Share. Michael Weger

Share - Michael Weger


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bin der Mann, ja. Und Sie sind die Frau. Täusche ich mich oder hindert Sie das auch sonst nicht daran, zu sagen, was Sie wollen?“

      „Sie haben recht. Natürlich. Es ist nur“, sie rang um Fassung, „ich bin erst heute hier angekommen und alles ist, all die Tage schon waren, sehr seltsam.“ Erst jetzt dachte sie wieder mit Schrecken an die Szene, deretwegen sie ihn verfolgt hatte.

      „Ich habe Sie beobachtet, vorhin. Auf dem Platz, mit dem toten Mädchen. Das war sehr, wie soll ich sagen, schockierend, verstörend.“

      „Ich weiß.“

      „Haben Sie mich gesehen?“

      „Nein, aber gespürt.“

      Eine Pause entstand. Claire wich ein kleines Stück zurück.

      „Sie haben sich äußerst seltsam verhalten. Hätten Sie nicht die Polizei verständigen sollen, Alarm schlagen?“

      „Wem hätte das genützt?“

      Claire stutzte.

      „Sie haben sich benommen, verzeihen Sie, wie ein Verrückter.“

      „Ver-rückt? Ja, das bin ich manchmal. Gewissermaßen.“

      „Muss ich mich fürchten vor Ihnen?“

      „Schließen Sie Ihre Augen.“

      „Was?!“

      „Nur ganz kurz. Vertrauen Sie mir, nur ganz kurz. Schließen Sie die Augen. Und legen Sie Ihre Hände in meine.“

      Ich begehe den größten Fehler meines Lebens. Ihr Vater schoss ihr durch den Kopf. Trotzdem folgte sie der Aufforderung des Mannes mit dem seltsamen Namen und den seltsamen Händen.

      „Und nun richten Sie Ihre Aufmerksamkeit in Ihr Inneres. Spüren Sie Ihrem Seelenfeld nach. Sagt Ihnen der Begriff etwas? Seelenfeld?“

      Doch ein Verrückter. Claire nickte zaghaft.

      „Gut.“ Ajan lächelte. „Dann fühlen Sie tiefer als Ihre Angst gerade reicht, tiefer, als sich die Zweifel in Ihrer Fantasie regen. Erfassen Sie hinter Gefühlen und Gedanken das Feld Ihrer Energie. Was tut es?“

      „Es ist …“, Claire musste der hypnotischen Stimme folgen, ob sie wollte oder nicht. Doch die Furcht war da und wurde von der absurden Situation noch verstärkt. „Es fällt mir schwer.“

      „Akzeptieren Sie es.“

      „Bitte?“

      „Akzeptieren Sie, dass es schwerfällt, und fahren Sie einfach fort. Was tut die Energie Ihres Feldes? Was sehen Sie? Welche Bewegung nehmen Sie wahr?“ Seine Stimme wurde nun noch tiefer.

      „Es ist …“

      „Ja?“, brummte er.

      Plötzlich spürte Claire, wie sie, durch einen schmalen Spalt hindurch, ein zarter Sog mit sich nahm.

      „Es ist ganz ruhig da“, entdeckte sie wenige Augenblicke später. „Da ist etwas, ein Wasser, wie ein Wasser, dunkel und weit und es bewegt sich in sanften Wellen und es ist, es ist, irgendwie glücklich. Und ganz still. Kein Gefühl. Mehr eine Ahnung. Oder ein Wissen.“

      „Gut. Du machst das sehr gut. So schnell gelingt es beim ersten Mal selten.“

      Eine kleine Weile stand sie ganz versunken da und gab sich den seligen Eindrücken hin.

      Dann öffnete sie ihre Augen und blickte ihn, noch halb abwesend, an.

      Er lächelte zufrieden, kam so nah, dass sie seinen Atem spüren konnte, und fragte: „Also: Musst du dich fürchten vor mir?“

      Etwas verlegen erwiderte sie sein Lächeln und tauchte langsam wieder aus dem seligen Zustand auf. Sie spürte seine Nähe, erinnerte sich an die Zweifel, die sie eben noch gehegt hatte, doch blieben ihre Gedanken und Gefühle seltsam ruhig.

      „Nein. Ich denke nicht.“

      Er ließ ihre Hände los.

