Bock auf Lernen (E-Book). Andreas Müller
die Dinge gut merken.•Prüfungen und Noten zeigen, wie viel sie gelernt haben.•Je mehr Stoff behandelt wurde, desto mehr wissen die Schüler.•So erwerben sie Kompetenzen, die ihnen später nützen.
So ein Quatsch! Lernen vollzieht sich nach völlig anderen Mustern. Was auf den ersten Blick zwar wie »Lernen« aussieht, entpuppt sich auf den zweiten Blick als »Schule«. Und das ist nicht das Gleiche. Bei Weitem nicht.
Bock auf Lernen
Grundsätzlich läuft die Sache etwa so ab: Das Leben – und die Schule ist ein spezieller Teil davon – stellt die Menschen vor bestimmte Aufgaben. Morgens aufstehen ist eine solche Aufgabe. Die Zähne putzen eine andere. Oder: Am Ende Geldes noch viel Monat übrig haben. Oder: Ein Buch in englischer Sprache lesen und verstehen. Oder: Frühmorgens joggen gehen. Oder: Die binomischen Formeln kennen.
Hürden auf dem Weg: Auch fürs Lernen gilt – wer erfolgreich sein will, muss Bock haben
Jede dieser Aufgaben stellt in gewisser Weise eine Hürde dar. Sie unterliegt damit einer meist unbewussten Bewertung nach subjektiven Erfahrungskriterien: Wie hoch ist der vermutete Aufwand? Und wie groß ist der potenzielle Nutzen?
Und klar: Je ungünstiger das Verhältnis zwischen vermutetem Aufwand und potenziellem Nutzen, desto weniger Bock haben Menschen, sich der Sache anzunehmen. Wenn das Leben in irgendeiner Weise erfolgreich verlaufen soll, müssen die Menschen Bock darauf haben, sich den Anforderungen zu stellen. Viel Bock sogar. Das gilt uneingeschränkt auch für schulisches Lernen. Bock auf Lernen heißt deshalb die Devise.
1. Illusion
Schulen sind gedacht als Orte, wo Schüler lernen.
Eigentlich versteht sich die Schule als ein Ort des Lernens. Zumindest hat sie sich dieses Begriffs bemächtigt. Und sie verwendet ihn synonym. Schule gleich Ort des Lernens. Ort des Lernens gleich Schule. Das ist mal die eine Seite.
Eine andere: Die allgemeine Schulpflicht beordert Kinder und Jugendliche in unseren Breitengraden während zwölf- bis fünfzehntausend Stunden zu einer Tätigkeit, die unter der Bezeichnung »Lernen« in Schulhäusern und Klassenzimmern inszeniert wird. Sollte es dann nicht so sein, dass sich dem Nachwuchs in kognitiver und emotionaler Hinsicht Gewinne eröffnen, wenn er schon so viel Lebenszeit in schulisches Lernen investieren muss? Er muss etwas davon haben, einen gefühlten Return on Investment. Bock am Lernen also und an dem, was dabei entsteht. Und damit Bock auf Lernen.
Ein Team der Universität Wien hat über viertausend Schüler befragt. Es wollte unter anderem wissen, wo das Lernen Spaß macht. Die Antwort kann eigentlich nur lauten: in der Schule. Lautete sie auch: allerdings nur von Kindern in der vierten Schulstufe. Von da an ging’s bergab – im freien Fall. In der 11. Schulstufe konnte gerade noch jeder Fünfte der Jugendlichen dem schulischen Lernen so etwas wie Freude abgewinnen.
Freude auf Talfahrt: Die Lust am Lernen nimmt mit zunehmender Schuldauer rapide ab
Na gut, kann man dem entgegenhalten, in den ersten Schuljahren wird halt noch gespielt und gebastelt. Aber irgendeinmal kommt dann der Ernst des Lebens – auch in der Schule. Dann ist fertig lustig. Dann wird es Zeit, richtig zu lernen.
Das ist absoluter Quatsch. Menschliche Gehirne lernen bloß zu ihren eigenen Bedingungen. Und eine dieser Bedingungen heißt: Es braucht eine emotionale Beziehung zu dem, was man tut. Ob in der Schule, am Arbeitsplatz, in der Freizeit, in der Partnerschaft – wer nicht ist, wo er sein möchte, der leidet. Wer tun muss, was er nicht einsieht, leidet. Und dementsprechend ist das, was dabei rauskommt.
