Non-Profit-Organisationen in die Zukunft entwickeln. Heike Fischer
durchgehend ökonomische Sinnstrukturen, die im Non-Profit-Sektor außer den erwünschten Effekten auch deutliche Risiken mit sich bringen.
Abschnitt 3 zeichnet die relative Staatsnähe großer Teile des Non-Profit-Sektors in Deutschland nach – und zwar mit Blick auf sozialgeschichtliche Wurzeln der deutschen Wohlfahrtsproduktion, die bis zu den preußischen Reformen und Bismarck’schen Sozialversicherungen zurückreichen. Die Eigenheit des sozialstaatlichen Modells in Deutschland wird auch im Vergleich zu Entwicklungspfaden in anderen Ländern deutlich.
Die Vielfalt der Phänomene und der uneinheitliche Gebrauch des Non-Profit-Begriffs sind Gegenstand des 4. Abschnitts. Die gebräuchlichen Kategorien »Profit« im Unterschied zu »Non-Profit« und die Dreiteilung Markt – Staat – Dritter Sektor haben wir aufgegriffen. Aber die Grenzen sind unscharf. Es gibt fließende Übergänge und zahlreiche Mischformen. Deshalb zählen wir einen Teil der staatlichen und halbstaatlichen Organisationen zum Non-Profit-Sektor.
Abschnitt 5 greift erneut die zeitliche Perspektive auf und lenkt den Blick auf zukünftige Herausforderungen, die bereits jetzt erkennbar sind. Der Non-Profit-Sektor ist auf Wachstumskurs. Die Bedeutung zivilgesellschaftlicher und Wohlfahrt produzierender Organisationen nimmt offensichtlich zu. Auf der Ebene internationaler Projekte (Europäische Union, Vereinte Nationen, Weltbank etc.) bilden sich interessante Kooperations- und Partizipationsformen heraus, in denen Nichtregierungsorganisationen eine wichtige Rolle spielen.
Abschnitt 6 betrachtet vornehmlich die Ebene der Organisation. Bewegungen auf anderen Ebenen treten hier als externe Entwicklungsimpulse in Erscheinung. Veränderungen der Arbeitswelt gehören teils zu den Begleiterscheinungen von Modernisierung und Beschleunigung, teils zu den Auslösern neuer Anpassungsprozesse. Weitere Entwicklungsschübe sind zu erwarten. Die zukunftssichernde Entwicklung von NPO hat dabei bestimmte Schlüsselfaktoren zu beachten, die sich aus der Akteurperspektive und der Rolle von Personen bei der Leistungserbringung der Organisation ergeben.
Der erste Fall im Praxisteil veranschaulicht ein Projekt der Teamentwicklung bei der AOK. Die Allgemeine Ortskrankenkasse basiert auf dem Solidargedanken und steht heute im Wettbewerb zu anderen Krankenversicherern. Die ursprünglichen Ziele der gesetzlichen Krankenversicherung treten dabei zugunsten der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit in den Hintergrund. Der tief greifende Wandel vom Solidarprinzip zum Prinzip des Wettbewerbs wirkt sich spürbar auf die Identifikation und Motivation der Mitarbeiter aus, fördert auch Konkurrenz im Innenverhältnis und erschwert damit Teamarbeit. Damit stößt Teamentwicklung an enge Grenzen.
Bei der zweiten Fallbeschreibung geht es um Organisationsentwicklung in einer Berufsgenossenschaft bei Wahrung ihrer Identität als Körperschaft des öffentlichen Rechts. Wenig Widerstand gab es bei Mitarbeitern und Führungskräften gegen den Wandel an sich. Aber es gab den Versuch, den Prozess so zu verlangsamen, dass am Ende dabei wunschgemäß eine adäquate Anpassung herauskommt. Tatsächlich begab sich die Organisation in einen gelungenen Change-Prozess zur Vorbereitung einer Fusion.
Das dritte Fallbeispiel betrifft den kirchlichen Bereich. Erklärtes Ziel der Entwicklungsmaßnahme war ein Transfer von Know-how aus der Wirtschaft in die katholische Kirche. Unter dem Deckmantel eines Weiterbildungsangebots mit der Überschrift »Projektmanagement« wurden hier Kenntnisse des Changemanagements vermittelt. Ziel war die Modernisierung und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit in Hinblick auf die kirchliche Klientel.
Der vierte Fall veranschaulicht komplexe Vernetzungen im Non-Profit-Feld. Eine Berufsschule soll zu einem sozialpädagogischen Ausbildungszentrum erweitert werden. Kommune und Kreis sind an dem Projekt beteiligt, andere öffentliche und private Träger müssen eingebunden werden – und die Politik muss zustimmen. Um die Koordination voranzubringen, tritt ein Wirtschaftsunternehmen mit seiner Stiftung als Sponsor auf und unterstützt das Projekt in Form von Beratungsleistung. Der Fall zeigt eine gelungene Kooperation zwischen Profit- und Non-Profit-Bereich.
