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oder wurden darum oft stark ritualisiert. Man denke zum Beispiel an die extrem abgesicherte ritualisierte Zwischenzeit zwischen dem Tod eines Papstes und der Ernennung seines Nachfolgers. Auch die Überbrückung des Machtvakuums, beim Tod des Königs in Monarchien, wurde jeweils auf möglichst minimal kurze Zeit beschränkt, um die Unsicherheit und Gefahr zu bannen: «Le roi est mort, vive le roi» suggeriert, dass es keine Zwischenzeiten gab.
Sichernde Rituale begleiten in vielen Kulturen den Wechsel vom Kind zum Mann oder von der Braut zur verheirateten Frau. Die ritualisierten Initiationszeremonien vieler Kulturen hatten den Zweck, den Jugendlichen in der Zwischenphase Sicherheit zu vermitteln, sie in der Gemeinschaft zu stärken und in ihre neue Rolle in der Gesellschaft hineinzubegleiten. Rituale in Form von gemeinsamen Feiern waren auch bei uns früher stärker vorhanden. Die Gemeinde oder das Dorf nahm teil an der Statusveränderung der jungen Leute und hat sie dabei begleitet und sicher an den neuen Platz innerhalb der Gesellschaft überführt.
In unserer individualisierten und pluralistischen Gesellschaft sind Übergänge kein Thema mehr, sie werden in den privaten Bereich verbannt. Jugendliche werden weitgehend in ihrer Schwellen- oder Umwandlungsphase alleingelassen. Die öffentlichen Rituale zwischen Schule und Arbeitsbereich, zwischen Kind und Erwachsenem, sind minimalisiert und geben kaum mehr Sicherheit.
Ledergerber/Ettlin (2006) beschreiben den Bedeutungszuwachs der Schwellenphase in einer Gesellschaft, die arbeitsteilig organisiert ist und in der die Verantwortung für die Sicherung der Übergangsphasen nicht mehr als Ganzes wahrgenommen wird.
«Die Aufteilung des Übergangs zwischen Schule und Beruf auf unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen oder ‹Trägerschaften› hat Konsequenzen. Was früher als gemeinsame Verantwortung verstanden wurde, wird durch diese Arbeitsteilung segmentiert. Die Gefahr besteht, dass Schule und Wirtschaft den Blick für den ganzen Übergang verlieren und sich nur noch als ‹Aufnehmende› oder ‹Abgebende› verstehen. Die Herausforderung wächst, die unterschiedlichen Gesetzmässigkeiten, welche in den beiden gesellschaftlichen Teilbereichen wirksam sind, zusammenzubringen. Auf den Übergangsvorgang übertragen, bedeutet dies, dass die ‹Schwellen- und Umwandlungsphase› wichtiger wird und dass auch die Vermittlungs-, ‹Übersetzungs-› und Anpassungsleistungen in dieser Phase anspruchsvoller werden.»
Die Professionalisierung dieser Arbeit steht erst in den Anfängen. Wir stellen fest, dass die Lernenden, die eine zweijährige Grundbildung beginnen, sehr oft noch in der Schwellen- oder Umwandlungsphase stecken. Sie sind in ihrer persönlichen Entwicklung noch nicht am sicheren Ende der Passage angekommen, sie haben auch den Schritt von der Schule ins Berufsleben noch nicht wirklich vollzogen.
Anrecht auf individuelle Begleitung
Selbstverständlich sind viele junge Leute starke, gewiefte «Berggänger» und schaffen den Übergang ohne grössere Probleme, wir können sie sehr locker und mit Distanz begleiten. Sie brauchen niemanden, der sie an der Hand nimmt. Es ist allerdings auch für sie beruhigend zu wissen, dass jemand da ist, falls sie straucheln oder plötzlich nicht mehr weiterwissen. Erfahrungsgemäss können die Probleme oft fast über Nacht kommen oder kumulieren in einer Art und Weise, dass die Situation plötzlich eskaliert und zur Krise wird. Das Bewusstsein, dass ein Mensch, eine Vertrauensperson da ist, falls es notwendig wird, kann Sicherheit vermitteln.
Schon kleine bürokratische Hindernisse wie das Schreiben von Anträgen um Unterstützung oder Behördengänge und Gesuche sind in wirklichen Notsituationen oft zu viel. Darum macht es Sinn, wenn ein niederschwelliges Angebot vorhanden ist.
Es muss klar sein, wer Ansprech- und Vertrauensperson ist – und diese Person muss zugänglich sein ohne bürokratische Umwege. Es macht auch Sinn, wenn die Jugendlichen Vertrauen zu einer Bezugsperson aufgebaut haben, bevor es zu Krisen und «trouble-shooting»-Bedarf kommt.