Dabei geht es keineswegs um eine Lebensgestaltung, die frei ist von allen Anforderungen. Ganz im Gegenteil: Was Menschen zufrieden macht – auch beim schulischen Lernen – sind nicht Hängematte, Sandstrand und Palmen – jedenfalls nicht auf Dauer. Es ist nicht das vergnügliche Leben (life of pleasure). Das ist zu inflationär. Ein besonderes Erlebnis ist nicht mehr besonders, wenn es immer ohne Anstrengung zu haben ist. Um den gleichen Lustgewinn zu erzielen, muss das Vergnügen gesteigert werden.
Zwar kommt dem Nichtstun als anzustrebender Zustand in der heutigen Gesellschaft durchaus eine Bedeutung zu. Es ist eine Bedeutung, die in den Medien und mit den Medien eifrig gefördert wird, aus purem Eigeninteresse. So sind heutzutage viele Menschen eine Art Pendler, Pendler zwischen zwei Extremen. Einerseits fühlen sie sich überfordert von zahllosen – echten oder vermeintlichen – Stressquellen des Alltags. Deshalb tun sie andererseits in der Freizeit oft Dinge, die sie unterfordern, weil sie weder Engagement noch Anstrengung abverlangen. So sind sie ausgelaugt und zugleich gelangweilt, werden zunehmend unzufrieden und suchen vergeblich Erfüllung in noch mehr Konsum und noch mehr Zerstreuung auf einem Logenplatz für die flüchtigen Spektakel der Welt.
Freude an der Leistung
Da kann die Schule nicht mithalten. Soll sie auch nicht! Denn was die Menschen – und um die geht es ja in der Schule – wirklich zufrieden macht, ist die Freude an sich selbst. Die Freude an dem, was sie geschaffen und geschafft haben. Die Freude an der eigenen Leistung. Es ist das engagierte Leben (life of engagement), das in hohem Maße zu dem führt, was mit dem Begriff »Spaß« meist falsch konnotiert wird. Denn Glück entsteht – nicht nur, aber besonders – durch Situationen, die unsere Fähigkeiten und unser Geschick herausfordern, in einer Art und Weise, die zwar schwierig, aber machbar sind. Das sind die richtig coolen Erfahrungen: I did it! Und: Yes, we can!
Schuld und Sühne: Lehrpersonen sehen die Gründe für die Unlust vor allem bei den Schülern und deren Umfeld
Wenn sich nun aber diese Art von Spaß – die Freude an der eigenen Leistung – bei den Kindern und Jugendlichen mit zunehmender Dauer immer weniger manifestiert (siehe diese Grafik), muss man sich die Frage stellen: Was läuft da falsch? Was macht die Schule falsch, wenn vier Fünftel der Jugendlichen lieber anderswo lernen? Nichts! Nichts macht sie falsch – zumindest wenn die Exponenten des Systems befragt werden.
Es liegt ganz eindeutig an den Schülern, klar. An ihrer fehlenden Motivation, an ihrer fehlenden Bereitschaft sich anzustrengen, an ihrer fehlenden Kompetenz. Und natürlich an den familiären Hintergründen. Wer jedoch kaum etwas zum guten Gelingen beitragen kann, das sind die Pädagogen und das ist ihre Art, den Unterricht zu gestalten.
Hallo?! Was soll das?! Genau darauf kommt es doch an – auf die Lehrer und auf die Art und Weise, wie sie das tun, was sie tun (oder nicht tun). Genau darauf kommt es an, damit Kinder und Jugendliche Bock auf Schule haben, damit Schule ein Ort ist, wo es sich hinzugehen lohnt – nicht nur wegen der Pause, nicht nur um Freunde zu treffen und nicht nur um zeigen zu können, welche neuen Apps man sich aufs Smartphone geladen hat. Lernende haben dann Bock, wenn sie sich bewähren können gegenüber ihren eigenen Ansprüchen und Zielen. Oder anders gesagt: Wenn sie stolz sein können auf das, was sie erreicht haben. Wenn die Aktivitäten in der Schule Sinn machen. Denn Sinn macht Spaß.
Für später
Wenn Jugendliche gefragt werden, weshalb