Kämpf um deine Daten. Max Schrems
die wir täglich erleben. Wir wissen nicht, wann die Fluggesellschaft die Preise steigen oder fallen lässt, ob es morgen auch noch Tickets für ein Konzert gibt und ob wir besser jetzt oder erst in ein paar Wochen ein Hotel buchen sollen. Wir ärgern uns, wenn sofort nachdem wir etwas gekauft haben plötzlich ein Sonderangebot kommt. Hier fehlt uns einfach die nötige Information. Wie beim Poker wissen wir nicht, welche Karten unser Gegenüber in der Hand hat und welche Strategie er verfolgt.
Den Unternehmen geht es generell auch nicht anders, sie wissen nicht, was in Ihrem Kopf passiert. Sie sind aber drauf und dran, genau dieses Gleichgewicht des Unwissens massiv zu ihren Gunsten zu ändern. Unternehmen haben immer mehr Informationen über uns. Das Blatt in unserer Hand beim täglichen Poker wird also immer transparenter. Sie können uns je nach den aufgezeichneten Interessen, unserem Wohnort oder sogar dem Computer, den wir nutzen, ein individualisiertes Angebot machen. Es lässt sich errechnen, dass Kunde A eher mehr zahlt, Kunde B aber nur bei einem guten Preis kauft. Für Apple-Nutzer wird es dann leicht etwas teurer, denn die Anhänger des Apfel-Kults sind ja bekannt dafür, auch gern mal etwas mehr zu zahlen. Je nach Datenbestand wird uns ein Angebot gemacht, billigere oder bessere Angebote werden gegebenenfalls ausgeblendet.
Airlines arbeiten beispielsweise derzeit daran, Flugpreise erst nach der Anmeldung des Kunden individuell zu berechnen. Wenn Sie also immer am Montag berufsbedingt von A nach B fliegen müssen, zahlen Sie dann eben etwas mehr, während der Student neben Ihnen das gleiche Ticket für den halben Preis bekommt. Die Information, dass Sie zwingend diesen Flug buchen werden, bringt der Airline große Verhandlungsmacht und Sie in eine missliche Lage. Dafür muss die Airline nur Ihren Namen aus den Passagierlisten des vergangenen Jahres abrufen und die betreffenden Informationen mit Ihrer Anfrage kombinieren. Der Rest ist banale Statistik. Ob die Airlines das durchziehen, wird man sehen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis andere Branchen auf ähnliche Ideen kommen.
Natürlich kann auch der einfache Schneider am Eck Ihre Löcher für etwas mehr Geld stopfen, wenn er den Eindruck hat, Sie haben das Geld und brauchen die Hose dringend. Ich setze gegenüber meinem ägyptischen Schneider immer den Dackelblick auf und lege noch mal mit »Ich bin doch Student, das kann ich mir nicht leisten« nach. Am Ende der Diskussion bekommt man den guten Mann jeweils um die Hälfte runter, wenn er wieder für 10 Minuten Arbeit 10 Euro haben will, ohne Rechnung versteht sich. Der Schneider und ich haben aber die gleichen Verhandlungspositionen. Wir pokern und bluffen. Ich weiß genauso wenig, ob sein Leidklagen über seine hohen Kosten einfach nur orientalische Übertreibung ist, wie er nicht weiß, wie viel der Student denn wirklich grad in der Geldtasche hat. Am Ende trifft man sich in der Mitte, alle sind glücklich. Das funktioniert aber nicht mehr, wenn der Kunde die Hosen runterlässt, bevor er verhandelt.
Ähnlich verhielt es sich traditionell mit der Kreditwürdigkeit. Früher bekamen Menschen keinen Vertrag oder keine Mietwohnung, weil sie einen schlechten Eindruck hinterließen oder gar ihr Ruf ruiniert war. Heute wird ihr Ruf strukturiert und digital ruiniert. Der moderne Pranger sind die Datenbanken von Kreditauskunfteien oder irgendwelche Warnlisten. Dort werden Menschen von Unternehmen gebrandmarkt. Offene Rechnungen oder Zahlungsverzüge sind dort für alle verbundenen Unternehmen einsehbar. Dabei muss der Eintrag noch nicht mal richtig sein. Oft landen dort auch falsche Informationen, denn überprüfen kann man die eingehenden Informationen oft nicht. Wer aber einmal gelistet ist, spürt schnell die Macht der Daten. Kein Handyvertrag und kein Kredit sind mehr zu bekommen. Die Kreditkarte wurde leider auch nicht verlängert. Die Macht der Daten wird hier schnell sehr real, auch wenn die Betroffenen oft keine Ahnung haben, was passiert und warum sie auf einmal gemieden werden. Ihr Gegenüber hat in ihre Pokerkarten gesehen oder glaubt zumindest, diese zu kennen. Das Spiel ist für sie erst mal aus. Das Informationsgefälle resultiert, gepaart mit der Marktmacht vieler Unternehmen, in massiven Einschränkungen Ihrer alltäglichen Freiheit.