Risikojugendliche, Ressourcen und Resilienz
Im Zusammenhang mit den neuen Case-Management-Projekten und mit der wachsenden Einsicht, dass gefährdeten Jugendlichen nur individuelle Begleitung hilft, wird immer wieder von Risikojugendlichen gesprochen. In diesem Zusammenhang wird auch oft das Konzept der Resilienz bemüht. Mit Resilienz wird die Widerstandsfähigkeit bezeichnet, die Fähigkeit eines Menschen, sich von Schicksalsschlägen zu erholen und sich an veränderte Bedingungen und Situationen anzupassen. Die Resilienzforschung geht auf Werner und Smith (1982) zurück. Sie haben beobachtet, dass einige Kinder eine recht unbeschwerte Jugend durchlebten und sich im Erwachsenenleben gut zurechtfanden, obwohl sie in extremer Armut aufwuchsen und ihre Eltern psychisch krank waren. Andere solche Risikokinder schafften es nicht, den Stress, die Schwierigkeiten und die negativen Entwicklungsvoraussetzungen zu bewältigen. Die Gruppe, die trotz widrigster Umstände ihr Leben gut in den Griff bekam, bezeichnete man als unbesiegbar oder als resilient. Das Konzept der Resilienz ist ein umfassendes Konzept; Resilienz ist offenbar von verschiedenen persönlichen Faktoren und Umweltressourcen abhängig. Temperament und Intelligenz, hohes Selbstwertgefühl und gute Bewältigungsstrategien spielen ebenso eine Rolle wie soziale Unterstützung, Freundschaften, sichere Bindungen, Vertrauen und positive Interaktionen mit Erwachsenen.
Grob und Jaschinsky (2003) geben Erklärungen und Hintergrundinformationen zu den Bewältigungsstrategien, Schutzfaktoren und allfälligen Beeinflussungsmöglichkeiten und gehen folgenden Fragen nach:
›Unterscheiden sich resiliente Jugendliche im Umgang mit Alltagsproblemen von anderen Jugendlichen?
›Glauben resiliente Jugendliche, sie hätten die Welt und sich selber besser im Griff als andere Jugendliche?
Sicher ist es so, dass einige Jugendliche «resilienter» sind als andere, sicher ist es auch so, dass diese Fähigkeit, widerständig zu sein, eine grosse Ressource ist. Wie aber unterscheiden sich resiliente Jugendliche von gefährdeten? Gibt es erkennbare Muster in ihrem Verhalten, die z. B. auf Bedrohungsszenarien hinweisen? Gotthilf Gerhard Hiller stellt für die pädagogische Arbeit mit Risikojugendlichen und jungen Erwachsenen in brisanten Lebenslagen auch kritische Fragen zum Resilienzkonzept (2006).
«Resilienz» – ein fragwürdiges, ja gefährliches Konzept?
Hiller vertritt die These, dass die individualistisch psychologisierenden Konzepte von Resilienz der vereinfachenden und verheerenden Aussage Vorschub leisten, es gäbe eben Jugendliche, denen nicht mehr zu helfen sei. Dies insbesondere dann, wenn Resilienz als personale Eigenheit oder biogenetische Disposition verstanden werde. Sicher gibt es Menschen, denen gesundheitsgefährdende Verhältnisse weniger anhaben können als anderen, die Krankheiten und Unfälle ohne Beeinträchtigungen überstehen, während andere daran zugrunde gehen. Das ist aber, laut Hiller, auch in der Medizin kein Grund, Trainingsprogramme zur Stärkung der subjektiven Widerstandsfähigkeit gegen gesundheitliche Risiken zu entwickeln.
Die Mediziner machen ihre Arbeit, ohne sich zu fragen, bei welchen Patienten sich die Arbeit eher lohnt, weil sie aufgrund einer angeborenen oder kultivierten Widerstandsfähigkeit gesünder weiterleben als andere. Es gilt dort, Leben zu retten oder Leiden zu mindern, ohne danach zu fragen, ob und wie lange ein Patient die Intervention überlebt und ob oder wie sich dessen Resilienzprofil durch die Behandlung verändert. Das Resilienzkonzept geht von einer gefährlichen Ursache-Wirkungs-Theorie aus. Denn davon, dass unsere pädagogischen Bemühungen Erfolg zeigen, dass sich unsere Anstrengungen bei den Jugendlichen in Widerstandsfähigkeit umwandelt oder manifestiert, können wir keinesfalls ausgehen.
Wenn wir von biogenetischer Disposition ausgehen, dann ist die Gefahr gross, dass wir all jene fallen lassen, die eben nicht mit den erhofften Resultaten aufwarten können, die zum Beispiel mit geringen kognitiven Fähigkeiten, emotionaler Instabilität, unzureichender Sozialkompetenz oder anderen Beeinträchtigungen leben müssen. Hiller sagt meines Erachtens zu Recht, dass sich meist erst im Nachhinein feststellen lässt, wer jetzt traumatische Erlebnisse, Krisen und Katastrophen besser und mit weniger Schaden überstanden hat. «Da daraus prognostisch nichts folgt», sagt er, «ist es zweckmässiger, solche Befunde als glückliche Zufälle zu interpretieren; sie haben keinerlei Bedeutung, weder für die Theorie noch für die Praxis einer Pädagogik, die um die prinzipielle Unverfügbarkeit ihrer Bemühungen weiss und die deshalb ausdrücklich darauf verzichtet, ihre Investitionen nach Massgabe messbarer Zuwächse an erwünschten Wirkungen bei ihren Adressaten