Al Qanater. Hannes Führinger
me«, sagte ich zu dem Staatsanwalt. »I …«
Er unterbrach mich mit einer abfälligen Geste, worauf der Dolmetscher sich zu Wort meldete. »Nicht sprechen«, sagte er.
Der Staatsanwalt drehte sich zu den anderen Beamten um und redete mit ihnen auf Arabisch. Ich sah den Dolmetscher fragend an, doch der zeigte keine Reaktion.
Während die Beamten redeten, betrat ein weiterer Mann den Raum. Er war groß, schlank und gepflegt. »Das ist Ihr Anwalt«, sagte der Dolmetscher.
Lisa hatte es offenbar geschafft. Das war immerhin ein Hoffnungsschimmer. Unser Anwalt hieß Ahmed Abouelkassem.
»Sagen Sie ihm, dass wir ohne Grund festgehalten werden«, sagte ich zu dem Dolmetscher. »Er soll herausfinden, was die uns vorwerfen. Ich will wissen, was hier los ist, verdammt noch mal.«
Durch meinen Ton wurden die Beamten wieder auf uns aufmerksam. Der Staatsanwalt schritt langsam zu uns herüber. Der Dolmetscher und der Anwalt erstarrten. Sie schienen regelrecht zu schrumpfen. Der Staatsanwalt sagte zwei Sätze, ganz ruhig und bedacht. Ich verstand sie nicht, aber seine Stimme klang drohend.
Der Anwalt drehte sich daraufhin wortlos um und setzte sich auf einen Stuhl in einer Ecke des Raumes. Dann wandte sich der Staatsanwalt an uns. Der Dolmetscher übersetzte. »Wer sind Sie und was machen Sie hier?«, fragte er.
Ich erklärte ihm so ruhig wie möglich, dass wir mit dem Auftrag, ein Schiff namens Four Smile vor Piraten zu schützen, auf der Durchreise seien, im Hafen von Suez an Bord gehen würden, und dass wir für uns und unsere Waffen alle nötigen Papiere hätten.
Der Staatsanwalt nickte und beriet weiter mit seinen Kollegen. Ich versuchte, Blickkontakt mit Abouelkassem, unserem Anwalt aufzubauen, doch der saß eingesunken und weiterhin stumm in seiner Ecke und ignorierte uns. Schließlich wies uns der Staatsanwalt mit Gesten an, den Raum zu verlassen.
Einer der Sekretäre führte uns zu einer Bank am Gang, wo wir Platz nehmen sollten. Ich bemerkte, dass die Tür, durch die Schönburg verschwunden war, offen stand. »Karl, die haben gerade unserem Anwalt gesagt, er soll still sein und sich in die Ecke setzen«, sagte ich. Ich sagte es so laut ich konnte, ohne zu viel Aufmerksamkeit zu erregen.
Karl verstand. »Stimmt«, sagte er ebenso laut. »Außerdem haben sie ewig lange über uns beraten, während der Dolmetscher kein Wort für uns übersetzt hat.«
Ich konnte nur hoffen, dass uns Schönburg oder jemand anderer von der Botschaft hörte. So wie die österreichischen Diplomaten sich bisher benommen hatten, konnte ich nicht davon ausgehen, dass sie achtsam und schlau genug waren, unsere Nachrichten wahrzunehmen und angemessen darauf zu reagieren. Doch den Versuch war es wert.
Als nächstes mussten wir einzeln in das Büro des Staatsanwaltes zurück. Zuerst war ich an der Reihe. Der Staatsanwalt saß jetzt hinter dem wuchtigen Schreibtisch. Die anderen Beamten und die Sekretäre hatten an dem langen Tisch Platz genommen. Ich sagte, auf seine neuerliche Frage, wer ich sei und was ich in Ägypten wolle, etwas ausgeschmückt das gleiche noch einmal wie gerade eben. Der Staatsanwalt wirkte abwechselnd belustigt und wütend.
Piraten gäbe es nicht, übersetzte der Dolmetscher für mich. Das seien Märchen. Es stellte sich heraus, dass der Staatsanwalt uns für Australier hielt. Das Wort »Austria« hatte er noch nie gehört. Er kannte das Land nicht. Schnösel, zumal ungebildete, in hohen Positionen sind gefährlich, dachte ich. Wenn die es auf einen abgesehen hatten, war mit allem zu rechnen.
Nachdem Karl unsere Geschichte ebenfalls erzählt hatte, brachten uns zwei Polizisten wieder zum Transporter. Ehe wir einsteigen konnten, hielten sie mir zwei Wasserflaschen hin. Als ich mit überschwänglichem Dank danach griff, zogen sie die Flaschen zurück. »Fourty dollar«, sagten sie.
Ich leckte mir über die Lippen, zog meine Brieftasche und gab ihnen das Geld. Ich musste dieses Wasser haben. Eine Flasche reichte ich Karl. Wir tranken beide gierig.