Beim fünften Fall handelt es sich um ein Projekt in einem Schulamt. Bedroht von der Ausgliederung des Facility-Managements organisiert sich das Schulamt bei der Verwaltung seiner Liegenschaften völlig neu. Dieser Fall zeigt, wie innovativ öffentliche Verwaltung sein kann. Er zeigt aber auch, wo die Grenzen liegen, nämlich bei den betroffenen Menschen, die zu berücksichtigen sind, aber auch im Zusammenspiel mit der politischen Ebene einer Großstadt.
Dieses Buch wendet sich an alle, die in NPO Verantwortung tragen für den Fortbestand der Organisation und damit auch für den immer wieder anstehenden Wandel. Es wendet sich aber auch an Berater und Trainer, die diese Organisationen und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterstützen und begleiten. Es soll einen Beitrag dazu leisten, die Bedeutung der NPO zu sehen und zu würdigen, als größter Arbeitgeber im Lande, als ergänzende Kraft zu den Profitorganisationen und als Stabilisator für den sozialen Frieden. Die Autoren wollen die NPO und ihre Mitarbeiter ermutigen, selbstbewusst aufzutreten, auch im notwendigen Wandel ihre Identität zu wahren und sich als gleichwertiger Teil des Wirtschafts- und Gesellschaftssystems zu verstehen. Der Non-Profit-Bereich ist die andere Seite ein und derselben Medaille.
1. Gewachsene Organisationsformen zwischen Markt und Staat
Der Bereich zwischen Markt und Staat umfasst ein Segment von breit gefächerten Aktivitäten und Organisationen, die als Dritter Sektor bezeichnet werden. In Europa und vor allem in Deutschland hat das Vereinswesen dabei eine herausragende soziale und kulturelle Bedeutung. Die Vielfalt von Vereinen, Vereinigungen und Gemeinschaften entspricht der gesellschaftlichen Pluralität. Durch Selbstorganisation und Eigenbeteiligung von Mitgliedern können Vereine und Verbände staatliche Leistungen ergänzen oder auch durch Selbsthilfe zum Teil ersetzen. Parteien, Gewerkschaften und Kirchen sowie deren Teilgruppierungen sind zwar ebenfalls im gesellschaftlichen Raum zwischen Markt und Staat aktiv, erfüllen aber nicht die rechtlichen Kriterien des Vereins. Parteien und Gewerkschaften spielen als Akteure im politischen System eine herausragende Rolle. Die differenzierte Betrachtung politischer Organisationen im Kontext der Entwicklung des politischen Systems in Deutschland würde aber den Rahmen dieses Buches sprengen. Deshalb konzentrieren wir uns hier auf Teile des öffentlichen Sektors und auf Vereine und Verbände, die sich allgemeinen, sozialen oder kulturellen Belangen widmen.
Die Ausfächerung des gesamten Non-Profit-Bereichs wurde vor allem durch die Industrialisierung zu Beginn des 19. Jahrhunderts vorangetrieben.
Es gab damals eine Welle von Vereinsgründungen, die alle Lebensbereiche betraf. Dazu gehörten gelehrte Gesellschaften, Bildungsvereine, Musik- und Theatervereine, Lesegesellschaften, Schützen- und Feuerwehrvereine, Armenvereine und Sparvereine. Etwa zeitgleich entstanden Selbsthilfeorganisationen wie Kranken- und Sterbekassen. Diese Gründungen waren lokal orientiert und hatten zunächst kaum übergreifende politische Zielsetzungen. Interessenverbände mit großen Mitgliederzahlen betraten erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die politische Bühne.
Industrielle Wachstumsschübe, die Verstädterung und die sie begleitenden reduzierten Selbstversorgungsmöglichkeiten der Industriearbeiter – all das verschärfte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Armutsproblematik. So riefen die Risiken der Industrialisierung schützende Maßnahmen vonseiten des Staates auf den Plan. Schritt für Schritt wurden soziale Sicherungssysteme eingerichtet und gesetzlich verankert. Die wohlfahrtsstaatliche Prägung großer Teile des Non-Profit-Bereichs liegt hier begründet. Nichtstaatliche Wohltätigkeit, z. B. im Rahmen von Stiftungen, hatte es zwar schon in vormoderner Zeit gegeben, aber das 19. Jahrhundert war die eigentliche Blütezeit des Vereinslebens und karitativer Organisationen.
Im späteren Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft nahm der Bedarf an sozialen Diensten weiter zu. Mit dem Ausbau solcher Angebote wuchs auch die volkswirtschaftliche Bedeutung des Non-Profit-Sektors weiter an. Allein die beiden großen kirchlichen Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonisches Werk schaffen in Deutschland heute zusammen mehr als zwei Millionen Arbeitsplätze.
Vereine, Verbände und Gruppierungen, in denen sich engagierte Bürger zusammentun, werden zunehmend auch unter dem Begriff der Zivilgesellschaft zusammengefasst. Dazu gehören z. B. NGO (nongovernmental organisations), die unabhängig von staatlichen Strukturen agieren. Ihre Legitimation beziehen zivilgesellschaftliche