Dürnsteiner Puppentanz. Bernhard Görg

Dürnsteiner Puppentanz - Bernhard Görg


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obskureren Philippus, der sich erdreistete, aus Jesus und dieser Hure Maria Magdalena ein Liebespaar zu machen. Mit allem Drum und Dran, an das sie lieber gar nicht denken wollte. Gestern wieder so ein Machwerk im TV. Fast zur Hauptsendezeit. Konnte nicht mehr lange dauern, bis auch österreichische Sender diesen Schund bringen würden. Nicht nur, dass diese Fernsehmacher alle linke Brüder und Schwestern waren. Jetzt machten sie sich auch noch daran, den Herrn und Meister systematisch in den Schmutz zu ziehen. Was für eine teuflische Strategie dieses gottlosen Packs. Wobei sie Jesus von einer gewissen Mitschuld gar nicht freisprechen wollte. Warum musste er für den Beweis, dass es für eine Umkehr nie zu spät sein würde, ausgerechnet eine Dirne auswählen? Eine reuige Oliven-Diebin hätte es doch auch getan. Mit zweitausendjähriger Verspätung begann sich das jetzt zu rächen. Jesus Christus war eben eine Person, die in der Öffentlichkeit stand. Eine solche Person musste bei der Wahl ihres Umgangs eben vorsichtig sein. Schon damals. Heutzutage wusste das doch jeder kleine Provinzbürgermeister.

      Seit einiger Zeit kaufte sie in einer Trafik am Täglichen Markt in Krems alle Programmzeitschriften, derer sie habhaft wurde. Einerseits, um keine der Sendungen, die von diesem angeblichen neuen Evangelium handelten, zu versäumen. Andererseits, um sich einen Raster anzulegen, mit dem sie die zunehmende Häufigkeit dieser Schandberichte dokumentierte. Wäre doch gelacht, wenn sie diesen Spießgesellen des Teufels nicht die Masken vom Gesicht reißen könnte. Natürlich würde sie Verbündete brauchen. Den Dürnsteiner Pfarrer hatte sie schon darauf angesprochen. Aber der schien kein Interesse an der Sache zu haben. Kein Wunder, dass es bei solch lahmarschigen Vertretern mit der Kirche bergab ging. Wenn sie das früher gewusst hätte, hätte sie ihm die Bitte, für den Blumenschmuck der Stiftskirche zu sorgen, wahrscheinlich abgeschlagen. Ihren Blumendienst heute Früh hatte sie jedenfalls mit heftigem Widerwillen erledigt. Wenigstens hatte ihr der Erlöser, als sie gerade vor dem Hochaltar stand, einen Geistesblitz eingegeben. Sie sollte sich an den Chef des Pfarrers, den Propst von Stift Herzogenburg, wenden. Der war ja ein gelernter Fleischhauer. Also ganz sicher kein Weichei, und schon allein deshalb ein Mann nach ihrem Geschmack.

      Ihr Kopf brummte. Immer noch beinahe so stark wie um sechs Uhr, als der Wecker geläutet hatte. So früh aufzustehen war sie seit ihrer Zeit als Gemeindesekretärin gewohnt. Sie hatte nie einen Grund gesehen, im ungeliebten Ruhestand von dieser Gewohnheit abzuweichen. Weder die Fahrt mit dem Rad und noch weniger ihre morgendliche Beschäftigung in der Stiftskirche hatten Linderung gebracht. Sie war sicher, dass die Kopfschmerzen nur von ihrem Ärger über die gestrige Fernsehsendung herrühren konnten.

      Nach dem Mittagessen mit bereits am Vortag zubereiteten Fleischlaberln samt Erdäpfelpüree war bei ihr der Entschluss gereift, noch einmal nach Dürnstein zu fahren, um an der Schiffsanlegestelle den Touristenstrom zu beobachten, der die MS Wachau bestieg. An der Massenansammlung an sich hatte sie kein Interesse. Sie wollte lediglich die Menschen zählen, die die Frechheit gehabt hatten, sich am Blumenschmuck der Kirche zu vergreifen und ihn als Andenken an den Ausflug nach Dürnstein mitzunehmen. Solchem Pack sollte der Eintritt in ein Haus Gottes verboten sein.

      Jetzt saß sie auf einer Bank nahe der Anlegestelle. Vor ihr Treppelweg und Donau, hinter ihr die Mauer von Schloss Dürnstein, die ihr den Blick auf den Turm der Stiftskirche verstellte. Zum Glück. Scheußliche Farbe. Die meisten Leute hatten sich in der Zwischenzeit an die hellblaue Fassade gewöhnt und wollten sich gar nicht mehr daran erinnern, wie heftig ihr Widerstand gegen die Vorgabe des Denkmalamts bei der Restaurierung des Turms vor mehr als dreißig Jahren gewesen war. Sie war stolz darauf, aus einem ganz anderen Holz geschnitzt zu sein. Die Farbe des Turms blieb ihr verhasst und das betonte sie bei jeder Gelegenheit. Trotz aller Ärgernisse genoss die ehemalige Gemeindesekretärin die ehrerbietigen Grüße der Dürnsteiner, die die wärmende Nachmittagssonne für einen kleinen Spaziergang auf dem Treppelweg nutzten. Einmal Respektsperson, immer Respektsperson. Zu ihrer Freude würdigten ihre Dürnsteiner Mitbürger die Touristenschlange keines einzigen Blickes.

