Der Spion in meiner Tasche. Helmut Spudich

Der Spion in meiner Tasche - Helmut Spudich


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Handy« gehalten hat. In seiner Keynote (weiterhin auf YouTube) führt er vor, wie schon wenige Jahre später die meisten Menschen ihre Handys benutzen würden, gleich ob iPhone oder Geräte mit Googles Android.

      Anstelle einer fixen Plastiktastatur tritt das Touch Display: Ein Bildschirm wie die grafische Benutzeroberfläche des Computers, mit Fingern statt einer Maus zu bedienen. Durch den Entfall der Tastatur wird das Display größer, Bildschirm-Tasten erscheinen je nach Notwendigkeit und passen sich dem jeweiligen Programm an – der »App«. Bilder und Texte werden durch Auseinanderziehen zweier Finger vergrößert, durch zusammenzwicken verkleinert. Mit dem Finger von links nach rechts wischen, um das Gerät zu entsperren (womit Apple später ein Patentverfahren gegen Samsung gewinnen sollte) oder von einem Bild zum nächsten zu kommen. Von oben nach unten »scrollen«, um am iPod durch die Songs zu »blättern«, oder auf einer Webseite weiter zu gelangen. Telefonnummern auf einer Webseite antippen, um einen Anruf zu machen. Webbrowser und Mailprogramm, wie es Benutzer vom Computer gewohnt waren. Google Maps, um den Weg zu finden. Ein einziger Home Button, um wieder an den Anfang zurückzukehren, wenn man sich in den Apps verirrt hatte. Mit Sonderapplaus bedacht: Ein separater kleiner Schalter, um Klingeln zum falschen Zeitpunkt sofort abdrehen zu können. Und dazu den iPhone-Klingelton, der bald so bekannt sein sollte wie davor die Nokia-Tunes.

      Es ist bemerkenswert, wie Steve Jobs mit dieser Vorführung im Jahr 2007 die neue Welt der Smartphones so definierte, wie sie bis heute funktioniert. Erstaunlicherweise kamen in dieser Premiere zwei essenzielle Bausteine unserer Smartphones zu kurz. Das war einerseits Fotografie am Handy: Zwar zeigte Jobs die iPhone-Foto-App und die integrierte 2-Megapixel-Kamera. Aber zu Recht hätte er bei seiner Einführung auch digitale Fotografie auf seine revolutionären Fahnen heften können. Nokia hatte dies zuvor durch eine Kooperation mit dem deutschen Traditionshersteller von Präzisionsoptiken Zeiss probiert. Doch die Daten von Fotosites wie Flickr zeigten bald, dass sich die (noch vergleichsweise inferiore) Kamera des iPhones rasch an die Spitze aller geknipsten Bilder setzte. Einfache Benutzung zählte mehr für den Erfolg als technologische Überlegenheit.

      Andererseits fehlte jeder Hinweis auf einen App-Store und damit auf die schier unbegrenzten weiteren Verwendungsmöglichkeiten für das iPhone, die Abertausende von Apps bald eröffnen sollten. Gerade darin lag das »Revolutionäre« der neuen Handygeneration: Durch Apps können sie sich immer wieder neu erfinden. Ein Jahr später, im Sommer 2008, sollte schließlich der App-Store mit 500 Angeboten seine virtuellen Tore öffnen. Heute werden über zwei Millionen Anwendungen angeboten, zu denen täglich Hunderte neue kommen.

      Der Rest ist Geschichte. Bei der Apple-Messe, bei der Jobs die Revolution verkündete, konnte das iPhone nur als sakrales Kultobjekt hinter Glas bewundert werden, wie Kronjuwelen geschützt. Bis zum Sommer 2007 durfte kein Sterblicher Hand an das Wunderwerk legen. Wie das Stehplatzpublikum bei Ballettvorstellungen der Wiener Staatsoper warteten schließlich tausende Fans in einer Juni-Nacht vor Verkaufsbeginn vor den amerikanischen Apple-Stores, um die Segnungen des von Medien nur halb-ironisch »Jesus-Phone« getauften Geräts empfangen zu dürfen. Szenen, die sich in Hauptstädten rund um den Globus wiederholten.

      Der Feind auf deinem Touchscreen

      Doch jedem Anfang wohnt nicht nur ein Zauber, sondern auch der Kern eines späteren Rosenkriegs inne. In einer weitgehend vergessenen Szene der iPhone-Premiere hatte Google CEO Eric Schmidt einen Auftritt. Steve Jobs hatte voller Begeisterung zuvor Google Maps für das iPhone präsentiert, adelte es als eine unverzichtbare Anwendung des Internets in der Tasche und brachte das Publikum zum Lachen, als er den nächsten Starbucks auf der Karte suchte und dort anrief und »4000 Latte zum Mitnehmen« bestellte.

      Jetzt durfte Schmidt zum Handshake auf die Bühne, Jobs und das iPhone preisen, um dann nahtlos zu Google Maps als zentralem Datenelement auf dem iPhone überzuleiten. »Wir könnten die beiden Firmen fusionieren und sie Applegoo nennen… aber mit Google am iPhone kommen wir zusammen, ohne zu fusionieren, und jeder tut dabei das, was er am besten kann«, sagte Schmidt, der damals Mitglied des Apple-Boards war (eine Mischung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat). Im Kern erklärte Schmidt damit, was Googles alchemistisches Geschäftsmodell am Handy werden sollte: Daten aller Art aufzusaugen, um sie in Gold zu verwandeln.