Natürlich geht es noch viel subtiler. Informationen müssen gar nicht aktiv eingesetzt werden. Allein zu wissen, dass jemand anderer etwas weiß, kann uns beeinflussen. Wenn auf Demonstrationen die Polizei alle Teilnehmer mit Kameras aufzeichnet, kann das viele von der Teilnahme abhalten. In anderen Fällen legt man sich mit einem Gegner, der intime Informationen hat, lieber gar nicht erst an. Wenn ich weiß, dass mein Gegenüber am Pokertisch weiß, was ich in der Hand habe, versuche ich gar nicht mehr zu bluffen. Es ist wie bei einem Hund: Man muss gar nicht immer an der Leine ziehen, der Hund muss nur wissen, dass sie da ist, um sich zu fügen. Es reicht oft sogar aus, dass der Hund glaubt, dass es eine Leine gäbe. Die Machtausübung muss also überhaupt nicht so brachial sein, wie man sich das im ersten Moment vorstellt.
Wenn nun aber Informationen Macht sind und daher Informationen über eine Person Macht über diese Person, wie kann man dieses Machtgefälle ausgleichen? Ich denke, es ist im Prinzip nicht viel anders als bei der Macht durch andere Ressourcen: Wir müssen umverteilen.
In diesem Credo lässt sich viel von der netzpolitischen Debatte um Information und Datenschutz zusammenfassen. Den meisten Menschen geht es um so etwas wie die soziale Informationswirtschaft als Abkömmling der sozialen Marktwirtschaft im Informationszeitalter. Eine Umverteilung im Informationszeitalter bedeutet einerseits Transparenz bei den Datensammlern und andererseits Schutz der Nutzer. Wie bei der sozialen Marktwirtschaft kann man natürlich endlos streiten, wie viel Information wir umverteilen müssen und wie man das am besten umsetzt. Darauf wird es auch nie eine finale Antwort geben. Die Unternehmen werden natürlich von »Robin-Hood-Manieren« sprechen und ihre total legale Machterlangung durch Leistung und Strategie vorschieben.
Wenn wir uns aber generell einig sind, dass wir in einem Informationszeitalter leben und daher auch von einer Informationswirtschaft ausgehen, dann können wir nicht so lange Daten Monopoly spielen, bis wenige die Macht über das ganze Spiel erlangen. Denn anders als bei Monopoly können wir das Spiel nicht einfach hinschmeißen, wenn es kippt. Weil eine entwickelte Demokratie auf einer breiten Akzeptanz aller Teilnehmer basiert, müssen wir einen Modus finden, der dauerhaft für alle Spieler akzeptabel ist und nicht nur einen alleinigen Gewinner kennt. Daten-Monopoly ist jedenfalls kein solcher Modus.
6. Man könnte paranoid werden
Schleichend wird unser Leben digitalisiert, heute gibt es nur wenig, das nicht irgendwie erfasst wird. Neben Schlüssel und Geldtasche darf unser Handy nie fehlen, wenn wir das Haus verlassen. Wobei mein Handy heute mehr Rechenleistung und Speicherplatz als mein alter PC hat und insofern eher ein kleiner Computer mit Telefonfunktion ist. Der GPS-Chip ist im Handy schon dabei. Die Kamera und unzählige andere Sensoren machen die Handy-Apps glücklich, die ohne Zugriff auf alle möglichen Daten, die sie eigentlich nicht brauchen, leider nicht installiert werden können.
In den Bussen, Zügen oder U-Bahnen, an öffentlichen Plätzen und in praktisch jedem Geschäft werden wir von Kameras gefilmt. Wir haben Millionenbeträge in omnipräsente digitale Augen investiert. Die Kameras im Supermarkt halten dann auch messerscharf fest, ob wir Granny Smith oder Golden Delicious in den Einkaufswagen gelegt haben. Obstdiebstahl ist schließlich ein massives Problem unserer Gesellschaft. Trotz der lückenlosen Überwachung werden wir an der Kasse trotzdem gefragt, ob man auch noch in unsere Tasche schauen kann.
Unsere Autos sammeln nicht nur selbst Daten über ihre Nutzung, sie werden auch bei der Durchfahrt jeder digitalen Mautstelle vermessen und erfasst. Mit etwas Glück wird mittels Kennzeichenerfassung über weite Strecken gemessen, ob wir nicht zu schnell fahren. Die sogenannte »Section Control« freut den Verkehrsminister und den Finanzminister zu gleichen Teilen. Den Rest erledigen die Radarboxen. Versicherungen wollen schon längst digitale Boxen in unseren Autos installieren, um unsere Bewegungen zu speichern. Unsere Navigationssysteme sagen dem Hersteller schon heute wo, wann und wie schnell wir unterwegs sind.
Unsere Arbeitszeit wird elektronisch erfasst und je nach Job auch unsere Leistung. Ein Mitarbeiter im Call Center wird ja schließlich nicht für gute Beratung bezahlt, sondern für die Abfertigung möglichst vieler lästiger Kunden pro Stunde. Leistung ist inhärent messbar.
Alle Verbindungen unserer Telefone werden sowieso mittels Vorratsdatenspeicherung protokolliert, bis hin zum genauen Ort, an dem wir uns befinden. Der Terrorismus ist ja bekanntlich im täglichen Leben jedes Mitteleuropäers ein ständiger Begleiter, vor dem wir uns erst