Der Gefängnisdirektor empfing uns diesmal im Innenhof. Wir mussten unsere Kleidung und alle unsere Sachen inklusive meiner 3.600 Euro und 800 Dollar abgeben. Ich hielt mich mit Protesten zurück. Sie würden in dieser Situation keinen Sinn ergeben. Der ägyptische Justizapparat, ob er diesen Namen nun verdiente oder nicht, hatte uns vereinnahmt.
Nicht nur der Zustand des Häftlings, der für uns übersetzen sollte, hatte mich gewarnt. Anlässlich der Inhaftierung Husni Mubaraks im Tora-Gefängnis hatte ich Berichte über die Zustände dort gelesen. Demnach war dort ein Menschenleben wenig wert und niemand fragte nach den Toten.
Wir bekamen weiße Hosen und Hemden. Sowohl das Wort »weiß« als auch die Worte »Hosen« und »Hemden« waren eigentlich unpassend. Es handelte sich um verdreckte Sachen, die aus ehemals weißen Lumpen zusammengeflickt waren. Als ich das »Hemd« überzog, fiel der rechte Ärmel ab.
Ein Wärter führte uns zu unserer Zelle. Durch kleine vergitterte Fenster in zwei Metern Höhe fiel dämmriges Licht in den etwa zwanzig Meter langen und fünf Meter breiten Raum. Der Boden bestand aus gestampfter Erde und Dreck. In die rohen Wände waren Betonbänke eingelassen, jeweils eine in Bodennähe und eine anderthalb Meter darüber. Diese Bänke dienten den Insassen offenbar als Schlafplätze.
Dabei gab es eindeutig mehr Insassen als Schlafplätze. Die Augen von ungefähr achtzig Männern richteten sich auf uns, als wir die Zelle betraten. In ihren Gesichtern standen Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung. Sie wirkten ausgezehrt und krank. Sie alle trugen weiße Lumpen.
Ehe ich mich weiter orientieren konnte, betrat ein Beamter die Zelle. Mehrere Wärter begleiteten ihn. In der Mitte baute er sich auf. Als er zu reden anfing, verstand ich das Wort Chief of Investigation, mit dem er sich offenbar vorstellte. Der Rest war Arabisch und offenbar nicht für uns, sondern für unsere Mithäftlinge bestimmt. Während der Chief of Investigation redete, streifte er uns mit keinem einzigen Blick. Unsere Mithäftlinge hingegen starrten uns unverwandt an, während sie ihm aufmerksam zuhörten.
Als der Chief of Investigation zusammen mit seiner Entourage wieder verschwunden war, sah ich mich noch einmal um. Hier sind wir also gelandet, dachte ich. In einer überfüllten, unerträglich verdreckten Gefängniszelle am Arsch der Welt, zusammen mit achtzig Männern, von denen wir keine Ahnung hatten, was sie verbrochen hatten. Vielleicht waren sie Diebe und Betrüger, vielleicht aber auch Mörder und andere Schwerverbrecher.
Wenn ich aus dieser Lage wieder heil herauskommen will, muss ich mich auf das Wesentliche konzentrieren, dachte ich. Vor allem musste ich herausfinden, was uns dieser Staatsanwalt vorwarf. Schließlich war unsere wahre Geschichte auch für jemanden, der nicht an Piraten glaubte und noch nie von Österreich gehört hatte, einfach zu verstehen, in allen Punkten belegt und durch und durch transparent. Meine Vorbereitung der Reise war so akribisch gewesen, dass uns die Ägypter nicht einmal die kleinste Verwaltungsübertretung vorwerfen konnten.
Als wir uns nach einem Platz umsahen, an dem wir uns niederlassen konnten, fiel uns auf, dass uns die anderen Gefangenen mieden. Erst nach einiger Zeit hörte ich einen von ihnen Englisch sprechen. »Hey, you two«, sagte er. »Come over here.«
Ein drahtiger Ägypter winkte uns zu seiner Betonbank. Wir setzten uns zu ihm. Er reichte uns Kekse, die wir sofort verschlangen. Zum ersten Mal seit langem bekamen wir etwas zu essen. Er gab uns auch Tee. Das stärkte unseren Überlebenswillen. »What did the Chief of Investigation say?«, fragte ich ihn.
Der Ägypter machte ein ernstes Gesicht. Er habe allen Häftlingen verboten, mit uns zu sprechen, sagte er. »He said you are terrorists from Israel.«
Ich schloss die Augen und rieb mir die Schläfen. Großartig, dachte ich. Wir steckten noch viel tiefer in der Scheiße, als ich gedacht hatte.
7
Der Name unseres neuen Freundes war Amar. Er sprach fließend Englisch mit einem amerikanischen Akzent. Er war erst 27 Jahre alt, hatte in den USA studiert und danach einen gut bezahlten Job in der IT-Branche Ägyptens gefunden. Die Staatsanwaltschaft warf ihm vor, in seiner Firma Geld geklaut zu haben.
Amar erzählte uns, dass die Männer