Systemische Beratung jenseits von Tools und Methoden. Bernd Schmid

Systemische Beratung jenseits von Tools und Methoden - Bernd Schmid


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An solchen Ausleuchtungen haben fast alle Professionellen im Laufe ihrer Entwicklung immer wieder Interesse, wenn sie mit einem Erkenne-dich-Selbst verbunden sind. Da sich viele Professionen aber auch mit dem Verstehen und Entwickeln der Professionalität anderer befassen, brauchen sie solche Scheinwerfer auch für das Ausleuchten der Hintergründe ihres Gegenübers beziehungsweise der Zusammenhänge, in denen die Arbeit stattfindet.

      Solche Scheinwerfer richten sich auf die handelnden Menschen, ihre Biografien, ihre Eigenarten und Bestimmungen, auf die Milieus, denen sie entstammen und in denen sie sich bewegen. Sie beleuchten die Bedürfnisse nach einem Sinn, die auch im Berufsleben gestillt werden sollen, und Identitäten und Kulturzugehörigkeiten, die helfen, sich zu positionieren. Sie erfassen Entwicklungen, zu denen man umgekehrt selbst beiträgt, wenn auch nur in bescheidenem Maße. In den Blick kommen Zugehörigkeiten zu Schulen, professionellen Gemeinschaften und die dort repräsentierten Wirklichkeitsverständnisse und Betrachtungsweisen. Da es nach Adorno kein richtiges Leben im falschen gibt, erfordern solche Betrachtungen auch eine Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen, mit Märkten, Organisationen, Strömungen im Zeitgeist und mit den Formen von Wirtschaften, mit denen jede Lebensführung unauflösbar zusammenhängt.

      Wie also kann mit Menschen für Menschen gewirtschaftet werden? Wie können Organisationen dafür gestaltet werden? Wie können Menschen als Professionelle und in Organisationsfunktionen sinnvoll handeln? Welche Haltungen und Kompetenzen braucht es dafür? Wer muss was wie lernen und wie soll Lernkultur sein, dass sie zu einer humanen Organisations-, Professions- und Wirtschaftskultur beiträgt? Da kann einem schon schwindlig werden, wenn man erkennt, wie vielschichtig und vielfältig die Zusammenhänge und Betrachtungsweisen sind, die zu einer geläuterten Professionalität gehören. Sich mit dem allem auseinanderzusetzen ist ein lebenslanger Prozess.

      Die meisten Leser kennen vermutlich den magischen Würfel, ein Geduldsspiel, bei dem man durch das Drehen verschiedener Reihen oder Spalten jede Würfelseite so verändern soll, dass am Ende jede Seite eine einheitliche Farbe hat. Bei jeder Drehbewegung auf der einen Seite werden gleichzeitig die Muster der anderen Seiten mitverstellt. Um die Seiten also aufeinander abzustimmen, muss man immer wieder seine Perspektiven verändern. Der Hintergrund wird zum Vordergrund gemacht, oben wird mit unten getauscht, die linke Seite wird zur rechten und umgekehrt, so lange, bis man eben ein stimmiges Muster über alle Dimensionen hinweg bilden kann. Und so ähnlich arbeiten wir in diesem Buch. Stand beispielsweise soeben die Organisation im Vordergrund, so behalten wir das Gesagte im Hinterkopf, drehen aber den Würfel und blicken nun auf den Vorgang der professionellen Individuation.

      Über allem steht die Frage, wie Menschen im Beruf und in ihrer Organisation die einzigartige Persönlichkeit verwirklichen können, die in ihnen steckt. Dies gilt zumindest für Berufe und Tätigkeiten mit hohem kreativem Anteil. Nicht immer stammen die illustrierenden Beispiele aus den jeweils vertrauten Berufsbereichen der Leser. Doch glauben wir, dass sich die jeweiligen Betrachtungen auf Beratung und Entwicklung von Professionalität allgemein anwenden lassen. Professionalität und Ansichten über Professionalität haben neben allen fachlichen und gesellschaftlichen Perspektiven eben auch mit den Wesenszügen des jeweiligen Menschen und mit Aspekten seiner ganz persönlichen Lebensgeschichte zu tun. Zumindest scheinen diese als Hintergründe immer durch und entscheiden oft, ob sich die Seele für das berufliche Tun interessiert, ob man Bereicherung erlebt oder nicht.

      Zur Einstimmung geben wir den Lesern zunächst die Möglichkeit zur persönlichen Begegnung mit uns, den Autoren. Sonst bietet dieser Band Streiflichter aus unseren Welten, um die Leser zu inspirieren und um die Möglichkeit zu eröffnen, sich – über die wichtigen Vordergründe hinaus – mit ihren hintergründigen Fragen an Professionalität auseinanderzusetzen. Fangen wir also im folgenden Kapitel mit einem eher persönlichen Gespräch zwischen den Autoren an. »Programmatischer« geht es dann ab Kapitel 3 weiter.