      „Wie wär’s dann jetzt mit einem Drink? Da vorn ist ein Lokal, das hat noch offen.“

      8

      Der Mond hatte sich mittlerweile unter die Sterne gedrängt und manche von ihnen strahlten jetzt zurückhaltender, als empfänden sie Demut vor dem großen Anführer der Gezeiten.

      Claire sah zu ihm hoch, in das ewig der Erde zugeneigte Gesicht, und alles, dieser Mond, die Nacht, der Mann an ihrer Seite und selbst der Geschmack des kühlen Rotweins, von dem sie eben getrunken hatte, erschien ihr unwirklich.

      Der kurze Blick in ihr inneres Feld hatte sie mit sich genommen. Noch immer verharrte ein Teil ihrer Selbst dort in der Tiefe des stillen Wassers und ließ sie schweben, trug sie zugleich, hielt sie umfangen, während ihr schien, als hätten alle Farben an Kraft, alle Konturen an Schärfe gewonnen.

      Ajan saß ruhig neben ihr und beobachtete sie, ihr strahlendes Äußeres, wie auch das Leuchten ihres Feldes. Mit seiner kurzen Anleitung hatte er instinktiv schon begonnen, sie den Prüfungen zu unterziehen. Und dass sie so schnell den Kontakt zu ihrem Feld herstellen konnte, bestätigte seinen ersten Eindruck, als er sie noch am Platz, mit dem sterbenden Mädchen im Arm, im Dunkel hinter sich wahrgenommen hatte.

      „Wir nennen es seelen.“ Claire blickte ihn fragend an und er erklärte: „Den Vorgang, sich bewusst an das eigene Energiefeld anzubinden und diese Verbindung aufrecht zu halten, so lange man will. Das nennen wir seelen.“

      Sie wurde wieder unruhig: „Kommst du von einem anderen Stern?“

      „Es klingt seltsam, ich weiß.“ Ajan streifte sich eine dunkle Strähne aus der Stirn. „Aber nur, weil du das Wort in dieser Form nicht kennst. Wenn du damit aufgewachsen wärst, wie ich, dann wäre es ganz selbstverständlich. Ich habe das lange nicht begriffen. Erst als mich auf meinen Reisen die Menschen, denen ich von Share erzählt hatte, mit demselben Blick angesehen haben wie du jetzt.“

       Share? In welchen Film bin ich denn hier geraten?

      „Also, der Reihe nach.“ Er rückte seinen Stuhl zurecht, so, dass er ihr direkt gegenübersaß. Die Straßentische des kleinen Lokals waren beinahe leer. Nur etwas abseits saß noch ein anderes junges Paar, das in Küssen und Liebkosungen versunken war.

      „Share ist meine Heimatinsel. Sie liegt im Atlantik. Ihr ursprünglicher Name lautet“, er zögerte, „nun, das ist nicht so wichtig. Meine Eltern und die anderen Gründer der Kolonie haben sie jedenfalls Share getauft. Wohl, weil es von Anfang an geplant war, eine Gemeinschaft zu etablieren, die auf dem Teilen von Gütern wie auch dem Teilen von Sorgen, Nöten oder Freude und Glück beruhte. Darum der Name.“

      „Und dort bist du aufgewachsen?“

      „Ja. Und da lebe ich bis heute. Außer, wenn ich auf einer meiner Reisen bin.“ Er vermied es, Claire gleich noch mit einem weiteren neuen Begriff zu verunsichern, und ließ darum unerwähnt, dass er einer der Seeker von Share war.

      „Und wo liegt diese Insel?“

      „Wie gesagt, im Atlantik?“

      „Aber wo genau da?“

      Ajan blickte sie prüfend an.

      „Welchen Beruf hast du?“

      „Du hast meine Frage nicht beantwortet.“

      „Sag mir erst deinen Beruf.“

      Wohin führt das? Und wer, um Gottes Willen, ist dieser Mann? Und was ist er?

      „Ich bin Journalistin.“

      „Dacht ich’s mir doch.“ Ajan schmunzelte.

      „Warum?“ Claire war irritiert.

      „Deine Fragen, deine Zweifel, dein legeres Äußeres, diese Kakihose mit den Seitentaschen und der Einsatzweste – das perfekte Bild einer Journalistin.“


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