Führungskräfte-Entwicklung: Worüber man in der Praxis ungern spricht. Rolf Th. Stiefel
und dem gesamten Management bewirkt.
• Mitarbeiter in der FKE-Abteilung, die – je nach Organisationsprinzip – für einzelne Zielgruppen arbeiten oder einzelne FKE-Projekte verantworten.
• Der Vorgesetzte der FKE-Funktion, zumeist der HR-Vorstand oder ein HR-Leiter.
• Die Geschäftsführung, die entsprechende Budgets für die FKE bereitstellt und bei wichtigen Entwicklungs- und Veränderungsprojekten in der FKE-Arbeit mit ihrer vorbilderzeugenden Funktion vorangeht.
• Ein wichtiger, oft vergessener Akteur auf dem FKE-Spielfeld ist der einzelne Manager, der beispielsweise als Teilnehmer in Führungsseminaren qualifiziert wird oder als Klient in Fördergesprächen oder in Coaching-Sitzungen »entwickelt« wird.
• Der unmittelbare Vorgesetzte der einzelnen Teilnehmer in der FKE-Arbeit.
Externe Akteure
• Trainer und FKE-Berater, die als Solo1 oder in kleinen oder größeren Firmen organisiert sind und sowohl konzeptionell als auch für die Durchführung von einzelnen FKE-Maßnahmen und -Projekten eingesetzt werden.
• Damit verwandt ist auch ein Typ von Akteur, den es noch nicht so lange in der Szene gibt. Es handelt sich um »Trainer-Agenturen«, die sich im Markt zwischen den Großnachfragern nach externen Trainertagen und einzelnen Solo-Trainern etabliert haben. Große Unternehmen entwickeln für die Bearbeitung bestimmter Bedarfe einer zahlenmäßig relativ großen Zielgruppe ein komplettes Manual der Bedarfsbearbeitung und brauchen für dessen Umsetzung mehrere hundert Trainertage. Statt die entsprechenden Trainer dafür selbst am Markt zu suchen, übergibt das Unternehmen den gesamten Auftrag an eine Trainer-Agentur, bei der sich Solos gelistet haben.
• Management-Institute und Business Schools, die ein differenziertes Angebot von einzelnen Seminaren bis zu gesamten Lehrgängen bereithalten und für die Rekrutierung genügender Führungskräfte-Teilnehmer in ihren Veranstaltungen auch werblich aktiv sind.
• Verlage, die sich mit Fachbüchern und Magazinen als Mittler zwischen den Polen der Generierung von neuem Wissen und der Verwendung von neuem Wissen in der Praxis etablieren. Dazu gehören auch die dort beschäftigten Mitarbeiter, wie beispielsweise die Programmverantwortlichen für FKE-relevante Gebiete und die Journalisten, die für die Magazine und Zeitschriften Beiträge liefern.
• Verbände und professionelle Vereinigungen, die mit ihren Aktivitäten und Veröffentlichungen eine Art normierende Instanz für die FKE in ihren Mitgliedsunternehmen einnehmen.
Wenn man diese eher unauffällige Auflistung von Akteuren überfliegt, kann man sich kaum vorstellen, welchen Auswüchsen man in der FKE-Realität begegnet.
Einige Mythen und Alternativmythen der großbetrieblichen FKE
Viele Unternehmen schauen auf die großen Firmennamen in der Wirtschaft, wenn sie für ihre FKE-Arbeit etwas übernehmen wollen. Man glaubt, dass die großbetriebliche FKE auf vielen Gebieten eine Art Benchmarking-Beispiel für die eigene Arbeit abgeben kann. Dabei lässt man sich gerne von einigen »phänotypischen Merkmalen« leiten, die sich in ihrer Erscheinung von jedem kundigen Beobachter wahrnehmen lassen:
• Es gibt für die FKE-Funktion mehrere Kästchen im Organigramm.
• Es gibt eine größere Zahl von hauptamtlichen Mitarbeitern in der FKE.
• Es gibt spezielle Räume im Unternehmen, die für das Lernen der Führungskräfte vorgesehen sind (Trainingszentren, Akademien, »Corporate Business Schools« etc.).
• Es gibt spezielle, schriftlich formulierte Leitsätze, wie man FKE betreiben will.
• Es gibt immer eine Reihe von beeindruckenden Anglizismen – Leadership Development oder competency models als Beispiele –, mit denen man in seiner FKE arbeitet.
• Zudem gibt es die vermarkteten Slogans, wie wichtig das Lernen aller Mitarbeiter für die Zukunft des Unternehmens ist – oft in Verbindung auch mit so schönen Modebegriffen wie »employer branding« oder Arbeitgeberattraktivität.
