Eine neue Wirtschaft. Johannes Gutmann
Mitteln dagegen. Sie kommt mit ihren Verlockungen und verschlingt sie, oder sie treibt ihre Protagonisten in den Ruin.
Im Westen hören wir oft, dass die friedlichen Proteste der osteuropäischen Länder gegen ihre kommunistischen Regierungen in den 1980er-Jahren einzig und allein das Ziel hatten, den westlichen Lebensstil zu kopieren. Das wird gemeinhin als Beleg dafür genommen, dass es keine Alternative zum Kapitalismus gibt. Jedes andere Wirtschaftssystem bringt in dieser Sichtweise Armut hervor, wie man sie in den ehemaligen kommunistischen Staaten erlebt hat. Doch so einfach ist es nicht. Die Menschen protestierten nicht bloß gegen ein totalitäres Regime und für den kapitalistischen Westen, sondern auch für eine faire und gerechte Wirtschaft, die solidarisch ist.
Tatsächlich hat die Demokratisierung von Ländern wie Polen oder Ungarn politische Freiheiten für ihre Bürger hervorgebracht, die unter kommunistischer Herrschaft undenkbar waren. Doch auch in diesen Ländern zeigte sich der Kapitalismus bald von seiner hässlichsten Seite. Viele Menschen haben noch heute mit finanziellen Problemen zu kämpfen. Der Reichtum ist ungleich verteilt. Ungerechtigkeiten haben populistische Parteien an die Macht gespült, die die Demokratie für ein lästiges Übel halten. Politiker wie der ungarische Premierminister Viktor Orbán sprechen von einer »illiberalen Demokratie«, und meinen damit in Wahrheit: Kapitalismus ja, Demokratie lieber nicht.
Die angebliche Alternativlosigkeit zum westlichen Kapitalismus hat in den vergangenen dreißig Jahren jeden Widerstand im Keim erstickt. In den Köpfen der meisten Menschen ist der Kapitalismus mit Frieden und Wohlstand verknüpft. Der Wirtschaft müssen wir alles unterordnen. Solange das Wachstum anhält, wird es uns gut gehen.
Dabei gibt es diese Alternativlosigkeit noch gar nicht lange. In den 1970er- und 1980er-Jahren hatten viele Menschen noch ein Bewusstsein dafür, dass etwas auf dieser Welt falsch läuft. Menschen erkannten, dass unsere Art zu wirtschaften den Planeten ausbeutet und Lebenschancen zerstört. Sie erkannten, dass wir mit unserer Lebensweise zur Vernichtung von Natur und Umwelt beitragen. Diese Denkart lässt sich in einem Satz zusammenfassen:
Der Konsum zerstört den Planeten.
Die Börsenmilliardäre und politischen Amtsträger, die ihren Erfolg dem Wirtschaftssystem verdankten, lachten über die Warnungen der »Öko-Freaks«. Deren Gerede vom Klimawandel, der Vernichtung der Regenwälder, der Vermüllung der Meere und der Vergiftung der Böden klang in ihren Ohren nach einer Schauergeschichte für Kinder. Seither haben die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, die Zerstörung von Lebensraum und die Verschmutzung von Luft und Wasser zugenommen. Die Realität hat die schlimmsten Befürchtungen der »Öko-Freaks« übertroffen.
Einst sollte die Wirtschaft die Menschen auf der ganzen Welt zu einem globalen »Wir« verbinden. Stattdessen ist sie zu einem Monster geworden, das wenige Menschen zu sagenhaftem Reichtum führt, während es den Großteil der Erdbevölkerung mit einem zerstörten Planeten zurücklässt.
Heute kontrollieren rund 2.000 Menschen der Welt mehr Geldvermögen als die ärmsten 4,6 Milliarden. Fast die Hälfte aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf der ganzen Welt muss jeden Tag mit weniger als anderthalb Euro auskommen. Ein Fünftel von ihnen hat weniger als 75 Cent pro Tag zur Verfügung. Und dennoch bestimmt ein Gesetz die Wirtschaft dieser Welt:
Der Konsum rettet den Planeten.
Wirtschaftsexperten haben dafür eine einfache Erklärung: Ohne Konsum gibt es kein Wachstum, und ohne Wachstum geht die Wirtschaft zu Ende.
Die Finanzwirtschaft hat sich zu einem überfressenen, entkoppelten Monster entwickelt, das ein Eigenleben führt. Nicht mehr die Menschen lenken die Wirtschaft, die Wirtschaft lenkt die Menschen nach ihren eigenen Vorlieben. Ihre Lieblingsdisziplin: Wachstum.
