Buddhas achtsamer Weg aus der Krise. Thomas Hohensee
Sache doch etwas komplizierter.
Nicht nur die Dinge und die anderen Menschen verändern sich, auch wir tun dies pausenlos. Unsere Vorlieben wechseln. Was uns gestern oder vor zehn Jahren noch sehr gefiel, befriedigt uns heute nicht mehr. Musik, die wir als Teenager liebten, finden wir auf einmal peinlich. Unser Geschmack hat sich geändert.
Unvollkommenheit ist auch eine Frage unserer Bewertung. Daher können sich Menschen selten darüber einigen, was großartig ist und so bleiben sollte.
Ein Meisterwerk der Kunst, sagen Sie? Ich finde es belanglos.
Ein Meilenstein der Musik, finde ich! Sie halten es einfach nur für Lärm.
Ein Beispiel vollkommener Architektur? Oh, nein, bitte lassen Sie es uns abreißen.
Während Veränderung etwas ist, das man nachweisen und dokumentieren kann, ist Unvollkommenheit anders. So kann ich von einem Blumenstrauß im Abstand einer Woche Fotos machen. Daraus geht die Veränderung klar hervor. Aber wenn ich mit einem anderen darüber diskutiere, ob die Blumen vor einer Woche, heute oder überhaupt perfekt waren oder sind, gibt es dafür keinen Beweis, mit dem wir einander überzeugen könnten.
Ob die Welt perfekt oder unvollkommen ist, darüber lässt sich streiten. Passen Sie auf, dass aus dem Streit keine Krise wird!
Wir alle stehen vor der Aufgabe, mit den Veränderungen, den Unvollkommenheiten und den damit möglichen Krisen zurechtzukommen.
Dass Sie sterben müssen, ist kein Angriff des Universums auf Sie persönlich. Alles, was geboren wird, ist dem Tod geweiht. Es gibt kein Leben ohne das Sterben. Der Tod ist unpersönlich. Er ist einfach eine Tatsache. Verhandlungen darüber sind sinnlos. Mit wem sollte man auch verhandeln?
Ihre Aufgabe, meine und die aller Menschen ist es, mit dieser Tatsache irgendwie umzugehen.
Auch das Altern betrifft uns alle. Nur ein früher Tod könnte es verhindern. Doch das ist keine gute Alternative. Nehmen Sie es also nicht persönlich, dass Sie Falten bekommen und Ihr Körper nicht mehr so funktioniert wie in jungen Jahren.
Die Welt ist nicht gegen Sie, bloß weil nicht alles so läuft, wie Sie sich das vorstellen. So ergeht es uns allen. Wir sitzen, was das angeht, alle im selben Boot. Der Tod, das Alter, Krankheiten und Krisen sind die großen Gleichmacher.
Einige denken vielleicht, sie könnten sich mit viel Geld ihre Falten wegoperieren lassen. Aber stellen Sie sich einmal eine Zwanzigjährige neben einer Siebzigjährigen vor, die sich sogenannten Schönheitsoperationen unterzogen hat. Wenn Sie den Unterschied nicht sehen, haben Sie etwas mit den Augen.
Das Alter ist keine Frage der Falten. Es steckt im ganzen Körper, in seinen Funktionen, in allen Organen, in den Bewegungen, in den Haaren und den Finger- und Fußnägeln. Es lässt sich nicht wegoperieren. Der Begriff »Schönheitsoperation« beinhaltet einen semantischen Trick, genauso wie das Wort »Lebensversicherung«. Denn das Leben lässt sich nicht gegen den Tod versichern.
Im Grunde steckt in dieser Erkenntnis etwas Tröstliches. Dadurch das wir alle die gleichen, existenziellen Erfahrungen machen, steht niemand besser oder schlechter da. Es kommt allein darauf an, wie wir auf die menschliche Grundsituation reagieren. Findet man einen Weg aus der Krise, oder bleibt man ein Leben lang darin stecken?
Wir alle müssen uns mit den allgemein menschlichen Problemen und Schwierigkeiten auseinandersetzen. Das Leben ist hart. Sonst wären nicht so viele Menschen unglücklich und verzweifelt. Schon das Erwachsenwerden bringt eine Menge Prüfungen mit sich, und das nicht nur in der Schule. Auch später reißen die Nöte nicht ab.
Selbst Buddha musste erst lernen, damit zurechtzukommen.
Als Buddha noch kein Buddha war
Eigentlich hieß Buddha Siddhartha Gautama. Buddha bedeutet »Erwachter« und ist ein Titel für Menschen, die das Leiden vollständig hinter sich gelassen haben.
