Mehr ausbrüten, weniger gackern. Andreas Müller

Mehr ausbrüten, weniger gackern - Andreas Müller


Скачать книгу
Schlüssel zum Erfolg steckt innen. Mit Erfolg ist gemeint: Anschlussfähigkeit. Und das ist weit mehr als das Wissen, dass die Rigi aus Nagelfluh besteht. Anschlussfähigkeit, das sind vor allem soziale und personale Kompetenzen. Es ist der Umgang mit sich und mit anderen. Es sind Werthaltungen und Tugenden. Anstand zum Beispiel. Wenn ein Kind vor noch nicht allzu langer Zeit etwas haben wollte, hieß das Schlüsselwort »bitte«. Heute heißt es »subito«.

      Früher wuchsen Kinder meist mit mehreren erwachsenen Personen zusammen auf. Und sie hatten Geschwister. In diesem Geflecht von Auseinandersetzung und Rücksichtnahme wurden sie erzogen. Der Mehrpersonenhaushalt ist im Verlaufe der Jahre drastisch zusammengeschrumpft. Das sich daraus entwickelnde Leben in ungeteilter Aufmerksamkeit birgt die Gefahr, dass ganze elementare Tugenden verkümmern, Tugenden wie warten, zuhören, sich nützlich machen, bitte sagen und danke.

      Auch wenn solchen Dingen der Geruch der Mottenkiste anhaftet: Die Schule – will sie zur Anschlussfähigkeit beitragen – muss sich ganz zentral um die Sozialisierung der Kinder kümmern. Oder ein bisschen direkter: um die Erziehung. Sie muss ein Ort sein, wo Kinder lernen, mit sich und mit anderen konstruktiv umzugehen.

      Und sie muss ein Ort sein, wo Leistung einen Wert hat. Leistung verlangt auch immer wieder, sich selber zu überwinden. Und das Ergebnis: Stolz. Lernende sollen deshalb möglichst häufig die Erfahrung machen, dass es ein cooles Gefühl ist, sich überwunden und eine Leistung erbracht zu haben. Denn das Leben belohnt die Anstrengung, nicht die Ausreden.

      ❹ Erfahrungen aus erster Hand

      Der Körper ist der Übersetzer der Seele ins Sichtbare, hat Christian Morgenstern einst formuliert. Daraus folgt: Körperliche Aktivitäten wirken sich positiv auf das Lern- und Leistungsverhalten aus. Lernende brauchen also Bewegung. Täglich. Und viel. Doch viele Kinder sind (auch) in dieser Beziehung arm dran. Die Medienorientierung und die damit einhergehende Passivität ist ein erschreckender Aspekt davon. Bereits zehn Prozent der Vier- bis Fünfjährigen haben in ihrem Zimmer einen eigenen Fernseher. Die Jugendlichen sitzen täglich mehrere Stunden in Konsumhaltung vor dem Bildschirm. Das hat Auswirkungen. Für Hirnforscher Manfred Spitzer jedenfalls ist klar: »Fernsehen macht dick, dumm und gewalttätig.« (Spitzer 2005)

      Klar ist: Wer vor dem Bildschirm sitzt (oder liegt oder etwas dazwischen), bewegt sich nicht. Bewegungsarmut, eine zunehmende Beziehungslosigkeit zum eigenen Körper und damit eine Generation »Kartoffelsack« ist ein Ergebnis davon.

      Kinder erleben die Welt häufig nur noch aus dritter Hand. Schulen müssen deshalb zu Orten der Aktivierung werden. Des Tuns. Des Herstellens. Des Handelns. Dabei geht es nicht um die Frage einer zusätzlichen Turnstunde. Vielmehr geht es darum, sich als handelndes Wesen überhaupt wahrnehmen zu lernen und Aktivität und Bewegung als integrale Bestandteile des täglichen Schullebens Zeit und Raum zu geben. Viele zwingende Arrangements, den Hintern zu heben, sind verschwunden. Und was nicht natürlicherweise geschieht, muss inszeniert werden. Etwas aktiv tun – körperlich zumal – ist eine Quelle der Erkenntnis, dass es zum Wohlbefinden beiträgt, den inneren Schweinehund an die kurze Leine zu nehmen. Nietzsche passt deshalb auch hier: »Wer sich selber nicht mag, ist fortwährend bereit, sich dafür zu rächen.« An sich, an anderen und an den Dingen.

      Reality-TV

      Geist oder Glotze

      In den Jahren 2004 und 2005 untersuchten Forscher die geistige Entwicklung von knapp 1900 Vorschulkindern. Grundlage der Untersuchung war ein Test, bei dem die Kinder aufgefordert wurden, einen Menschen zu zeichnen. Je differenzierter und realistischer die Abbildung war, desto höher wurde die Leistung des Kindes eingestuft.

