Anne Frank, ihr Leben. Marian Hoefnagel
ist drei und bleibt etwas länger bei der Oma in Deutschland.
Aber ein paar Monate später kommt sie auch in die Niederlande.
Pünktlich zum Geburtstag von Margot.
Anne wird als Geschenk für Margot auf den Tisch gesetzt. „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Margot“, sagen die Eltern. „Das ist dein Geschenk.“
Es ist das schönste Geschenk des Tages.
Die Familie ist wieder beisammen.
„Wir haben wieder unser eigenes Leben“, sagt Annes Vater. „Hier sind wir sicher. Hier sind wir frei.
Wir fangen in den Niederlanden neu an.“
Die Familie ist wieder beieinander und in Sicherheit. Aber Annes Mutter vermisst Deutschland und ihre Familie.
Sie kennt wenig Leute in Amsterdam.
Und sie kann noch kein Niederländisch.
Für ihren Mann sind es lange Arbeitstage bei Opekta.
Das Unternehmen ist jung. Es gibt viel zu tun.
Sie ist viel alleine. Denn auch die Mädchen sind tagsüber weg. Margot geht in die Grundschule.
Und Anne geht in den Kindergarten.
Einfach holländisch
Immer mehr Menschen aus Deutschland ziehen in die Rivierenbuurt. Jüdische Deutsche, wie die Familie Frank. Sie sind alle vor Hitler geflüchtet.
Sie haben alle Angst vor dem Judenhass der Nazis bekommen.
Schon bald haben Annes Eltern neue Freunde gefunden. Margot und Anne haben viele neue Freundinnen.
Freundinnen aus der Nachbarschaft und Schulfreundinnen. Sie sind fast alle jüdisch und kommen fast alle aus Deutschland.
Margot und Anne lernen schnell Niederländisch.
Denn das hören sie jeden Tag.
Auch mit den deutschen Freundinnen reden sie Niederländisch. Denn sie wollen am liebsten „einfach holländisch“ sein.
„Meine Eltern sprechen so schlecht Niederländisch“, sagt eine Freundin von Margot. „Ich muss sie immer verbessern. Und dann schäme ich mich.“
Für die Kinder aus Deutschland ist es wichtig, niederländisch zu sein. Deshalb will Margots Freundin keine deutschen Kleider tragen.
Nicht diese Dirndl mit Puffärmeln, Schürze und Jäckchen.
Denn dann sehen andere schon von weitem, dass sie aus Deutschland kommt. Und das will sie auf keinen Fall.
Margot ist sehr gut in der Schule. Sie hat immer gute Noten.
Aber Anne ist nicht so ein Wunderkind.
Sie ist unruhig im Unterricht. Sie will immerzu mit den Freundinnen plaudern und lachen.
Und dann hat sie natürlich nicht so viel Zeit zum Aufpassen.
Sie kann aber gut Geschichten erzählen.
Diese Geschichten denkt sie sich oft mit dem Vater aus. „Ich will später Bücher schreiben“, sagt sie zum Klassenlehrer.
Dieser Wunsch geht in Erfüllung. Einige Jahre später fängt sie an, Tagebuch zu führen. Es wird das berühmteste Tagebuch der Welt.
Angst vor Verboten
In der Nacht vom 10. Mai 1940 passiert etwas Furchtbares: Die deutsche Armee greift die Niederlande an. Hitler hatte versprochen, dies nicht zu tun. Deshalb fühlten sich die Juden in den Niederlanden sicher.
Aber in nur einer Nacht ändert sich alles.
Viele Juden begehen an diesem Tag Selbstmord.
Sie haben Angst vor dem, was die Nazis vorhaben.
Annes Eltern haben natürlich auch Angst.
Aber zu Anfang ändert sich für sie eigentlich nicht so viel. Margot und Anne gehen wie gewohnt zur Schule. Ihr Vater arbeitet hart bei Opekta.
Und die Mutter kümmert sich um den Haushalt.
Aber dann kommen die Judengesetze:
Juden müssen einen Judenstern tragen.
Juden müssen ihr Fahrrad abgeben.
Juden dürfen nicht mit der Straßenbahn fahren.
Juden dürfen nicht mehr Auto fahren.
Juden dürfen nur zwischen 15 und 17 Uhr einkaufen.
Aber nur in jüdischen Geschäften.
Juden dürfen ab acht Uhr abends nicht mehr auf die Straße oder in ihrem Garten sitzen.
Juden dürfen nicht ins Theater oder ins Kino.
Juden dürfen nur zu einem jüdischen Friseur.
Juden dürfen nicht Sport treiben.
Juden dürfen nicht ins Schwimmbad, auf den Tennisplatz oder aufs Hockeyfeld.
Juden dürfen keine Christen zu Hause besuchen.
Juden müssen jüdische Schulen besuchen.
Und so weiter.
Auch Anne leidet immer mehr unter diesen Judengesetzen. Im Sommer darf sie nicht schwimmen gehen. Im Winter darf sie nicht eislaufen. Vor allem das Letzte findet sie schade.
Sie hat gerade neue Schlittschuhe bekommen.
Und ihr gefällt das Eislaufen so gut.
So geht das Leben weiter.
Juden dürfen das nicht und das nicht und das nicht.
Annes Freundin Jacqueline sagt: „Ich trau‘ mich gar nichts mehr. Denn ich habe Angst, dass es verboten ist.“
Eines Tages erfahren Annes Eltern, dass alle Juden nach Deutschland müssen. Es ist erst nur ein Gerücht. Aber Annes Eltern machen sich Sorgen.
Sie erzählen den Töchtern nichts.
Sie wollen nicht, dass Margot und Anne Angst bekommen.
Das erste Tagebuch
Am Freitag, den 12. Juni 1942, wacht Anne schon um sechs Uhr früh auf. Das ist logisch, findet sie.
Denn sie hat Geburtstag. Heute wird sie 13.
Sie bleibt bis viertel vor sieben im Bett.
Aber länger hält sie es nicht aus. Sie geht ins Wohnzimmer. Dort sieht sie die Geschenke auf dem Tisch. Es gibt viele Geschenke. Aber das schönste ist das Tagebuch.
Anne will, dass das Tagebuch ihre beste Freundin wird. Eine Freundin, der sie wirklich alles erzählen kann. Denn so eine Freundin hat sie nicht.
Sie nennt diese neue Freundin Kitty. Annes Tagebuchbriefe fangen oft an mit „Liebe Kitty“.
Anne fängt gleich mit dem Schreiben an.
Als Einleitung schreibt sie: „Ich hoffe, dass ich dir alles erzählen kann. Und dass du mir eine große Hilfe sein wirst.“
Dann erzählt sie etwas über ihre Familie. Und über die Klassenkameraden.
Und sie schreibt, dass sie sich auf die Sommerferien freut. Aber ihr unbesorgtes Leben ist schnell vorbei.
Am 5. Juli bekommt Margot einen Brief von der SS.
Sie muss sich in Deutschland zum Arbeitseinsatz melden.
Wenn sich Margot nicht meldet, wird die ganze Familie festgenommen.
Anne kann es nicht glauben. Margot ist erst 16!
Da soll sie alleine nach Deutschland!