Systemische Beratung jenseits von Tools und Methoden. Bernd Schmid

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sondern geschickt wurden, brachten diese oft auch viele Vorurteile gegenüber meiner Rolle mit. Ich musste erst einmal dagegen anarbeiten, um guten Kontakt herzustellen. Das war nicht entscheidend, aber dieses Image der Psychotherapeutin oder der Beraterin in der Öffentlichkeit hat mich auch im Privaten gestört. Dort hatte ich das Gefühl, dass Leute oft Privates und Berufliches vermischten. Etwa so: Wenn du Sorgen hast, dann kannst du halt zur Christiane gehen, auch privat, sie ist ja Psychotherapeutin. Am Anfang meiner Berufsjahre habe ich diese Tendenz sicher auch selbst gefördert. Das war ja auch eine Einfluss verheißende Rolle: Man konnte damit wichtig sein und wurde gebraucht. Später aber empfand ich diese Erwartungen dann eher als lästig. Ich fand es deswegen manchmal schwierig, privat neue Kontakte zu knüpfen, weil ich misstrauisch war, ob ich nicht wieder »ausgenutzt« oder nur deswegen gemocht werden würde, weil man ja immer so »anständig« zuhört und nett ist und so. Das fand ich schade … Wie ist es dir gegangen?

      BS: Bei mir war das ganz anders … Ich war immer froh, wenn jemand Interesse an meiner Kreativität hatte und ich aktiv sein konnte. Ich habe mich mit meiner Kreativität identifiziert und mich daher bei Wünschen nach Unterstützung persönlich gemeint gefühlt. Dazu kommt noch mein anderer institutioneller Kontext. Ich war Freiberufler. Leute sind zu mir gekommen, weil sie zu mir wollten und ich konnte sie mir dann auch mehr oder weniger aussuchen.

      CG: Aber du hast doch auch deinen privaten Umkreis?

      BS: Ja, vorwiegend über die Familie. Sonstige private Beziehungspflege war nicht mein Heimspiel. Die meisten Privatbeziehungen sind im Berufsfeld entstanden. Dort habe ich Arbeitsformen gefunden, die für mich auch viele private Begegnungsmöglichkeiten und vertrauensvolle Beziehungen ermöglichten, für die ich sonst nicht die Motivation und die Verhaltensweisen gehabt hätte.

      Wir haben in unserem Institut einen Rahmen entwickelt, in dem privatpersönliche und berufliche Kontakte fließend ineinander übergehen. Meistens sind auch meine Mitarbeiter und Lehrtrainer Menschen, die gerne menschliche Begegnungen mit dem Beruf kombinieren, wie ich das auch tue.

      Für meine Lehrtrainer und Mitarbeiter bin und war ich auch immer ein bisschen der Mentor und Seelsorger und bin das gerne. Umgekehrt haben sie auch Anteil an unserem Leben genommen. Das haben wir intensiv erlebt, als unser Sohn Peter gestorben ist. Die liebevolle Zuwendung, die uns zuteil geworden ist, hat mich sehr berührt. Von daher habe ich diese Beziehungen als einen sehr lebendigen und gegenseitigen Austausch erlebt.

      Und mir fällt es leichter, Beziehungen zu gestalten, wenn ein Lebensvollzug – sei es beruflich oder privat – miteinander möglich ist.

      CG: Das passt ja auch wieder zu dem Beziehungstyp, als den du dich beschreibst, als den Ich-Es-Typen, für den es wichtig ist, sich über ein Thema auf den anderen beziehen zu können.

      BS: Ja, das müssen keine großen Themen sein. Heute Mittag zum Beispiel habe ich für alle Mitarbeiter im Wok Gemüse gekocht. Es geht auch um konkrete Tätigkeiten, über die ich in Beziehung sein kann.

      CG: Das ist schon auch etwas Ungewöhnliches: diese Kombination von Lebens- und Arbeitsform.

      BS: Ja, wir achten im Institut drauf, dass Leben und Arbeiten im Zusammenhang bleibt. Wenn jemand z. B. mit uns kooperieren will, dann lade ich ihn zum Gespräch ein. Wir reden erst. Dann nimmt er an unserem Mittagessen teil und kann sehen, wo er ist. Und wir sehen, wer er ist in dieser Runde. Und dies hilft uns, über mögliche Kooperationen zu entscheiden.

      CG: Da bist du schon eine Ausnahme. Ich denke, viele Kollegen und Kolleginnen, die ich kenne, die möchten wirklich so eine Trennung haben. Also: »Nach der Arbeit möchte ich keinen Patienten und möglichst auch keine Probleme mehr sehen. Hier bin ich privat«.

      BS: Ja klar. Es gibt auch diese déformation professionelle: In der Regel habe auch ich keinen großen Hunger auf Kontakt, weil ich davon eher zu viel habe als zu wenig. Bei privaten Begegnungen wie bei Festen treffe ich auf interessante und wertvolle Menschen, will sie aber meistens nicht näher kennen lernen, weil ich keinen Platz in meiner Seele habe.