Die Qualität der großbetrieblichen FKE ist ein so gut wie nie nachgewiesener Sachverhalt, an den man glaubt. Eine evidenzbasierte FKE, die mit einem seriösen Evaluierungskonzept unterlegt ist, habe ich nie erlebt. Es gibt zuweilen recht fragwürdige Indikatoren, die man sich als Qualitätssurrogate schafft und an die man glaubt.
Für die großbetrieblichen FKE-ler gibt es eine ganze Reihe von Mythen, die gleichsam die nicht mehr hinterfragte Realität verkörpern. Mythen bezeichnen meist hartnäckig geglaubte Ansichten über einen Sachverhalt. Der Begriff des Mythos ist den FKE-Profis aus der Beschäftigung mit Unternehmenskultur bekannt. Beispielsweise NEUBERGER / KOMPA (1987, S. 59 f.): »Unter Mythos wird eine grundsätzliche, nicht wahrheitsfähige Wirklichkeitserklärung verstanden […]. Für eine bestimmte Gruppe ist ein Mythos eine Art fraglose Selbstverständlichkeit.« Und die schwedischen Organisationspsychologen WESTERLAND / SJÖSTRAND schreiben einem Mythos in Organisationen gar erlösende Kraft zu, »[…] dank seiner ist man nicht länger unsicher, sondern man weiß.« (1975, S. 17)
Ich möchte einige der Mythen der großbetrieblichen FKE-Glaubenslehre offenlegen und mit einigen »Alternativmythen« (WESTERLUND / SJÖSTRAND) versehen, um auf eine andere FKE-Wirklichkeit hinzuweisen.
Was sind die ins Auge springenden Mythen der großbetrieblichen FKE-Arbeit?
Ein zentraler Mythos ist der demonstrierte FKE-Aufwand, den man mitunter auch werblich ins Schaufenster stellt, insbesondere seit man den zukünftigen Arbeitnehmer mit immer neuen Maßnahmen umwirbt. Hoher FKE-Aufwand soll neben dem Beeindrucken insbesondere vermitteln, dass man sehr viel in Richtung zukünftige Sicherung der Kompetenzen unternimmt und man vor allem über eine gute FKE-Arbeit verfügt.
Tatsächlich besagt der Antimythos oder Alternativmythos, dass der finanzielle Aufwand eines Unternehmens per se überhaupt nichts über die Qualität des Lernens in einem Unternehmen aussagt. Wenn sich der hohe FKE-Aufwand vor allem in intentionalem seminaristischem Lernen manifestiert, wird man dies vor dem Hintergrund des Anspruchsniveaus an wirkungsvolles Lernen auf nachgelagerten Evaluierungsebenen (Ebene des Transfererfolgs und Ebene des Organisationserfolgs) sogar als Kontra-Indikator für effektive FKE-Arbeit zu werten haben.
Ein weiterer Mythos großbetrieblicher FKE-Arbeit sind die mitunter zahlreichen hauptamtlichen FKE-ler, die man beschäftigt, und mit denen man eine attraktive FKE-Arbeit nach innen und auch nach außen demonstrieren will. Je mehr FKE-ler man vorweisen kann, desto mehr Bedeutung will man im Unternehmen der FKE-Arbeit zuschreiben.
Der Antimythos aus meiner Erfahrung vermittelt eine ganz andere Position. Die personelle Akkumulierung von tradierter fachlicher Mittelmäßigkeit – der Typ des »FKE-Unternehmers« meidet den Großbetrieb – führt dazu, dass sich die vielen arbeitsteilig eingesetzten FKE-ler durch die zahlreichen Abstimmungs- und Koordinierungsprozesse ab einer bestimmten Zahl immer mehr mit sich selbst als mit ihren Klienten beschäftigen. Dazu kommt, dass jeder der angestellten FKE-ler, die so gut wie nie über Business-Erfahrung verfügen, sondern »reinrassige FKE-ler« mit Psychologie oder ähnlichem Hintergrund sind, ihre »Wertschöpfungsnischen« für sich schaffen – als Folge ihres Verständnisses von guter FKE-Arbeit. Der »AC-Nachsorger« ist nur eines dieser zahllosen Beispiele von FKE, die für ein Unternehmen völlig bedeutungslos sind – wenn man ursprünglich eine vernünftigere FKE-Arbeit betrieben hätte.
Ein Wesensmerkmal großbetrieblicher FKE-Arbeit ist die Vielzahl der Systeme, die man im Einsatz hat, und mit denen man positive Ergebnisse beabsichtigt. Mit Leistungsbeurteilungssystemen möchte man direkt in den produktiven Abteilungen mehr Leistung erzielen, mit Potentialeinschätzungssystemen möchte man effektives internes talent scouting und talent hunting betreiben und mit flächendeckenden 360°-Feedback-Systemen will man bessere Vorgesetzte erhalten. Der Glaube an die Perfektion der Systeme verstellt den Gläubigen die Sicht auf eine andere Wirklichkeit.