weitgehend autonome Handlungswesen und beziehen dabei – aufgrund kontextueller Gegebenheiten – auch nicht bewusst zugängliche Fähigkeiten mit ein. Zu nennen sind hier zumindest folgende Konzepte: tacit knowledge (Polanyi, 1985); «gefühltes Wissen» (Gigerenzer, 2007, 2008); embodied mind (Fuchs, 2018); «Presencing = gegenwärtiges Erspüren» (Scharmer, 2015, S. 172, vgl. auch den Beitrag von Kuhn, S. 154) oder eben improvisierendes Handlungsvermögen (Dell, 2002, 2012). Diese impliziten, nicht grundsätzlich bewusstseinspflichtigen Wissensformen bergen Schnittmengen zum improvisierten Handeln, wie es in diesem Band thematisiert wird. Wir verweisen weiter unten nur auf eines dieser Konzepte, das «subjektivierende Handeln» nach Böhle (2017).

      Wer tätig ist und handelt, der antizipiert

      «Wie wir handeln, was wir können» (Volpert, 1992) ist umfassend erforscht sowie beschrieben worden und beeinflusste über viele Jahrzehnte die angewandten Disziplinen, insbesondere die Arbeitspsychologie (Hacker, 1986; Ulich, 2005). Wie immer die verschiedenen handlungstheoretischen Konzepte dargestellt werden, lassen sich die Teilaspekte auf wenige Komponenten reduzieren (s. Abb. 1) und stimmen in Hinblick auf ein zentrales Merkmal menschlichen Handelns – das der Zielantizipation – überein. Die Vorwegnahme eines Ziels charakterisiert letztlich das, wovon jedes Handeln handelt (vgl. Stadler & Wehner, 1983, 1985): Wenn sich individuelle Wünsche entwickeln und psycho-physiologische Bedürfnisse zeigen und selbst dort, wo Ideen ins Bewusstsein gelangen, entsteht parallel dazu auch ein antizipiertes (Wunsch-)Ziel[5].

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       Abbildung 1: Allgemeines psychologisches Handlungsmodell

      Der Antizipationsbegriff ist seit Cicero belegt und bezeichnet, dass Ereignisse, Entwicklungen oder Handlungen vorweggenommen werden. Der Begriff verweist aber auch auf die Fähigkeit aller lernfähigen Lebewesen, aus dem Gelernten – durch Reflexionsprozesse – Konsequenzen für zukünftiges Handeln zu ziehen. Die Frage nach der Antizipation ist damit auch die Frage nach der Quantität und Qualität vorher durchlaufener Handlungs- und Lernprozesse. In seiner früh formulierten und bis heute Evidenz beanspruchenden «Theorie der Persönlichen Konstrukte» formulierte G. A. Kelly (1955, S. 156) wie folgt: «Die psychischen


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