Gunter Sachs und die Akte Astrologie. Bernt Hunze
ihm eine einwandfreie Vorgehensweise3, zuletzt im Jahr 20114 Diese massive Widersprüchlichkeit von Expertenmeinungen zu einem statistischen Sachverhalt, zu einem mathematischen, Zahlen und ihre Logik betreffenden – und damit eigentlich klar definierten, überschaubaren – Thema ist merkwürdig. Im Folgenden wird auf eine Erörterung dieser unverständlichen Diskrepanz verzichtet, da eine Kompromissfindung zwischen den gegensätzlichen Auffassungen unmöglich erscheint.
Kritik erntete das Buch aber auch von astrologischer Seite. So erklärte der bekannte Astrologe Peter Niehenke 1997 die Sachs'schen Ergebnisse für völlig bedeutungslos5. Sein Argument: Wird das Jahr, abweichend von den Tierkreiszeichen, in zwölf beliebige andere gleich große Abschnitte unterteilt, können ebenfalls signifikante Häufigkeitsabweichungen auftreten. Sachs habe also nur die Selbstverständlichkeit „nachgewiesen“, dass die Geburtsdatenverteilungen ungleichmäßig sind, und dies vereinzelt zufällig auch signifikant6.
Dies veranlasste Sachs zu einer entsprechenden Überprüfung, deren Ergebnis in der Wiederauflage seines Buches im Jahr 1999 veröffentlicht wurde. Dazu wurden aus den Geburtsdaten zwölf gleich große, nach dem Zufallsprinzip zusammengestellte Gruppen gebildet. Die Abschnitte der Tierkreiszeichen wurden also, ganz in Niehenkes Sinne, aufgehoben und durch Gruppen bunt gemischter Daten ersetzt. So waren beispielsweise 5. April, 18. Juli, 2. November etc. nicht mehr den Zeichen Widder, Krebs und Skorpion zugeordnet, sondern konnten zufällig in der gleichen Gruppe Nr. 4 oder Nr. 7 etc. erscheinen.
Die Auswertung ergab, dass bei dieser zufälligen Verteilung der Daten keine Signifikanzen auftreten Damit wurde der Einwand Niehenkes vollkommen entkräftet: Nur bei einer Jahreseinteilung in Tierzeichenkreisabschnitte sind die signifikanten Abweichungen von den Erwartungswerten nachweisbar. Der Verdacht auf einen Zusammenhang zwischen Ergebnissen und astrologischen Einflüssen wurde damit bestätigt.
Unabhängig davon ist es sogar gleichgültig, ob andere Einteilungen ebenfalls signifikante Abweichungen ergeben. Entscheidend ist, ob die Abweichungen, die bei der Kreiseinteilung in Tierzeichen gefunden werden, mit astrologischen Erwartungen übereinstimmen. Denn die astrologischen Hypothesen beziehen sich ausschließlich und ganz explizit auf diese Einteilung.
Zwischen der Behauptung, Sachs habe die Existenz der Astrologie bewiesen, und der, dass die statistischen Auffälligkeiten allesamt nicht Folge astrologischer, sondern konkreter materiell-realer Einflüsse oder methodischer Fehler seien7, gibt es natürlich noch die dritte Möglichkeit: Wenn einige Resultate nachweislich irrelevant sind, schließt das nicht aus, dass andere sehr wohl eine Aussagekraft besitzen können.
In den 17 Jahren seit Erscheinen des Buches wurde kein wirklich ernst zu nehmender Versuch unternommen, Sachs' Ergebnisse zu astrologischen Behauptungen in Beziehung zu setzen und zu prüfen, ob sie mit diesen Behauptungen korrelieren. Da Sachs selbst das nur in wenigen Fällen getan hat, hole ich es im Folgenden nach und ermögliche damit endlich eine seinen Ergebnissen gerecht werdende Beurteilung. Die Frage, mit der sich dieser Text auseinandersetzt, lautet also:
Korrelieren die Ergebnisse von Gunter Sachs mit astrologischen Erwartungen und Annahmen?
Bei ihrer Beantwortung berücksichtige ich nur solche Annahmen, über die in allen bedeutsamen Varianten der abendländischen Astrologie Einigkeit zu bestehen scheint. Ich stelle Bezüge nur zu einigen ihrer grundlegenden Behauptungen her, prüfe die Ergebnisse nur an astrologisch unumstrittenen, den verschiedenen Tierkreiszeichen zugeordneten typischen Verhaltensmerkmalen.
Von einer „Skeptiker“-Vereinigung (GWUP) wurde die Akte Astrologie 2009 für „geschlossen“ erklärt.8 Mit dieser Veröffentlichung öffne ich sie wieder.
