Einsiedlerkrebs. Patrick Budgen

Einsiedlerkrebs - Patrick Budgen


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haben. Voller Euphorie verkünde ich, dass es die harmloseste Version dieser Arschloch-Krankheit ist. Eine Euphorie, die meine geschockten Gesprächspartner etwas überfordert und verwundert. Denn das Wort Krebs löst wohl bei den meisten von uns nach wie vor den Gedanken aus, dass es mit den Betroffenen bald vorbei ist und man sich langsam verabschieden sollte.

      Als Erstes rufe ich meinen Lebensgefährten Alexander an, der ebenso schockiert reagiert, da er wohl bis zuletzt gehofft hat, dass sich alles als einfache Virusinfektion herausstellt. Er lässt in seinem Büro alles liegen und stehen und kommt sofort nach Hause, um mit mir gemeinsam ins Spital zu fahren, um den Befund zu besprechen. In der Garderobe schnappe ich mir intuitiv eine Kappe und setze sie auf, irgendwie habe ich das Gefühl, dass meine Haare jetzt schon weg sind, obwohl das natürlich noch nicht der Fall ist.

      Im Spital angekommen warten wir in einem recht schäbigen Gang, in der onkologischen Abteilung. Onkologie! Eine Abteilung, an der man in Krankenhäusern immer vorbeigeht und hofft, dass man dort nie landet. Jetzt bin ich hier und zwar nicht als Besucher, sondern als Patient. Mit einem breiten, freundlichen Lächeln begrüßt uns der Oberarzt, der sich extra schnell die Zeit freigeräumt hat, um mir alles zu erklären und den Fahrplan der nächsten Wochen und Monate zu besprechen. »Die gute Nachricht zuerst, es ist kein Todesurteil und Sterben ist absolut kein Thema«. Ein Satz, der mich sehr beruhigt, aber ganz stark nach einem »aber« klingt. »Bei der CT-Untersuchung haben wir festgestellt, dass in Ihrer linken Körperhälfte mehrere Areale von der Erkrankung betroffen sind, auch der Oberschenkel.« Ein Satz, der wie ein Fallbeil auf mich einschlägt. Im Knochen? Metastasen? Was bedeutet das? Der wirklich sympathische und besonnene Mediziner merkt meine Angst und setzt sofort nach. »Das hat nichts mit Metastasen zu tun, das sind die Lymphbahnen, das ist Teil dieser Hodgkin-Erkrankung«. Mein Puls verlangsamt sich unmerklich, aber es ist zumindest eine Entwarnung und die schlimmsten Bilder, die ich mir binnen Sekunden in meinem Kopf ausgemalt habe, verschwinden zumindest ein wenig.

      Trotzdem haben es auch die nächsten Infos in sich, die der Doc für mich parat hat. »Wir müssen nächste Woche mit der Chemotherapie beginnen, die sechs Monate lang dauern wird.« Wow. Sechs Monate, ein halbes Jahr. Sofort tauchen in meiner Vorstellung leidende, glatzköpfige Menschen auf, die an einem Tropf hängen und aufs Sterben warten. Mitten in meine Gedanken hinein erklärt er mir den Zyklus, wie das bei Chemotherapien heißt. Am ersten Tag eine Infusion, dann sechs Tage lang Medikamente, am achten Tag wieder eine Infusion, danach zwei Wochen lang Pause – das Ganze insgesamt acht Mal. »Werden mir die Haare ausfallen?«, frage ich ihn, fast schon in einer Art Ruhe, die in den letzten Minuten in mir eingekehrt ist. »Ja, das werden sie. Auch die Augenbrauen. Aber die wachsen nach Ende der Therapie wieder nach«. Es sind fast zu viele Informationen für mich, mein Kopf kommt mit dem Denken und Verarbeiten nicht nach. »Sie werden sehen, Sie werden da gesund wieder herauskommen und eine ganz normale Lebenserwartung haben. Aber das nächste halbe Jahr wird hart«, erklärt mit der Arzt Anfang fünfzig.

      Ich – ganz Journalist – will mir sofort ein Bild von dem machen, was mich da die kommenden Monate erwartet und frage ihn, ob ich mir die Station anschauen darf, die ich in der kommenden Zeit öfter sehen werde. Der Arzt, Alexander, der alles mitgeschrieben hat und mir ein großes Gefühl der Sicherheit in dieser schrecklichen Situation gibt, und ich gehen aus dem alten Pavillon ein paar Schritte weiter in ein ziemlich neues Gebäude. Viel Glas, hell und freundlich schaut es aus. Als wir auf die Station kommen, bestätigen sich meine Bilder, die ich vorher im Kopf hatte. Viele glatzköpfige Menschen, die an Infusionen hängen und alles andere als gesund ausschauen. Einzig ein älterer Herr, der ganz hinten an einem Holztisch sitzt, scherzt lebhaft mit einer Krankenschwester. Mit dem könnte ich es auch lustig haben, denk ich mir. Nach fünf Minuten beenden wir unseren Rundgang und der Arzt verabschiedet sich freundlich von uns. »Bis Montag, wir schaffen das schon«, sagt er.