Um Letzteres zu erreichen, brauchte Siddhartha sechs Jahre. Fünfunddreißig Jahre lang ging es ihm nicht anders als den meisten von uns: Er war mehr oder weniger unglücklich.
Dabei half ihm auch nicht, dass er der Sohn eines Königs war und alle Privilegien genoss, die das Leben eines Prinzen mit sich bringt. Einen Vorteil hatte seine besondere Stellung allerdings: Siddhartha erkannte, dass Reichtum nicht vor dem Leiden schützt. Damit konnte er sich all die Umwege ersparen, die »Normalsterbliche« üblicherweise gehen. Diese versuchen, möglichst hoch an die Spitze der Gesellschaft zu gelangen, reich, berühmt und mächtig zu werden, weil sie sich davon das Glück versprechen. Wird uns nicht immer noch weisgemacht, dass wir den Weg des Goldes, des Geldes und der Macht gehen müssten, um so glücklich zu werden, wie wir uns das wünschen?
Siddhartha verlor am Königshof diese Illusionen. Er sah, dass sein Vater, der König, und dessen Hofstaat keineswegs zufrieden lebten. Kein Gold der Welt konnte ihnen inneren Frieden verschaffen. Sie lebten vielmehr in der Sorge, ihre Vorrechte zu verlieren, oder sie waren trotz ihrer hervorgehobenen Stellung neidisch auf die wenigen, die noch mehr besaßen als sie.
Überhaupt keinen Schutz verschaffte ihnen ihr Reichtum, wenn es um Alter, Krankheit und Tod ging. Sie bejammerten ihr menschliches Schicksal wie jeder andere auch. Die Ablenkung, die ihnen ihr Luxus bot, währte nur kurz. Im Hintergrund blieb die Angst, dies alles eines Tages hergeben zu müssen.
Seine Verwandten gaben sich alle Mühe, Siddhartha vorzugaukeln, dass er ein schönes Leben habe, doch natürlich entgingen ihm die Machtkämpfe am Königshof nicht. Er brauchte sich auch nur in die Stadt zu begeben, um menschliches Elend aus nächster Nähe zu erleben. Dort begegneten ihm viele alte und kranke Menschen. An den Straßen lagen nicht selten Tote. Am Stadtrand gab es ganze Felder mit Leichen, die niemand begrub und über die sich die Geier hermachten.
Siddhartha, der später von sich sagte, er sei in seinem Elternhaus sehr verwöhnt worden, war entsetzt von solchen Anblicken. Was für einen Sinn machte es, Häuser, Geld und Luxusgegenstände anzusammeln, wenn man all das nicht behalten konnte, fragte er sich. Jederzeit konnte einen der Tod ereilen und allen Plänen einen Strich durch die Rechnung machen.
Hinzu kam, dass Siddhartha als Prinz in eine Rolle gedrängt wurde, die ihm nicht gefiel. Er sollte später die Nachfolge seines Vaters antreten. Bis dahin hatte er sich dessen Anordnungen zu fügen. Der König war nicht nur Herrscher über sein Volk, sondern selbstverständlich auch über seine Familie und damit auch über seinen Sohn. Der Lohn für den geforderten Gehorsam bestand in dem Luxus, den ein Leben am Königshof gewährte, und in der Aussicht auf unbeschränkte Herrschaft, wenn Siddhartha selbst einmal König sein würde.
Doch all das bedeutete Siddhartha wenig. Ihm blieben die Zwänge nicht verborgen, denen sogar ein König unterlag. Der Adel verlangte Mitsprache. Das Königreich unterstand zudem einem noch mächtigeren Herrscher, dem es zu huldigen galt.
Siddhartha fühlte sich, als würde er in einem goldenen Käfig leben. Er dürstete nach Freiheit und mehr noch nach einem Glück, das nicht von Ängsten, Enttäuschungen, Ärger und der Aussicht auf Krankheit, Alter und Tod überschattet war.
Seine Unzufriedenheit steigerte sich von Tag zu Tag, bis er sich in einer solchen Krise befand, dass er unbedingt einen Ausweg finden wollte.
Siddhartha beschloss, den Königshof bei Nacht und Nebel zu verlassen. Gelegentlich waren ihm in der Stadt Menschen begegnet, die Haus und Hof aufgegeben hatten, um nach dem absoluten, unvergänglichen Glück zu streben. So ein Freiheits- und Wahrheitssucher wollte er auch werden. Trotz des äußeren Reichtums fühlte er sich innerlich leer. Er hatte das Gefühl, dass es nur besser werden konnte, wenn er sein bisheriges Leben aufgab.
Seine