Die Anatomie des Schicksals. Johannes Huber

Die Anatomie des Schicksals - Johannes Huber


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vierzig Jahren wäre Donald Trump nicht US-Präsident geworden, heißt das zum Beispiel. In zwanzig Jahren würde Angela Merkel nicht mehr frohgemut in die Hände klatschen und versprechen: »Wir schaffen das!« Die Beatles würden heute keine Castingshow gewinnen.

      Das Schicksal der Geschlechter

      Das nächste Zeitalter wird wieder andere Schicksale formen, und es drängt bereits vor. Es richtet sich auf eine quasi neue planetarische Ordnung aus. Die Klassifizierung Mann und Frau soll in einer neuen bizarren Weltordnung nicht mehr gelten. Hochgepriesen wird der globale Uniformismus. Alles will gleich sein. Es kommt zur Angleichung der Geschlechter. Zur Veränderung von Reproduktion und Fortpflanzung. Zur Forderung einer künstlichen Gebärmutter, um den Unterschied zwischen Mann und Frau auszulöschen. Zur Einebnung von Ethnien und Hierarchien. Zu einer schulischen Freigabe der beliebigen und nachhaltlosen Sexualität – jeder möge penetrieren, wen er, sie oder es will.

      Es kommt zu einer Veränderung der Werte. Zu einer neuen Spiritualität. Zu einem elektronischen Exhibitionismus, jeder will sich der digitalen Welt zeigen. Zu einem überbordenden Narzissmus, einer Folge der frühkindlichen Anbetung und falsch verstandener Kindesliebe. Pädagogischen Widerspruch gibt es nicht mehr, Gewissenserforschungen werden abgeschafft, jedes Kind ist das beste und braucht keine Korrektur. Das arretiert sich, das bleibt bis zum Lebensende erhalten.

      Helikoptereltern meinen, ihrem Kind die allerbeste Entwicklung auf der ganzen Welt angedeihen zu lassen, indem sie ihm jede nur erdenkliche Aufmerksamkeit sehenken, die eine Umlegung ihrer eigenen Selbstverliebtheit auf das Kind ist. Sie schütten es mit zu viel Aufmerksamkeit zu und verhindern so paradoxerweise dessen eigene Entwicklung und das soziale Abschleifen mit anderen. Das Kind hat gar keine Chance mehr, sich anders zu entfalten, als die Eltern das bis ins allerletzte Detail gewollt, geplant und gecheckt haben. Kontrolle ist alles.

      Im Erwachsenenalter führt das zu ungebremstem Narzissmus. Das Kind, dann die Frau oder der Mann liebt sich so sehr und genau diese Egomanie wird dann wieder an die nächste Generation weitergegeben. Liebe zum Beispiel ist dann in diesem neuen Zeitalter … ich.

      Der Mensch steht so mitten im Sog einer gewaltigen schicksalhaften Veränderung. Epigenetik und vor allem evolutionäre Entwicklungsbiologie stellen in diesem dynamischen kosmischen Biotop lang gesuchte Zusammenhänge zwischen Erbgut und Gestalt her, zwischen Genotyp und Phänotyp.

      Sie erforschen Makro- und Mikroevolution, Großes wie Kleines, sie knacken ganz neue Codes. Sie zeigen, wie uns alle das Leben unserer Vorfahren, auch solcher, die wir gar nicht kannten, beeinflusst. Wie Umweltfaktoren unser Schicksal verändern und wir diesen Drall an unsere Kinder weitergeben. So zeigen sie letztendlich, dass nicht nur Zeitschicksal zum persönlichen Schicksal werden kann, sondern auch persönliches Schicksal zu Zeitschicksal.

      Wir könnten uns wie Platon bei den Göttern bedanken, als Mensch, als Europäer und als Bürger unseres Landes geboren worden zu sein. Allerdings müssen wir nicht nur schicksalhaft dankbar sein. Wir können ja alles mitformen.

      Den Grundgedanken des Philosophen Martin Heidegger vom schicksalhaften Geworfensein in das Leben konterkariert der neue Mensch, indem er nicht nur das physische und psychische Leben formen kann. Er formt auch die Zeit, in der er lebt, er dreht das Rad des Schicksals selbst, und das nicht nur zu seinem Vorteil. Der deutsche Philosoph und Anthropologe Max Scheler bezeichnete den Menschen als den großen Verschwörer, der täglich die uralte Verfassung der Natur aus den Angeln heben möchte.

      Tangenten an den Kreis der Ewigkeit

      Heute haben die meisten Menschen das ständige Gefühl, eine neue Zeit sei angebrochen. Digitalisierung. Alles geht rasanter, die Welt dreht sich schneller, alle sind im Stress, müssen hierhin und dorthin und posten und mailen und twittern und simsen und schauen, dass sie nicht auf der Strecke bleiben. Das Lebenstempo steigt und steigt durch die vom Menschen selbst für den Menschen geschaffenen Technologien, die Anforderungen wachsen. Nicht jeder kann da mit.