      Ich habe das dringende Bedürfnis, bei meiner Familie zu sein. Alexander und ich fahren vom Krankenhaus direkt nach Hause zu meinen Eltern, um sie über den Fahrplan und die genaue Diagnose zu informieren. Meiner stets optimistischen Mutter fällt es merklich schwer, ihre Zuversicht zu behalten, bei all den Informationen. Auch wenn es so gut wie sicher ist, dass ich nicht an dieser Krankheit sterben werde, ist die Aussicht auf sechs Monate Chemotherapie alles andere als ein Kindergeburtstag. Nach langen Gesprächen kommen wir aber zu dem Schluss: »Wir schaffen das. Gemeinsam«. Es ist ein gutes Gefühl, so starken Rückhalt in einer solchen Situation zu haben, auch wenn mir die Angst vor dem, was jetzt kommt, bereits tief in der Brust sitzt.

      FREITAG, 14. FEBRUAR 2020

      Es ist Valentinstag. Alle Zeitungen und Fernsehwerbungen sind voll von Blumen, Schokolade und Liebenden, die sich küssen und umarmen. Für mich hat der Valentinstag heuer einen Strauß voller Sorgen, Angst und auch Panik parat. Langsam verankern sich in mir die Gedanken daran, was in den nächsten Monaten auf mich zukommen wird. Wobei es nach dem Aufwachen immer ein paar Stunden dauert. Ist das wirklich alles passiert? Habe ich das nur geträumt? Diese Fragen stellen sich mir nur kurz, denn das riesige Pflaster auf meinem Hals, an jener Stelle, an der man mir einen der bösen Lymphknoten entfernt hat, gibt mir recht schnell eine klare Antwort. Das Gefühl in mir ändert sich fast stündlich und kommt und geht in Wellen. Abwechselnd denke ich: »Ich schaffe das schon. Es hätte mich noch viel schlimmer erwischen können«, und: »Ich habe keine Kraft für das alles und es wäre besser, einfach vor ein Auto zu laufen und sich das Ganze zu ersparen.«

      Fast minütlich melden sich Freunde und Familie bei mir. Alle von ihnen haben natürlich das Wort »Hodgkin« gegoogelt. Ich merke, dass ihnen die Informationen, die sie bei Dr. Google gelesen haben, Zuversicht und Beruhigung geben. Ich habe mir das Recherchieren im Internet dazu ab sofort verboten. Ich kenne mich. Statt die vielen positiven Infos und guten Krankheitsverläufe zu lesen, würde ich mir das Schlimmste herauspicken und in meinem Hirn wie ein Postit festkleben. Deshalb lass ich es lieber. Ich habe heute aus dem Bauch heraus allerdings zwei Entscheidungen getroffen.

      Erstens: Ich möchte meine Genesung nicht zu Hause absolvieren. Ich habe die letzten Monate dort zu oft zu schlecht geschlafen, mir zu viele Sorgen gemacht und nicht zuletzt auch die Diagnose sitzend an unserem gläsernen Esstisch erfahren. Ich muss da raus, brauche einen Tapetenwechsel. Eine Stunde von Wien entfernt haben meine Eltern seit zwanzig Jahren ein kleines Haus mit großem Garten. Viele schöne, unbeschwerte Stunden habe ich als Kind dort verbracht. Ostern ist nach wie vor ein Fixtermin, an dem sich die ganze Familie in Pitten trifft. Der Gedanke an diesen Ort, den Garten, die gute Luft und die Natur lässt in mir seit langem so etwas wie ein Wohlgefühl aufkommen. Hier möchte ich mich erholen, Kraft tanken und Freunde und Familie empfangen.

      Die zweite Entscheidung setze ich gemeinsam mit Alexander gleich in die Tat um: Ich lasse mir die Haare abrasieren. Ich eitler Kerl, der täglich 15 Minuten vor dem Spiegel verbringt, um seine Frisur mit Haarwachs in die richtige Form zu bringen. Ich kann meinen Entschluss selbst nicht glauben. Aber es ist Intuition. Ich weiß, mir werden die Haare ausfallen, doch statt darauf zu warten möchte ich zumindest in diesem Punkt das Heft – beziehungsweise den Rasierer – selbst in der Hand haben. In unserem Badezimmer greift Alexander zum Bartschneider und legt los. Mit dem surrenden Geräusch im Hintergrund sehe ich nach und nach, wie meine pechschwarzen Haarsträhnen auf den Boden fallen. Ich sitze mit dem Rücken zum Spiegel und habe Angst vor dem Ergebnis. Leider sind unsere Bartschneider nicht besonders scharf, deshalb müht sich mein Aushilfsfriseur redlich damit ab, wirklich alle Haare zu erwischen. Beim richtigen Friseur wollte ich das nicht machen lassen, dieses Ritual schien mir dafür zu privat.

      Nach etwa zwanzig Minuten ist meine »neue Frisur« fertig. Voller Aufregung in den Knochen schaue ich in den Spiegel und bin überrascht. So schlimm schaut es gar nicht aus. Gar nicht so krank, wie ich es mir ausgemalt habe. Mein Bart, den ich seit meinem 18. Lebensjahr trage, ist zu diesem Zeitpunkt noch da. Weil ich aber weiß, dass auch dieser ausfallen wird, greife diesmal ich zum Rasierer und mache kurzen Prozess. Mit viel Schaum und Wasser rasiere ich mir nach und nach mein Markenzeichen ab. Ich schaue in den Spiegel und blicke prüfend in mein »neues Gesicht«. Jünger schaut es aus, sehr ungewohnt, aber zum Glück nicht so schlimm, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich mache ein Selfie von mir und schicke es mit #newstyle in unsere WhatsApp-Familiengruppe. Binnen Minuten poppen die Antworten meiner Eltern und Brüder auf und alle sind sich einig: Ich schaue aus


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