Die Börsenwirtschaft ist zu einem Kasino geworden, in dem die Lust am Zocken keine Grenzen kennt. Die Finanzprodukte heißen Futures, Options, Swaps, ETF’s, CDS, CDO’s. Sie sind das Merkmal einer inneren, tief verwurzelten Habgier, gemischt mit einer ordentlichen Portion Hochmut und einer Prise Hemmungslosigkeit. Wenige Filme haben dieses Phänomen so anschaulich verarbeitet wie Oliver Stones Streifen Wall Street. Darin spielt Charlie Sheen einen jungen Broker an der Wall Street, der an den erfolgreichen und skrupellosen Gordon Gekko (Michael Douglas) gerät. In der berühmtesten Szene des Films fasst Gekko sein Erfolgsrezept in drei Worten zusammen:
Gier ist gut.
Gier hält die Wirtschaft am Laufen. Gier sorgt für das stetige Wachstum. Gier will aus viel Geld noch mehr Geld machen.
Wenn wir das hören, müssen wir uns unweigerlich fragen: Wie konnte es so weit kommen? Wann wurde diese Monsterwirtschaft geboren?
Die Geburt der Monsterwirtschaft
Die Wirtschaft verwandelte sich zu dem Zeitpunkt in ein gefräßiges Monster, als das Geld seinen ursprünglichen Sinn verlor.
Menschen haben schon vor Jahrtausenden damit begonnen, Zahlungsmittel zu verwenden. Das Papiergeld ist eine relativ neue Entwicklung. Davor tauschten die Menschen Muscheln, Getreide, Steine, Salz, Felle, Vieh, Gold oder Silber. Sie zeichneten sich durch ihren hohen Wert aus und waren in beschränkter, aber ausreichender Menge vorhanden.
Die Zahlungsmittel wurden im Alltag auch als Waren, zum Beispiel als Nahrungsmittel oder als Schmuck, eingesetzt. Als Folge der neolithischen Revolution und der beginnenden Arbeitsteilung fingen die Menschen an, Güter zu sammeln und zu speichern.
Dadurch kam es zu einer weiteren wichtigen Änderung: Der einfache Tauschhandel wurde abgelöst von Waren, die an Wert gewinnen konnten, indem man sie ansparte und auf günstige Gelegenheiten wartete. Hatte etwa jemand einen Speicher voller Getreide, während die Felder der anderen Bauern nur eine geringe Ernte abwarfen, stieg der Wert des Getreides automatisch an. Wenn jemand heute mit Aktien oder Immobilien handelt, dann ist das Verfahren viel komplexer, die Grundidee bleibt aber die gleiche.
Die Erfindung des Geldes und die Geschichte vom reichsten Mann aller Zeiten
Bereits in der Antike kamen Menschen auf die Idee, das Warengeld durch Münzen zu ersetzen. Ein Vorteil war ihr stabiler Wert. Ein weiterer, dass sich die Münzen ausschließlich als Zahlungsmittel einsetzen ließen. Eine Münze aus Kupfer oder Silber konnte man schließlich nicht essen oder als Schmuck tragen. Die Idee des Geldes war damit geboren.
Was im Laufe der Jahrhunderte passierte, ist eigentlich unglaublich. Zu Beginn handelten Menschen mit Waren, die nützlich waren. Getreide und Salz konnte man als Nahrung verwenden, Muscheln zu Schmuck verarbeiten, Felle für Kleidung oder Möbel verwenden. Aber was konnte man mit Münzen machen? Genau genommen gar nichts. Genau deswegen eigneten sie sich perfekt als Zahlungsmittel. Ihre einzige Funktion war, Dinge zu erwerben. Sie verfaulten nicht und machten den Wert von Waren vergleichbar.
Vor der Erfindung des Geldes machte es keinen Sinn, einen Preis festzusetzen. Nehmen wir an, jemand will eine Kuh verkaufen. Der erste Käufer bietet ihm drei Säcke Getreide. Der zweite fünf Hühner. Der dritte eine wunderschöne Muschel. Wie entscheidet er sich? Vermutlich danach, was er zum betreffenden Zeitpunkt am dringendsten braucht. Doch mit den Münzen änderte sich die Situation. Plötzlich ließ sich ein Preis festsetzen, der sich daran orientierte, wie dringend der Bedarf eines Produktes war. Es gab eine gemeinsame Verhandlungsbasis, und das war eine Revolution.
Doch wer bestimmte, wie viel eine Münze wert war? Ein Standard war nötig. Im Mittelalter war das der Silberstandard. Der Wert einer Münze ergab sich durch ihren Silbergehalt. Je mehr Silber in der Münze verarbeitet war und je schwerer sie wog, desto wertvoller war sie. Der spätere Goldstandard aus England setzte sich weltweit durch.
Doch es geriet schnell in Vergessenheit, dass dieser Wert künstlich ist. Menschen haben sich darauf geeinigt, zuerst Silber und dann Gold als Standard einzusetzen und den Wert ihrer Münzen und ihrer Scheine davon abhängig zu machen. Wie sich die Standards entwickelten, entzog sich allerdings der Kontrolle. Wenn zum Beispiel sehr viel Silber oder Gold auf dem Markt war, dann verloren die Münzen oder die vom Goldstandard abhängigen Scheine automatisch ihren Wert.
Die Geschichte des Königs