      CG: Ja, das geht wohl vielen älteren Kollegen so und ich höre von vielen, dass sie eigentlich »psychotherapiemüde« sind.

      BS: Ich habe nach 20 Jahren Psychotherapie das Gefühl gehabt, ich habe es durch. Und dann habe ich etwas anderes gemacht.

      CG: So ging es mir auch. Wenn ich irgendetwas konnte oder kannte, dann wurde es mir langweilig, dann wollte ich auch nicht mehr dort weitermachen.

      Passung

      BS: Das ist auch ein Kreuz in unserer Gesellschaft: Wir haben viel zu starre Berufe und institutionelle Funktionsbilder. Daran hängen dann viele Menschen fest, obwohl es sich überlebt hat. Nur für ganz wenige Menschen bleiben ihre Berufe Lebensberufe. Hier wären mehr Beweglichkeit und immer wieder neue Ausrichtung gesünder und kompetenter. Wir beschäftigen uns am ISB intensiv mit diesem sogenannten Passungsthema. Also: Wie passe ich zur Organisation und zur Rolle und wie passen die Institution und Rolle zu mir? Es finden ja Veränderungen auf beiden Seiten statt, sowohl gesellschaftlicher wie persönlicher Art. So können sich ehemals erfüllende Tätigkeiten für den Rolleninhaber erschöpfen oder so verändern, dass sie nicht mehr zur Person passen. Eigentlich gehört zu einer gehobenen Professionalität und zu einer Organisationskultur, dass man immer wieder einen Passungsdialog – wie wir das nennen – durchführt. Das heißt, man schaut, ob Person, Institution, Organisation, Rolle usw. noch zusammenpassen. Und wenn man merkt, es passt bald nicht mehr zusammen, kann man frühzeitig etwas am Rollenportfolio ändern oder man kann die Funktion in der Organisation umgestalten. Und wenn das nicht möglich ist, muss man sich fragen, wie man in einer anderen Organisation zu neuer seelischer Lebendigkeit gelangen kann. Die Erhaltung von Leistungsfähigkeit hat viel mit Lebendigkeit und daher viel mit einem kompetenten Passungsdialog zu tun …

      CG: Dann wäre ich vielleicht doch Psychologin geblieben …

      BS: … wenn du einfach mehr Möglichkeiten gesehen hättest, als Psychologin in anderen Funktionen und Rollen tätig zu werden?

      CG: Als ich zum Beispiel eine Weile zusätzlich Marketingaufgaben hatte, fand ich das super. Ja, ich hätte wohl mehr Gestaltungsfreiraum für meine Ideen gebraucht.

      BS: Ja eben, von daher ist es vielleicht weniger die Profession, die nicht deine wäre, sondern es waren die Organisationsfunktionen, die zu eng oder zu unbeweglich blieben.

      CG: Ja, das stimmt. Insofern müsste ich in einem »neuen« Leben eher darüber nachdenken, welcher institutionelle und organisatorische Rahmen besser zu meinen Neigungen und Potenzialen passen würde.

      BS: Wann bin ich eigentlich schon Psychotherapeut, Berater oder was mir als Identität vorschwebt? Diese Frage treibt einen jungen Menschen durchaus um.

      CG: Welche Herausforderungen sind die richtigen? Wir beide haben ja schon öfter festgestellt, dass wir uns aufgrund unserer verschiedenen Persönlichkeitsstrukturen recht unterschiedlich an Herausforderungen heranwagen. Mich haben die ersten Berufsjahre sehr verunsichert. Das Studium selbst bereitet dich ja wenig auf den direkten Kontakt mit zukünftiger Klientel vor. Ich habe mich lange gefragt, woran ich mich eigentlich bei meiner Arbeit orientieren kann und soll. Du selbst beschreibst dich dagegen als einen Menschen, der eher gerne an die eigene Kompetenz geglaubt hat. Dennoch hast du vor über 20 Jahren eine Wirksamkeitsstudie (1988a, 1988b) zu deinen Intensivseminaren durchgeführt? Das passt für mich gar nicht zu dem wenig selbstzweiflerischen Eindruck, den du auf mich machst.

      BS: Dafür gab es vor allem zwei Gründe: Zum einen konnte ich mich in den bestehenden Psychotherapie-Schulen schlecht beheimaten. Ein ganz typisches Muster für mich ist, dass ich, sobald ich an Dogmen und Schemata stoße, sofort deren Begrenzungen aufzeigen möchte. In einem Fall können Menschenbilder sinnvoll sein, aber im anderen Fall käme es einem Götzendienst gleich, wenn man sie als Wahrheiten erstarren ließe. Ich glaube, dass ein gebildeter Mensch bei jeder Frage aufgerufen ist, in seiner Weise, aus seiner Zeit, aus seinem Kontext, aus seinem Milieu kommend mit seiner Biografie stimmig neue Antworten zu finden. Insofern fühlte ich mich immer als eine Art Wilderer, der sich zwar der Konzepte und Ideen aus den üblichen Schulen bedient, sich aber den Dogmen nie unterworfen hat. Diese Freiheit hatte auch ihren Preis. Ich hatte immer das Problem,


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