      »Aus Google Maps bekommen andere Apps Daten, so wie Maps Daten von diesen Apps bekommen. Das ist der Beginn einer ganz neuen Generation von Datendiensten, mit mächtigen Computern in der Cloud, die diese Daten nutzen können.« Beim ersten iPhone erlaubte dies solch nützliche, aber noch einfache Funktionen, wie eine Adresse aus dem Adressbuch mit einem einzigen Fingerdruck in Maps zu finden. Nur wenige Jahre später ermöglichte dies, dass Google praktisch über jede Bewegung eines Nutzers von Google Maps Bescheid weiß und diese Information mit anderen Daten verbinden kann – wonach bei Google gesucht wurde, welche Einkäufe jemand mit Gmail tätigte, welche anderen Apps benutzt werden (eine reiche Datenspur, der wir in den folgenden Kapiteln folgen werden).

      Es war dies der letzte öffentliche Handshake zwischen Jobs und Schmidt. Hinter den Kulissen war Google längst dabei, sein eigenes Betriebssystem für ein Smartphone zu entwickeln. Bereits 2005 hatte Google Android samt seinem Entwickler Andy Rubin gekauft, ein früherer Apple-Techniker. Wenige Monate nach dem Verkaufsbeginn des iPhones präsentierte Android seinen zum Verwechseln ähnlichen Gegenentwurf zum iPhone. 33 Firmen hatte der Suchmaschinenkonzern um sich geschart, die auf Basis von Android Smartphones bauen sollten. Im Herbst 2008, mehr als ein Jahr nachdem das iPhone Schlagzeilen und Herzen erobert hatte, kam das erste Android-Handy auf den Markt. Das als T-Mobile G1 verkaufte Dream des taiwanesischen Herstellers HTC war noch eine Art Hybrid aus alter und neuer Handywelt. Google Apps bestimmten das Angebot: Suche, Maps, Mail, Kalender.

      Der Premiere des Geräts waren Schreiduelle am Google-Campus in Mountainview zwischen Steve Jobs und Eric Schmidt, den Google-Gründern Sergey Brin und Larry Page, sowie Andy Rubin vorangegangen. Jobs wollte verhindern, dass Google seine iPhone-Konkurrenz auf den Markt brachte, bot für den Verzicht sogar prominenten Platz (und damit Erträge) für Google-Apps auf dem Startschirm des iPhones an.

      Vergeblich. Aus der Freundschaft zur Geburt des iPhones wurde eine epische Feindschaft. Nach und nach übernahm Android so gut wie alle Funktionen des iPhones – Wischen, Mehr-Finger-Touch, Apps in Rasteranordnung, einen App Store namens Play Store (eine Konzession an Apples Urheberrecht). 2010 kam das erste Samsung Galaxy auf den Markt, die Reihe, die zum Hauptkonkurrenten des iPhones werden sollte und diesem zum Verwechseln ähnlich sah. Apple klagte umgehend gegen das Design. Und Apple klagte HTC – und damit Android wegen der Verletzung von 20 Patenten. Es war dies der Startschuss für eine Dekade an Patentprozessen, bei denen jeder jeden in der Industrie klagte und die Streitwerte in Milliarden beziffert wurden. Andy Rubin, der Android zum überragenden Erfolg führte, verließ 2013 Google. Mit 90 Millionen Dollar auf dem Konto, aber nicht freiwillig, wie sich Ende 2018 herausstellte: Glaubhafte Vorwürfe sexuellen Missbrauchs führten zu seinem Abschied.

      Am Erfolg von Android änderten all die Klagen nichts. So wie in den 1980er-Jahren Microsoft mit Windows den Mac kopiert hatte und hunderte Hersteller PCs bauten, für die eine Heerschar von Programmierern Software schrieben, machte sich jetzt Android auf dem Smartphone-Markt breit. Jedoch wiederholte sich die Geschichte nicht: Obwohl der Markt längst von Android zu 75 Prozent dominiert wird, geht der Löwenanteil der aus Smartphones erzielten Gewinne an Apple. Fast 90 Prozent des Nettoertrags landet in Apples Kassen, rechnen Marktbeobachter wie IDC. Bis zum Börsengang der saudischen Ölfirma Saudi Aramco Ende 2020 matchte sich Apple mit Microsoft um den Titel des wertvollsten Unternehmens der Welt mit einem Aktienwert von mehr als einer Milliarde Dollar.

      G’schamster Diener

      Das Smartphone öffnete eine Welt der Apps für alles und jedes. Webbrowser, Mail, Maps und das Wetter waren dabei nur der Anfang. Wir haben Apps, um Musik zu hören, und Apps, um Musik zu erkennen. Apps, um Pokémons zu jagen, und um zu schauen, wo das Flugzeug über uns herkommt. Apps, um den Partner fürs Leben oder einen One-Night-Stand zu finden. Apps, um den Menstruationszyklus zu kontrollieren. Apps für die optimale Bratzeit des Steaks. Apps für die Kundenkarte im Supermarkt und Apps für Online-Banking. Wir fotografieren unsere Speisen und posten, wir fotografieren uns selbst und posten,


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