      Sie schätzte die Zahl derer, die aufs Schiff wollten, auf mindestens hundert. Und mindestens jede zehnte Person hielt ganz ungeniert eine Narzisse oder eine Tulpe in der Hand. Eine Frau hatte offenbar die Frechheit gehabt, sogar einen Topf mit violetten Krokussen mitgehen zu lassen. Alles Blumen, davon war sie überzeugt, die sie gestern in Dürnstein und Umgebung mühsam zusammengebettelt hatte. Vor vierzig, fünfzig Jahren hatten es die Dürnsteiner ja noch für eine Ehrenpflicht gehalten, eifrig für den Herrn zu spenden. Heutzutage alles längst vorbei.

      Nachdem das Schiff endlich abgelegt hatte, stand sie auf und bestieg ihr Rad. Der Gedanke an den heimischen Marillenschnaps flößte ihr eine gewisse Vorfreude ein. Heute würde der Schnaps ihr seine tröstende Wirkung nicht versagen. Da fiel ihr Blick auf ein mannsgroßes Etwas, das sich in einem kleinen Strudel auf und ab drehte, um dann weiter stromabwärts zu treiben. Josefa Machherndl war stolz auf ihre Augen. Was ihr Adlerblick da erspähte, ließ ihr die Nackenhaare zu Berge stehen. Es konnte keinen Zweifel geben. In knapp fünfzig Metern Entfernung trieb eine Leiche. Den Schädel wie mit einer Hacke eingeschlagen. Jetzt versank sie. Im nächsten Moment tauchten die Beine wieder auf, dann der Rumpf, dann tauchten sie wieder unter. Leblos. Unfassbar. Niemand schien etwas zu bemerken. Zehn Meter stromabwärts waren wieder ein paar Teile knapp an der Wasseroberfläche zu sehen.

      Die beiden Lehrer, die mitsamt ihren Schulklassen gerade von Bord des Schiffes gegangen waren, wollte sie unter keinen Umständen alarmieren. Ihre Beobachtung würde den Kindern womöglich einen Schock versetzen. Nach kurzer Überlegung entschied sie, auch den Radfahrer nicht anzuhalten, der gerade den Treppelweg fröhlich pfeifend entlang fuhr. Das sollte einzig und allein ihr Fall sein. Bei so etwas kannte sie sich aus. Schließlich war sie ja schon einmal im Zentrum einer Mord-Untersuchung gestanden. Oder zumindest in der Nähe des Zentrums.

      Freitag, 16. April 17 Uhr 07

      Doris Lenhart war so aufgekratzt, dass sie einen ABBA-Song trällerte. Einen so populären, dass auch er ihn kannte. »Waterloo,… Waterloooo«, sang er leise mit und lehnte seinen massigen Körper an den Türrahmen.

      Sie warf ihm einen amüsierten Blick zu, trällerte jedoch weiter und ließ sich auch sonst nicht von den letzten Handgriffen in ihrem Büro abhalten. Freitag, 17 Uhr, war Dienstschluss.

      »Waterloo handelt von einer verlorenen Schlacht«, kommentierte er. »Kein passender Song, um sich auf das Wochenende einzustimmen.«

      »Banause!«, schimpfte sie, während sie ihren Computer abschaltete. »Waterloo handelt von der Übermacht der Liebe.«

      »Du freust dich wohl auf euren Kochkurs. Freu’ dich nicht zu früh. Mörder arbeiten auch nach Dienstschluss. Sogar in Österreich.« Er nippte an dem Becher aus Pappendeckel, den er seit fünf Minuten in der Hand hielt. Pappendeckel passte hervorragend zu der wenig repräsentativen grau-beigen Büroeinrichtung. Und der unnötige Papierhenkel passte zu den Fenstern, die Formen und Ausmaße von Schießscharten hatten. Sogar ihn, dem jeglicher Sinn für Ästhetik fremd war, störten diese schmalen Fenster. Bei jedem Blick hinaus stellte er sich die Frage, ob der verantwortliche Architekt das Gebäude in der Überzeugung geplant hatte, die Polizei vor Attacken anstürmender Verbrecherhorden schützen zu müssen. »Scheußliches Gesöff«, murrte er. »Mit der Besteilung einer neuen Kaffeemaschine könntest du unsterblich werden.«

      »Das werde ich auch ohne neue Kaffeemaschine. Bist du am Sonntag wieder auf einem Fußballplatz unterwegs?«

      »Klar, in Hohenau. Nicht gerade eine Traumgegend, aber immer noch besser als euer Kochkurs. Was dein Erich dort soll, ist mir schleierhaft.«

      »Mein Erich weiß wenigstens, was eine Frau glücklich macht. Wenn du den Kochlöffel beizeiten geschwungen hättest, dann wäre deine Frau vielleicht bei dir geblieben.« Mit einem Seufzen nahm sie die Tulpen auf ihrem Schreibtisch, die schon den Kopf neigten, aus der Vase. Über dem Mistkübel hielt sie inne, überlegte es sich offenbar anders, zog ein kleines Messer aus der Schreibtischschublade, schnitt die braunen Stellen unten an den Stielen weg, holte frisches Wasser und stellte die Tulpen zurück in die Vase.

      Er schüttelte den Kopf. Ausgeschlossen, dass die Blumen das Wochenende überlebten.

      »Oder wenn du wenigstens dein Hemd über deinem Bauch zugeknöpft hättest«, kommentierte sie sein


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