Clevere Aufgaben (E-Book). Armin Sehrer
der kompetenzorientierten Lehrpläne attraktiv und erleichtert Interessierten mit dem Schlüssel «Clevere Aufgaben» den Eintritt.
Der Sammelband will Anregungen geben und Lehrerinnen und Lehrer dazu animieren, «clevere Aufgaben» zu konstruieren und einzusetzen. Dieser Absicht schließe ich mich an und wünsche allen Leserinnen und Lesern genau diese Erfahrung.
Thomas Meinen, Rektor Pädagogische Hochschule Schaffhausen
Reusser, K. (2009). Von der Bildungs- und Unterrichtsforschung zur Unterrichtsentwicklung. Probleme, Strategien, Werkzeuge, Bedingungen. In: Beiträge zur Lehrerbildung 27 (3). S. 295–312.
Schneuwly, G. (2016). Unterrichtsentwicklung. In: Hofmann, H., Hellmüller, P., Hostettler, U. (Hrsg.). Eine Schule leiten. Grundlagen und Praxis. Bern: hep. S. 85–101.
Markus Kübler, Hanja Hansen
Einleitung: Vom Lehrplan zu cleveren Aufgaben – Bausteine der Unterrichtsentwicklung
Clevere Aufgaben sind zentral für den kompetenzorientierten Unterricht, wie er dem deutschschweizerischen Lehrplan 21 zugrunde liegt. Dieser Herausgeberband spannt deshalb den Bogen von der Einführung des Lehrplans 21 über die Unterrichtsentwicklung bis hin zu konkreten Beispielen von cleveren Lernaufgaben. Er richtet sich an Verantwortliche für Unterrichtsentwicklung, Schulleiterinnen und Schulleiter sowie Lehrerinnen und Lehrer, die den Gestaltungsspielraum für ihren Unterricht kreativ und eigenverantwortlich realisieren möchten. Im ersten Teil des vorliegenden Bandes finden Führungsverantwortliche das Vorgehen der Unterrichtsentwicklung begründet und ein kantonales Beispiel aus der Schweiz dafür. Im zweiten Teil erfahren die Leserinnen und Leser, wie mit cleveren Aufgaben kompetenzorientierte Lehrpläne im Unterricht implementiert werden können.
Diese Einleitung erklärt den bildungspolitischen Hintergrund und den Aufbau des Herausgeberbandes.
Die Entwicklung des deutschschweizerischen Lehrplans 21 (2010–2014) hat ihren Ursprung im Mai 2006, als die schweizerische Stimmbevölkerung mit 85 Prozent Ja-Stimmen die neuen Bildungsartikel der Bundesverfassung beschloss; diese verlangten eine Harmonisierung des schweizerischen Schulwesens. Der Weg zur Harmonisierung führt nun aber nicht nur über eine Angleichung der Schulstrukturen (zum Beispiel Übertrittszeitpunkte), sondern auch über eine Verständigung über die Bildungsziele und damit auch die Schaffung gemeinsamer sprachregionaler Lehrpläne. Lehrpläne wiederum basieren in der Regel zum einen auf einer Ressourcenrechnung (wie viele Lektionen stehen zur Verfügung?) und zum anderen auf einer grundlegenden Vorstellung (Lerntheorie) darüber, wie Lernen und Lehren funktionieren.
Mit dem neuen deutschschweizerischen Lehrplan 21 wurde erstmals das Eingeständnis gemacht, dass eine rein technische Harmonisierung der bisherigen 21 verschiedenen kantonalen Lehrpläne der deutschsprachigen Kantone der Schweiz sowie eine rein administrative Einführung eines gemeinsamen neuen Lehrplans nicht genügen würde. Im Grundlagenbericht zum neuen Lehrplan findet sich deshalb die normative Setzung der Kompetenzorientierung: «Moderne Bildungssysteme und neue Lehrpläne orientieren sich an Kompetenzen» (D-EDK 2010, S. 14). Der Lehrplan 21 beruht zudem auch auf einer gemäßigt sozial-konstruktivistischen Lerntheorie: «Der Kompetenzerwerb als Aufbau von Vorstellungen und Konzepten über die Welt geschieht dabei aktiv und in vielfältigen Formen des Austauschs» (D-EDK 2016, S. 253).
Diese im Lehrplan integrierte Sicht auf Lernen und Schule hat von Anfang an auch wissenschaftlichen Widerspruch und politische Opposition hervorgerufen, die in zahlreichen kantonalen Initiativen und Volkabstimmungen gipfelte. Die harten Diskussionen um den Lehrplan 21 (die teilweise weiter andauern) beruhen vielfach auf Missverständnissen zwischen Befürwortenden (Lehrplan als Reform- und Schulentwicklungsprojekt) und Gegnern (Lehrplan als nicht legitimiertes Umbauprojekt der Gesellschaft). Tatsächlich ist der neue Lehrplan 21 eine Fortschreibung bestehender kantonaler Lehrpläne, von denen die meisten Lernen bereits als konstruktiven Vorgang verstehen und den Begriff der «Kompetenz» schon seit Längerem integriert haben. So nennt der Schaffhauser Lehrplan von 2006 (als Kopie des Berner Lehrplans von 1996) den Begriff «Kompetenz» bereits über zwanzig Mal.
