Die Pharma-Falle. Fahmy Aboulenein

Die Pharma-Falle - Fahmy Aboulenein


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Sie dachten, dass ein Arzt Ihnen ein Medikament aus einem einzigen Grund verschreibt: weil es nach seinem besten Wissen und Gewissen jenes ist, das Ihnen am besten helfen kann.

      Was tatsächlich dazu geführt hat, dass der Arzt Ihres Vertrauens Ihnen ausgerechnet dieses Medikament verschrieb, welche Studien dazu beigetragen haben und wie sie zustande kamen, welche Gespräche und Handschläge stattgefunden haben könnten und welche Briefumschläge dabei eine Rolle gespielt haben könnten, werde ich in diesem Buch zeigen.

      Ich werde es nicht anhand einer umfassenden und detailreichen Analyse der Pharmaindustrie und ihrer Wechselwirkungen mit dem Gesundheitswesen zeigen, sondern auf Basis meiner täglichen Erfahrungen im Krankenhaus. Manches mag provokant klingen, manches vielleicht polemisch. Das ist eine Folge des Ärgers über die herrschenden Zustände, der sich in vielen Jahren bei mir aufgestaut hat. Ich schreibe dieses Buch, weil ich genug habe.Wirksame Medikamente sind ein wertvolles Gut für die Menschheit. Zwischen 1918 und 1920 forderte die Spanische Grippe Schätzugen zufolge zwischen 25 und 50 Millionen Todesopfer, wogegen wir dank der Forschung der Pharmaindustrie jetzt viel besser vorbereitet wären. AIDS ist dank der Pharmaindustrie und ihrer teils genialen Wissenschaftler und Forscher kein Todesurteil mehr, gleiches gilt für andere schwere Erkrankungen.

      Das Problem sind die Gier und das Geld. Im Spiel der Kräfte des freien Marktes wollen Pharmakonzerne wie jedes andere Unternehmen auch so viele ihrer Produkte wie möglich an so viele Endabnehmer wie möglich bringen, und was überhaupt ein Produkt ist und wer es bekommen soll, scheinen dann oft nicht wissenschaftliche Vernunft und medizinischer Bedarf, sondern Anlegerinteressen und Profitdenken zu entscheiden.

      Das Ausmaß an Einflussnahmen, Einflüsterungen und Manipulationen, die der Entscheidung Ihres Arztes, Ihnen ausgerechnet dieses Medikament zu verschreiben, vorausgegangen sind, wird Sie schockieren. Es wird Sie schockieren zu erkennen, dass es bei dieser Entscheidung tatsächlich nicht in erster Linie um Sie und Ihr wichtigstes Gut, Ihre Gesundheit, geht, sondern um das Streben von Medikamentenherstellern nach Marktmacht und Gewinn.

      Es wird Sie schockieren, dass es mittlerweile ein in sich und durch sich gewachsenes System ist, das sich natürlich im gesetzlichen Rahmen bewegt, und dass wir die Manipulation als Normalität und Selbstverständlichkeit wahrnehmen und mit ihr leben, wie ein Arzt und Standesvertreter einmal öffentlich sagte: »Von meinem Gehalt als Spitalsarzt kann ich ja gar nicht leben«, weswegen es nur legitim sei, wenn die Pharmaindustrie seine Kongresskosten übernehme.

      Es wird Sie schockieren, dass unsere Gesetze solche Praktiken überhaupt möglich machen. Sie werden sich fragen, warum die Gesetze nicht verschärft werden, und werden es genauso wenig verstehen wie ich, da die Lösungsvorschläge auf der Hand liegen, aber keiner von den politischen Verantwortlichen scheinbar etwas tun möchte.

      Sie haben schon einmal gehört, dass die Pharmakonzerne nicht die Guten sind, nicht wahr? Da war doch etwas, denken Sie. Ja genau. Da waren die Skandale, die in den vergangenen Jahrzehnten Wellen der Empörung ausgelöst haben. Doch ein paar Strafzahlungen und außergerichtliche Vergleiche später hat sich nichts verbessert, im Gegenteil. Die Skandale gingen vorüber, der Aufschrei verhallte und die Industrie wurde in ihrem Handeln nicht unbedingt transparenter, sondern bloß subtiler. Sie schöpft einfach nur ihre Möglichkeiten aus.

      Die Pharmakonzerne scheinen begriffen zu haben, dass sie nur geschickter agieren müssen, um das gleiche Spiel weiter zu treiben, und dass, selbst wenn sie dabei Fehler machen, ihre Risiken gering sind. Sie müssen nur an den richtigen Schräubchen drehen und die richtigen Hebel in Bewegung setzen, um die richtigen Rädchen im Getriebe zu beeinflussen.

      Das haben sie zum Beispiel im Zuge der Malversationen rund um das Schmerzmittel Vioxx begriffen, das der amerikanische Pharmakonzern Merck 2004 unter zunächst mysteriösen Umständen vom Markt nahm. Es herrschte allgemeine Verwunderung über die Entscheidung von Merck, an dessen Gesamtumsatz Vioxx bis dahin einen nennenswerten Anteil hatte.