      In hundert Jahren wird das Leben auf Erden noch einmal ganz anders aussehen. Laut dem Visionär Yuval Noah Harari könnten biotechnologische Innovationen bald eine neue Spezies entstehen lassen oder den alten Homo sapiens einem neuen Totalitarismus unterwerfen.

      Diese düsteren Visionen sind mehr als Spekulationen. Wir sehen es am Beispiel China, wo gerade ein durch Hightech gesteuerter, totalitärer Staat entsteht, der seine Bürger anhand eines sozialen Punktesystems klassifiziert. Wer einmal auf der gesellschaftlichen Leiter abrutscht, kann nie wieder aufsteigen. Er verliert seinen Job, seine Wohnung, die Kinder dürfen keine gute Schule mehr besuchen, der Mensch wird zur Persona non grata.

      Oder wird sich der neue Mensch mit Chips, Brain-Interfaces und Implantaten optimieren, um mit der Rasanz der Digitalisierung überhaupt mithalten zu können?

      Das Rad des Zeitschicksals dreht sich weiter, und wir müssen alle entscheiden, ob wir uns von dem Strudel mitreißen lassen oder unseren eigenen Weg im Mahlstrom finden. Unsere eigene Zeitlinie, eine individualtemporäre Tangente, angelehnt an den Kreis der Ewigkeit. Wer sein Zeitschicksal erkennt, kann den Timer modulieren. Wie bei einem Marathon muss er wissen, wann man schneller läuft und wann langsamer. Einteilen heißt eingreifen. Wer nicht eingreift, wird umgeworfen, ganz einfach.

      Und dennoch hat der Mensch immer wieder guten Grund, das Rad des Zeitschicksals schneller zu drehen, und noch schneller. Die Medizin bestätigt das Jahr um Jahr, Monat um Monat und fast schon Woche um Woche aufs Neue. Was ist, wenn ein Genabschnitt schicksalhaft für eine Erkrankung verantwortlich ist, für eine genetische Erkrankung, sagen wir, für den genetisch bedingten Brustkrebs?

      Die Antwort lautet: Die Medizin hat in Zukunft Scheren für die Hardware und Software der Biologie, für das Genom und das Epigenom. Damit schneidet man mehr oder weniger das betreffende Stück Gen heraus, und eine auch schicksalhafte genetische Erkrankung, eine genetische Anfälligkeit für Brustkrebs, Eierstockkrebs und vieles andere, wird von ihrer Schicksalhaftigkeit befreit. Das ist eine Befreiung der Menschheit, nach Pest und Kindbettfieber, von einer weiteren Geißel.

      Auf diese Weise stellt sich der Schicksalsbegriff bis zu einem gewissen Grad neu dar. Der schicksalhafte krankheitsbedingte Tod wird allmählich zur Vergangenheit und es entstehen andere Fragen. Es ist ein ewiger Kreislauf.

      Wir verstehen: Das Kolorit des Schicksals verschiebt sich, sein Farbwert changiert, verändert sich. Und der Mensch kann es schaffen, wie in der Medizin, es zu seinen Gunsten zu wandeln, etwas Positives daraus zu machen. Das ist das Wunder des wandelbaren Schicksals. Es ist menschenmöglich.

      Wenn sich das Schicksal vorbereiten kann, dann können wir das auch. Im Gegensatz zur Venus vor 750 Millionen Jahren.

      Wir können uns wappnen.

      Es sind nicht die Gene

      Schicksal ist kein Synonym für Erkrankung oder Katastrophe, für Desaster oder Tod. Es muss sich nicht unbedingt um etwas Furchtbares handeln, damit es Schicksal genannt werden kann. Auch wenn wir uns das im Sprachgebrauch so angewöhnt haben, Schicksal ist nicht per se negativ. Es haftet ihm nicht a priori etwas an, womit man im Leben nichts zu tun haben will.

      Das Schicksal kann uns auch auf der Sonnenseite des Lebens einquartieren. Wir sehen zum Beispiel in Familien, wie ähnliche Schicksale in Form von ähnlichen Begabungen weitergegeben werden. Da sind Musikerfamilien beispielhaft, wir kommen später im Kapitel »Der Strauss-Faktor« dazu. So viel vorweg: Es zeigt, dass da irgendetwas gewesen sein muss, irgendetwas, das diese musikalische Begabung gefördert hat.

      Früher hätte man gesagt: Es sind die Gene.

      Heute weiß man: Gene spielen eher eine untergeordnete Rolle. Doch was nun erkennt die Biologie als neue schicksalhafte Kräfte?

      Als Bill Clinton im Juni 2000 die Entschlüsselung des menschlichen Genoms verkündete, vermutete man, die Schicksalhaftigkeit der Gene entdeckt zu haben. Allerdings merkte man bald, dass es hinter dem genetischen Code noch einen anderen gibt, nämlich den epigenetischen. Er bestimmt


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