Nachdem diverse kantonale Volksabstimmungen die Einführung des Lehrplans 21 bekräftigten, kann nun die theoretische wie die praktische Debatte über die begrifflichen Grundlagen und die Konstruktionsprinzipien des neuen deutschschweizerischen Lehrplans wieder aufgenommen werden.2
Lehrpläne erfreuen sich als populäre administrative Lenkungsinstrumente des Systems Schule großer Beliebtheit, obwohl seit Längerem klar ist, dass Lehrpläne nur selten die Erwartungen der politischen Behörden und der weiteren Öffentlichkeit erfüllen: Lehrpläne entfalten im Unterricht nur wenig Wirkung, sind also nicht an und für sich wirksam (vgl. Künzli, Hopmann 1998; Vollstädt et al. 1999). Mit jedem neuen Lehrplan werden die alten Hoffnungen auf eine mögliche übergeordnete Steuerung der Schule erneuert. So wird im Grundlagenbericht zum Lehrplan 21 argumentiert: «Im Lehrplan wird der bildungspolitisch legitimierte Auftrag der Gesellschaft an die Volksschule erteilt. Er legt die Ziele für den Unterricht aller Stufen der Volksschule fest und ist ein Planungsinstrument für die Lehrpersonen, Schulen und Bildungsbehörden»3 (D-EDK 2010, S. 4). Lehrpläne vereinen also unterschiedliche Funktionen (vgl. Vollstädt et al. 1999, S. 19–21). Dabei ist aber zu beachten, dass Lehrpläne verschiedene Ansprüche zu bedienen haben, die sich jedoch teilweise ausschließen. Sie sind einerseits politische Dokumente, die der Legitimation des Systems Schule dienen (Legitimationsebene); sie sind andererseits auch gedacht als Planungshilfen für die Lehrkräfte, wobei sie fachdidaktisch unterlegt und begründet sind (Leistungsebene); daneben erfüllen sie einen angenommenen Steuerungszweck der Bildungsverwaltungen (Steuerungsfunktion); nicht zuletzt dienen sie als Grundlage für die Lehrmittelverlage zur Produktion von Lehr- und Lernmitteln (Anregungsfunktion). Lehrplänen wird also immer wieder und immer wieder neu eine nicht geringe Steuerungswirkung hinsichtlich der Auswahl der Inhalte im konkreten Unterricht unterstellt, unabhängig davon, dass die Empirie etwas Gegenteiliges feststellt.
Diese angenommene Wirkung auf die Leistungsebene (Planung und Durchführung von Unterricht) wird zusätzlich verstärkt durch die Annahme, dass Lehrpläne nicht nur steuernd auf den Unterricht wirken, sondern zusätzlich auch eine positive Wirkung hinsichtlich der Unterrichtsqualität entfalten sollen: Neue Lehrpläne bedeuten gemäß diesem Paradigma auch besseren Unterricht (vgl. Vollstädt et al. 1999, S. 27). Demgegenüber gaben bei einer Befragung von 1994 Lehrkräfte aus einigen Fachbereichen an, dass sie den geltenden Lehrplan seit über einem Jahr nicht mehr konsultiert hätten; viel wichtiger für die eigene Unterrichtsvorbereitung werden die eigenen Unterrichtsmaterialien und die zur Verfügung stehenden Lehr- und Lernmittel eingeschätzt (siehe dazu den Beitrag von Armin Sehrer). Fragt man Lehrerinnen und Lehrer, wünschen sie sich als (idealen) Lehrplan einen Minimalkatalog von Inhalten und Jahreszielen, die erreicht werden sollen (vgl. Vollstädt et al. 1999, S. 86, 92), was in etwa einem Schulcurriculum entspräche.
Diesem Widerspruch zwischen Steuerungsanspruch der Bildungsverwaltungen (in unserem Falle die Deutschschweizerische Erziehungsdirektorenkonferenz) sowie dem Wunsch und der Praxis der Lehrkräfte kann auch der Lehrplan 21 nicht ausweichen. Deswegen ist bei der Implementierung ein achtsames systemsensitives Vorgehen anzustreben, das bis in den Unterricht wirkt (siehe den Beitrag von Hanja Hansen). Die Pädagogische Hochschule Schaffhausen verfolgt einen entsprechend dialogisch ausgestalteten Einführungsprozess, indem sie die Lehrkräfte aktiv in die Maßnahmenplanung einbezieht (siehe der Beitrag von Hanja Hansen und Armin Sehrer).
Besonders am neuen Lehrplan ist zudem, dass er diesem beschriebenen Widerspruch spezielle Beachtung schenkt, indem er in der Einleitung ein grundlegendes didaktisches Verständnis (das in den Einleitungen zu den Fachbereichen zusätzlich vertieft wird) bietet und kurz mit dem Begriff des gemäßigten sozialen Konstruktivismus umschrieben werden kann. Auf das in der politischen Diskussion kolportierte Missverständnis zwischen Lerntheorie (wie lernen Kinder?) und Lehrtheorie (wie sollen Lehrkräfte unterrichten?)