      Allmählich sickerte die Wahrheit durch. Eine von Merck finanzierte Studie sollte neue Anwendungsgebiete für das erfolgreiche Medikament erschließen. Konkret ging es um die Frage, ob das Schmerzmittel auch bei der Vorbeugung gegen bestimmte Dickdarmtumore wirksam wäre. Doch die sogenannte APPROVE Studie dokumentierte neben der erwarteten und erwünschten Wirkung auf die an sich gutartigen Dickdarmtumore auch sehr gefährliche Nebenwirkungen von Vioxx: Das Risiko, einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall zu erleiden, verdoppelte sich bei Patienten, die das Medikament einnahmen, allerdings erst nach einer längeren Beobachtungszeit.

      Merck nahm Vioxx vom Markt. Fraglich ist bis heute, wie viele durch Vioxx verursachte Todesfälle verhindert hätten werden können, wenn der Pharmakonzern das Medikament gleich vom Markt genommen hätte, als die ersten Herzinfarkte und Schlaganfälle auftraten.

      In den darauffolgenden Jahren stimmte der Pharmakonzern einem Vergleich zu, bei dem er etwa 900 Millionen Dollar Schmerzensgeld an die Opfer zahlte. Klingt dramatisch, war es aber für Merck eigentlich nicht. Denn Merck hatte zuvor 2,5 Milliarden Dollar Umsatz mit Vioxx erziehlt, und zwar jährlich. Weshalb die scheinbar horrende Zahlung in der Endabrechnung den Gewinn von Merck mit Vioxx bloß ein wenig schmälerte.

      Was die Pharmakonzerne aus der Causa lernen konnten, war: Lege einen Rainy Day Fund an, also eine Rücklage für derartige Vorfälle, und kalkuliere dessen Dotierung in den Medikamentenpreis ein. Um den Imageschaden kümmern sich die PR-Strategen, die Anwälte finden neue Tricks und Techniken zur Umgehung der schärferen Kontrollen und Vorgaben bei der Zulassung, die der politische Wille im Gefolge solcher Skandale hervorbringt, und schon ist ein Skandal mit ein paar tausend Toten »geschluckt«.

      Im Kern ist also das System nach dem Vioxx- Skandal und den anderen Skandalen das gleiche geblieben, nur die Pharmakonzerne haben sich weiterentwickelt. Sie agieren schlauer als früher. Sie brauchen sich nicht in die plumpe Illegalität zu wagen. Sie haben es auch nicht nötig, sich mit kriminellen Praktiken Vorteile zu Lasten der Patienten zu verschaffen, das können sie auch im Rahmen der Gesetze und der existierenden Grauzonen tun. Der wahre Skandal spielt sich jetzt im Rahmen der geltenden Gesetze vor unser aller Augen ab, bloß sieht ihn keiner, weil der Wahnsinn zur Normalität wurde und ihn viele Meinungsbildner nicht sehen wollen. Aber die sogenannten Meinungsbildner – oder key opinion leaders – werden in der Industrie in den allermeisten Fällen von der Industrie »gemacht« und meines Erachtens nur zu einem Zweck, nämlich um andere Ärzte zu beeinflussen. Dies ist einer der effektivsten Mechanismen, der Hauptmultiplikator, der die Verkaufszahlen der beworbenen und von Meinungsbildnern empfohlenen Produkte vervielfachen kann.

      Ich schreibe dieses Buch in dem Bewusstsein, dass es vielen Menschen, die in der Pharmaindustrie oder im Gesundheitswesen tätig sind, und vielleicht auch Patienten, die lieber blind vertrauen als hinterfragen, missfallen wird. Ich habe mich dazu entschlossen, weil wir als Gesellschaft aufwachen müssen. Denn die Pharmakonzerne sind gut vorbereit im 21. Jahrhundert angekommen, wir hingegen hinken hinterher.

      Die Pharmakonzerne verfolgen klare Ziele, die sich aus Quartalsplänen und Profitmaximierung zusammensetzen. Wer will es ihnen auch verübeln? Schließlich müssen sie sich in einer globalen Marktwirtschaft behaupten.

      Doch es fehlt das Korrektiv. Denn diesen Konzernen stehen inhaltlich überforderte politische Entscheidungsträger, planlose Wissenschaftler, überarbeitete Ärzte und eine ahnungslose Zivilgesellschaft gegenüber, die zum Teil schon selbst die globale Marktwirtschaft als übergeordnetes Prinzip akzeptiert haben.

      Medikamente sind aber eben kein Produkt wie jedes andere. Irgendwann sind wir alle Patienten und dann haben wir ein fundamentales Recht auf eine Behandlung, die ausschließlich unseren Interessen, unserer Gesundheit dient.

      Außerdem schreibe ich dieses Buch auch deshalb, weil es für mich als Arzt unerträglich ist, zusehen zu müssen, wie sich gut ausgebildete Mediziner gutgläubig »kaufen« lassen und bereitwillig die von den Pharmakonzernen gebauten goldenen Brücken beschreiten, mit deren Hilfe sie sich nicht als korrupt fühlen müssen. Und ja, ich spreche von »sich kaufen lassen« und »sich nachher selbst belügen«.

      Nicht zuletzt schreibe ich dieses Buch, weil die beschränkten Ressourcen des Gesundheitssystems ökonomisch sinnvoll eingesetzt werden müssen. Sie sind


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