Der Anlass für diese Analyse
Ein Teil der Kritik ist leicht nachvollziehbar und durchaus plausibel, während andere Kritikpunkte offensichtlich unsinnig sind. So monierte ein Mathematiker, dass Sachs eine Bevölkerungs- und eine Heiratsstatistik der gesamten Schweiz verwendete, obwohl …diese Werte jedoch innerhalb der Schweiz stark variieren… Gerade deswegen aber wertete Sachs, selbst Mathematiker, die Statistiken der Kantone Obwalden, Appenzell oder Schwyz nicht isoliert aus. Denn folgt man diesem Argument, können keinerlei statistische Untersuchungen über große Bevölkerungsgruppen oder gar Gesamtbevölkerungen von Staaten durchgeführt werden.
Ein anderer Einwand aus der Kategorie „inkompetent“ lautete sinngemäß: Zwillinge beispielsweise gibt es überdurchschnittlich viele. Also ist es selbstverständlich, dass zwischen ihnen auch mehr Ehen zustande kommen. Dass Sachs im diesbezüglichen Kapitel Wer heiratet wen? den erhöhten Anteil der Zwillinge, Widder, Stiere etc. sorgfältig berücksichtigte und die Erwartungswerte für die Anzahl der Ehen aus diesen erhöhten Anteilen errechnete, ist diesem „Kritiker“ offensichtlich völlig entgangen.
Dies sind nur zwei Beispiele für Äußerungen, die das Fehlen eines ausreichenden Verständnisses beweisen und daher zu ignorieren sind. Andere Beanstandungen verfehlen das Thema, so beispielsweise, dass die statistischen Auffälligkeiten für ernst zu nehmende Aussagen über einzelne Personen viel zu schwach sind. Sachs ging es nur um den Nachweis der Existenz astrologischer Effekte, noch nicht aber um Möglichkeiten ihrer praktischen Anwendung.
Als repräsentativ für die leider häufig anzutreffende Qualität astrologiekritischer Äußerungen sei hier noch eine Behauptung erwähnt, die sich nicht auf Sachs' Buch bezieht. Der laut einer Statistik einer österreichischen Unfallversicherung erhöhte Anteil von Personen mit der Geburtssonne in Fische an 169 000 Unfällen9 wurde damit begründet, dass es besonders viele Menschen mit diesem „Sternzeichen“ gibt. Das ist aber definitiv unzutreffend.
Neben einigen Irrtümern und unzweifelhaft voreiligen Interpretationen hat Sachs, wie ich zeigen werde, einige sehr aufschlussreiche Ergebnisse produziert, die in der großenteils unsachlichen Kritik bisher weitestgehend untergegangen sind. Der insgesamt entstehende Eindruck einer oberflächlichen, inhaltlich nicht begründeten oder von Vorurteilen gelenkten Ablehnung der Sachs'schen Feststellungen war der Hauptanlass für diesen Text.
Vielfach wird der Astrologie eine Beliebigkeit der Interpretation astrologischer Faktoren im Sinne eines „Irgendetwas passt immer“ vorgeworfen. Das ist aber überwiegend unzutreffend. Zum Beispiel kann ich, als „gelernter Mediziner“ überaus skeptisch gegenüber naturwissenschaftlich nicht begründbaren Hypothesen, praktisch keine Schnittmengen zwischen den von der Astrologie behaupteten Auswirkungen der Tierkreiszeichen Widder, Waage und Steinbock erkennen, gleich, wie sehr ich mich auch bemühe. Es ist hier fast unmöglich, zeichentypische Verhaltenstendenzen dem falschen Zeichen zuzuordnen. Gleiches gilt für die postulierten Effekte der Planeten: Wirkungen von Venus, Mars und Saturn können schwerlich miteinander verwechselt werden. Daher ist eine Prüfung astrologischer Erwartungen und Behauptungen an den Sachs’schen Ergebnissen grundsätzlich möglich, wenn auch, wie deutlich werden wird, nur in beschränktem Ausmaß.
Die Durchführung der Analyse
Nach einigen Anmerkungen zur Problematik statistischer Untersuchungen der Astrologie, zu Methodik und methodischen Schwächen der Sachs’schen Arbeit und zu Gemeinsamkeiten zwischen Astrologie und Psychologie werden die Ergebnisse der einzelnen Buchkapitel zu astrologisch begründeten Ergebniserwartungen in Beziehung gesetzt.
Dabei werden einige Ergebnisse, die große Kollektive betreffen, direkt astrologisch plausibel. In der Mehrzahl der Fälle sind sie aber aus verschiedenen Gründen infrage zu stellen, zumindest aber zu relativieren. Teils können Effekte einer sogenannten sich selbst erfüllenden Prophezeiung (SEP) vorliegen, teils erscheinen die untersuchten Kollektive in Anbetracht der offensichtlich nur schwachen astrologischen Effekte als zu klein. Vereinzelt machen auch Ungenauigkeiten eine abschließende Beurteilung unmöglich. So ist beispielsweise nicht klar, ob es sich im Kapitel „Wer fährt wie“ nur um Unfallverursacher oder um alle an Unfällen beteiligten Fahrer handelt. Auch setzt Sachs „ledig“ mit „allein lebend“ gleich.
Weiterhin werden Ergebnisse verschiedener Buchkapitel zueinander in Beziehung gesetzt, was neue Erkenntnisse ermöglicht.