Führungskräfte-Entwicklung: Worüber man in der Praxis ungern spricht. Rolf Th. Stiefel
die Forschungs- und Entwicklungsarbeit zu den imitationsgeschützten Bereichen eines Unternehmens und lässt sich in seinen Feinheiten in einem kurzzeitigen Rodeo-Auftritt gar nicht vermitteln.
• Die Teilnehmer von Rodeos gehören in der Regel zu den Grenznachfragern in einer mittelmäßigen FKE-ler-Kohorte im Markt und könnten mit einer vermittelten »leading edge«-FKE in ihren Differenzierungen gar nichts anfangen.
Mittelmäßige Nachfrager mit simplen »bread and butter«-Erwartungen für ihren Alltag treffen auf Vertreter einer mittelmäßigen FKE aus Großbetrieben, die die Teilnehmer mit leicht verdaubarer FKE-Kost bedienen. Man muss sich schon eine ganze Weile von kritischen Feedback-Gebern ferngehalten haben, um aus diesem Setting für sich den Mythos von Qualität in seiner FKE-Arbeit zu begründen.
Zu den bislang vorgetragenen Mythen in der großbetrieblichen FKE, die alle für sich und natürlich noch stärker in ihrer Gesamtheit als Indikator für überragende Qualität der Entwicklungsarbeit stehen sollen, tritt noch das Salär des langjährigen »FKE-Fürsten«, aus dessen Höhe ein besonderer Anspruch der Qualität abgeleitet wird. Langjähriger Besitzstand und intuitive Unbeweglichkeit lassen ihn scheuen, eine andere Position im Unternehmen anzustreben. Stattdessen versucht er sein Streben nach öffentlicher Anerkennung durch einen Lehrauftrag, eine Honorarprofessur, oder – in bescheidenerem Rahmen – auch durch eine Buchveröffentlichung zu realisieren. Damit erfährt der Qualitätsmythos in der großbetrieblichen FKE seine Krönung.
Der Alternativmythos sieht in dieser stabilisierenden Krönung eines großbetrieblichen FKE-Fürsten die Polierung der Fassade einer Potemkin’schen Qualität der Entwicklungsarbeit. Und diese Form der Entwicklungsarbeit wird sich sehr häufig fortsetzen, weil der großbetriebliche FKE-Fürst auch für den entsprechenden Nachwuchs im eigenen Ressort gesorgt hat. Zudem gibt es bei den vorherrschenden Mythen in der großbetrieblichen FKE auch nur »kongruente Zuarbeiter« unter den Externen. Will heißen: Es wird nur der Trainer und Berater auf Dauer zugelassen, der an dieser Kultur – als summativem Niederschlag der Mythen – nicht rüttelt. Da negative Ergebnisse in der Performance einzelner Manager oder des gesamten Managements durch die vorhandene Mythenbildung nicht dazu führt, die FKE-Kultur zu hinterfragen und harte Evaluierungsprojekte durch neutrale Dritte nicht erfolgen, kann es sehr lange dauern, bis in den großbetrieblichen FKE-Kulturen eine Veränderung eintritt.
Wir haben heute eine Situation, dass das leitende FKE-Personal nicht aus dem HR-Ressort hinausgekommen ist, es sei denn, der FKE-Leiter gehört vereinzelt noch zu der Kategorie von Leistungsgewandelten im oberen Führungskreis, für die man eine kreative Verwendung sucht, wenn sie in ihren Ressorts keine Leistung mehr gebracht haben.
Viele der leitenden FKE-ler haben als Hochschul-Psychologen im HR-Ressort begonnen und haben sich danach nach oben gedient, wenn sie nicht unterwegs das Unternehmen gewechselt haben, um ihre vertikale Karriere zu beschleunigen. Da diese FKE-Psychos nie in einem anderen Ressort ihres Unternehmens gearbeitet haben, werden sie allmählich rotationsuntauglich. Sie sind schlichtweg nicht mehr anderweitig einsetzbar und können natürlich für das Unternehmen keine attraktiven FKE-Systeme wie beispielsweise ein Rotationssystem auf allen Führungsebenen als Instrument einer permanenten »Unternehmenserneuerung« anstoßen, weil sie als Vorbilder versagen.
Der langjährige FKE-ler ist eine erfahrene »FKE-Leiche«, dessen Wirkungskreis von oben nicht weiter gestört wird, weil man in oberen Etagen wenig von wirkungsvoller FKE weiß und dort insgesamt wenig Sachverstand in diesen Fragen vorhanden ist. Dass diese langjährigen FKE-ler nicht nur nichts mehr substantiell bewegen, sondern auch viel Unheil anrichten können, dringt selten nach oben.
Die systematische Erfassung der negativen Nebeneffekte dieser FKE-ler kommt in allfällig durchgeführten Evaluierungsstudien nicht vor, weil das unprofessionelle Weltbild auf die positive Entstehung von »Deltas« bei Teilnehmern und Führungskräfte-Gruppen fixiert ist. Würde man sich beispielsweise etwas in der Fachliteratur auskennen und wissen, dass es immer wieder die »dirty dozen«-Ergebnisvariable als negative Nebeneffekte bei Veränderungsprojekten gibt (CAMERON / FREEMAN / MISHRA 1993, S. 29), dann wäre man etwas offener gegenüber dem, was man mit seiner FKE-Arbeit insgesamt bewirkt. Zu diesen negativen Nebeneffekten gehören beispielsweise der Einzug einer kurzfristigeren Krisenmentalität im Unternehmen, der Verlust an Innovationsfreudigkeit, eine stärkere Mikropolitisierung oder ein allgemeiner Verlust an Vertrauen in der Belegschaft. Der Eintritt von möglichen Kollateralschäden bei Entwicklungsund Veränderungsprojekten ist im FKE-Weltbild der langjährigen Erfahrungsträger schlichtweg nicht vorhanden.
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