      Die Abbildungen zeigen typische Zeichnungen von Kindern …

      … die täglich bis zu einer Stunde fernsehen

      … die täglich mindestens drei Stunden fernsehen

2Lernen beruht auf einer mittel- und längerfristigen Umstrukturierung von Netzwerken in unterschiedlichen Zentren des Gehirns. Dabei wird die synaptische Übertragungsstärke physiologisch und anatomisch verändert. Diese Veränderungen werden durch das limbische System und damit durch Aufmerksamkeit, Motivation und Emotion gesteuert. Wissen kann deshalb nicht übertragen werden; es wird im Gehirn eines jeden Lernenden neu geschaffen (Roth 2003).
3Dopamin ist ein endogenes Opiat. Es wirkt selbstbelohnend und positiv stimulierend.
4Selbstwirksamkeit (self-efficacy) umschreibt die subjektive Gewissheit, neue oder schwierige Aufgaben auf Grund eigener Kompetenzen bewältigen zu können. Sie beeinflusst dabei allgemein das Denken, Fühlen und Handeln sowie – in motivationaler Hinsicht – Zielsetzung, Anstrengung und Ausdauer eines Menschen. Eine Erhöhung der Selbstwirksamkeit korrespondiert mit größerer Leistungsfreude und besserer Gesundheit. (Bandura 1997)

      Orientierung

      Wer nicht weiß, wohin er will, muss sich nicht wundern, wenn er ganz woanders ankommt.

      LRF 1:

       Orientierung bieten

      Angenommen, jemand fährt in dunkler Nacht auf Nebenwegen nach Paris. Plötzlich taucht im Scheinwerferlicht ein Ortsschild auf. Der Fahrer kennt den Ort nicht. Aber er nimmt die Karte hervor. Und er sieht: Ah, da liegt diese Ortschaft. Und er kann erkennen, wie weit es noch geht bis Paris. Und wo die Autobahn verläuft. Anders gesagt: Er kann sich orientieren. Das gibt Sicherheit.

      Orientierungslosigkeit dagegen schafft Unsicherheit. Unsicherheit macht Angst und führt zu Abhängigkeiten. Das gilt auch und gerade fürs Lernen. Denn lernen soll ja von der Abhängigkeit in die Unabhängigkeit führen. Das beginnt beim Kleinkind. Und es sollte in der Schule weitergehen. Das heißt: Die Schule muss den Lernenden Orientierung bieten auf ihrem Weg in die Unabhängigkeit.

       a u f g e p i c k t

      Wer in die falsche Richtung geht, dem hilft auch Rennen nichts.

      In tradierten schulischen Settings dreht sich die Orientierung um die Lehrperson. Sie ist die Orientierung. Sie sagt, wann was zu geschehen hat. Sie sagt, was gut ist und was nicht. Die zentrale Frage, die Lernende sich stellen müssen, ist einfach: Was will er oder sie da vorne unter der Wandtafel? Die entsprechenden Anpassungsleistungen werden honoriert. Unter anderem durch gute Noten.

      Folgende Szene: Ein Lernender erklärt, er hätte eine Fünf5 haben sollen. Er habe jetzt aber nur eine Vier geschafft. Deshalb reiche es ihm nicht für den Übertritt. Wird dieser Lernende gefragt, was er denn mehr gewusst oder gekonnt hätte mit einer Fünf, wird er die Antwort wohl schuldig bleiben. In der Schule (und in den Diskussionen um Schulleistungen in der Familie) geht es selten um Inhalte. Es geht fast ausschließlich um Stellvertreter von Inhalten – in Form von Zensuren.

      Für alle Fächer legt ein Lehrplan die Themen fest. Bestimmt wird aber das, was in der Schule »durchgenommen« wird, von den Lehrmitteln – Kapitel um Kapitel, Seite um Seite. Sie sind, zusammen mit den Vorlieben der Lehrpersonen, der heimliche Lehrplan. Verstärkt ist jetzt noch das Teaching-to-the-test im Hinblick auf die Standards aller möglichen Vergleichsarbeiten und Testverfahren dazugekommen. Lernende haben sich an externe Drehbücher zu halten. Sie haben nachzusingen, was andere vorgesungen haben – Karaoke-Lernen.

      Wer hat, dem wird gegeben

      Die Orientierung an Inhalten erleichtert den Wissensaufbau. Denn: »Wissen ist der entscheidende Schlüssel zum Können« (Stern 2007).


Скачать книгу