      2. »Unter uns«

       2.1 Vorbemerkung

      Ich, Christiane Gérard, kenne Bernd Schmid nunmehr seit 25 Jahren, seit ich 1984 meine Transaktionsanalyse-Ausbildung in seinem Institut begonnen habe. Auch nach meinem klinischen TA-Examen 1989 blieben wir durch gemeinsame Interessen und Neigungen bis heute miteinander verbunden.

      Wir blicken beide auf jeweils mindestens 30 Jahre Berufstätigkeit in den Bereichen Beratung und Psychotherapie und dazugehörender Erwachsenenbildung zurück. Wir befinden uns beide in einer Lebensphase, in der das Bedürfnis wächst, die Essenz der vergangenen Berufsjahre zu überdenken und anderen zum Nachdenken anzubieten. Dabei passen unsere Reflexions- und Erzählweisen in vielerlei Hinsicht zusammen oder ergänzen sich.

      Wir sind uns bewusst, dass die Arbeitsbedingungen und Arbeitslebensweisen der Leser sich von den unseren stark unterscheiden können. Dennoch sind wir zuversichtlich, dass sie von unseren Anregungen profitieren können. Und auch wir Autoren unterscheiden uns trotz aller Übereinstimmungen in mancher Hinsicht und bilden damit selbst eine Spanne möglicher Betätigungsfelder und persönlicher und institutioneller Voraussetzungen ab:

      Bernd Schmid arbeitete bzw. arbeitet vorwiegend freiberuflich in vielfältigen Rollen als Erwachsenenbildner, Supervisor, Berater, Unternehmer und Leiter seines eigenen Weiterbildungsinstituts in Wiesloch, Orientierungsgeber, Gesprächspartner für seine MitarbeiterInnen, Buchautor, Vortragender auf Kongressen und ist aktiv in Hochschulen und Verbänden. Ich war dagegen immer angestellt und arbeitete zuletzt 25 Jahre lang als Neuropsychologin und Psychotherapeutin in einer Kinderklinik – halbtags.

      Wir beide haben recht unterschiedliche Lebensinszenierungen, denen unterschiedliche Lebensentwürfe zugrunde liegen. Lebensentwürfe sind geprägt

      • von der Wesensart,

      • von Talenten und Ambitionen,

      • von Ausstattungen und Aufträgen durch die Familie,

      • vom Lebensgefühl und von den Lebensstilen der Milieus, in denen man aufgewachsen ist und in denen man sich später bewegt,

      • durch prägende Lebenserfahrungen, die oft in Schlüsselerlebnissen und inneren Bildern verdichtet sind. (Schmid 2008d)

      Auch wenn sich Menschen oberflächlich betrachtet in gleichen Berufen oder Funktionen bewegen und sich z. B. als Psychotherapeuten, Berater, Bildungsfachleute, Führungskräfte oder Unternehmer bezeichnen, so stecken hinter diesen Titeln doch oft sehr unterschiedliche Lebensinszenierungen. Das trifft bei uns beiden Autoren ebenso zu. Das folgende Gespräch zwischen uns – spontan aufgezeichnet, stark gekürzt, bearbeitet und ergänzt – soll die Leser zu ähnlicher Selbstreflexion einladen. Wir stellen uns Fragen, die uns, manchmal unterschiedlich stark, während unseres Werdegangs und jetzt in der Lebensphase des bilanzierenden Rückblickens beschäftigt und/oder die wir häufig als Fragestellungen bei Kollegen und Kolleginnen vernommen haben.

      CHRISTIANE GÉRARD: Wir beide schauen auf eine lange und reiche Berufszeit zurück. Angenommen, du könntest noch einmal darüber entscheiden: Würdest du diesen Berufsweg wieder so einschlagen oder würdest du etwas anders machen, und wenn ja, was?

      BERND SCHMID: (…) Ursprünglich wollte ich ja mal Lehrer werden. Aber nach meinem ersten Schulpraktikum wurde mir klar, dass ich nicht Schullehrer werden wollte. Und zwar nicht wegen der Schüler, sondern weil ich im Praktikum das Lehrerkollegium wie eine Versammlung Untoter erlebt habe. Und da habe ich entschieden: Ich will nicht mit solchen Zombies in einem solchen Raum sitzen. Also war für mich klar, dass ich nicht in die Schule gehe. Lehrer wollte ich aber gerne werden. Die Alternative war dann Hochschullehrer. Ich war ja schon früh Assistent an einem Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre. Diese Alternative war dann aber deswegen wiederum nicht möglich, weil ich für diese zumindest damals sehr traditionelle Disziplin mit meinen psychologischen Interessen ein zu »bunter


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