Buddhas achtsamer Weg aus der Krise. Thomas Hohensee

Buddhas achtsamer Weg aus der Krise - Thomas Hohensee


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       Wie in Grimms Märchen?

      In den Märchen der Gebrüder Grimm heißt es am Schluss oft: »… und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage.« Nachdem die HeldInnen ihre aufregende Suche nach dem Goldschatz erfolgreich beendet haben, dürfen wir aufgrund dieses Schlusssatzes annehmen, dass sich ihre Probleme für immer in Wohlgefallen aufgelöst haben und keine neuen mehr entstanden. Uns wird suggeriert, dass es für die Märchenfiguren nie wieder irgendwelche Beschwernisse gab.

      Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich würde gerne mehr davon hören, wie dieses glückliche Leben konkret aussah. Gab es wirklich nie wieder Probleme, oder hatten unsere HeldInnen aufgrund ihrer erfolgreich bestandenen Abenteuer nur gelernt, mit sämtlichen Widrigkeiten des Lebens umzugehen und diese nicht mehr zu fürchten?

      Ein Leben ohne äußere Probleme ist kaum vorstellbar. Mag sein, dass Märchenprinzen und -prinzessinnen nicht altern, nie krank werden und ein ewiges Leben besitzen. Dagegen spricht allerdings, dass sehr wohl vom Ende ihrer Tage die Rede ist. Wahrscheinlich sind sie auch vor Krankheit, Altersbeschwerden und anderen Komplikationen nicht geschützt. Umso interessanter wäre es, zu erfahren, wie sie es trotzdem schafften, ihr gefundenes Glück ein Leben lang zu bewahren. Leider sind es nur Volksmärchen. Die Menschen, die sie von Generation zu Generation weitererzählten, hatten offenbar keine Vorstellung davon, wie so ein unverbrüchliches Glück zu erlangen sei. Sie brachten nur eine Sehnsucht zum Ausdruck, für die es im wahren Leben keine Entsprechung gab. Es waren eben Märchen, nicht die Realität.

      Anders verhält es sich mit den Überlieferungen, die Buddhas Leben und Lehre schildern. Diese enden nicht mit Buddhas Erleuchtung, sondern geben auch über die folgenden fünfundvierzig Jahre Auskunft. Außerdem enthalten sie konkrete Anleitungen, wie man so glücklich wie Buddha werden kann.

      Daher wissen wir, dass Buddha tatsächlich glücklich bis ans Ende seiner Tage lebte, nachdem er herausgefunden hatte, wie man mit den Grundtatsachen des Lebens am besten umgeht. Wir wissen aber auch, dass sein weiterer Weg nicht frei von äußeren Problemen und Schwierigkeiten war. Umso besser, denn nur so kann Buddha ein Vorbild für uns sein. Ein Mensch, der vor keinen Herausforderungen mehr steht: Das taugt wirklich nur für Märchen.

      Wir brauchen keine illusionären Versprechungen. Davon gibt es ohnehin genug. Nein, das Einzige, was uns wirklich weiterhelfen kann, sind wirksame Hilfen bei realen Beeinträchtigungen. Diese hören niemals auf, egal ob man erleuchtet ist oder nicht.

      Nachdem er den Königshof verlassen hatte, lebte Buddha für den Rest seines Lebens als Wandermönch. Man kann sich vorstellen, dass das kein bequemes Leben war. Da tun einem schon mal die Füße oder der Rücken weh, selbst wenn man berücksichtigt, dass Waldboden sehr weich sein kann. Buddha schlief jedenfalls nicht in einem Komfortbett.

      Er war dem Wechsel dem Jahreszeiten ausgesetzt, was bedeutete, dass es im Sommer sehr heiß und in der Regenzeit wochenlang sehr nass war. Zwar stellten reiche Gönner den Mönchen später Unterkünfte zur Verfügung, aber diese wurden nur vorübergehend genutzt, wenn die Wege unpassierbar waren.

      In den Überlieferungen ist die Rede davon, dass Buddha von feindseligen Menschen verleumdet wurde und sein Vetter einen Mordanschlag auf ihn plante. Zwei seiner Lieblingsmönche, denen er die Weiterführung des Ordens nach seinem Tod anvertrauen wollte, starben vor ihm. Es ging ihm also äußerlich gesehen nicht besser, sondern eher schlechter als den meisten von uns.

      Wir leben in Komfortwohnungen mit Bad und Zentralheizung, fahren in klimatisierten Autos und können aus dem reichen Angebot der Supermärkte wählen, was wir essen und trinken möchten, während Buddha durch die Dörfer zog und sich einmal am Tag eine Mahlzeit erbat.

      So ein Leben ohne festes Einkommen und ohne eine eigene Bleibe, wäre für die große Mehrheit der Menschen mit Ängsten, Depressionen und einer Menge Ärgernissen verbunden. Auch damals wählten nur vergleichsweise wenige diesen Lebensstil.

      Umso erstaunlicher scheint es, dass Buddha – anders als in der Rolle eines Prinzen – sich so frei und glücklich fühlte.

       Was war sein Geheimnis?

      Die positive Seite von Krisen

      Buddha hat seine Lehre später in vier Wahrheiten zusammengefasst. Leiden ist die erste Wahrheit. Niemand kommt um die Einsicht herum, dass Menschen, ja überhaupt alle Kreaturen, leiden. Obwohl diese Tatsache so offensichtlich ist, wollen wir sie oft nicht wahrhaben. Wir leugnen unser Leiden, spielen es herunter und tun so, als ob wir glücklich seien. Aber tief drinnen wissen wir, dass wir unzufrieden sind. Da wir annehmen oder sogar fürchten, die anderen seien glücklich, verstecken wir unser Leiden lieber. So gründlich, dass wir selbst irgendwann glauben, »eigentlich« ganz glücklich zu sein. Doch das »Eigentlich« verrät, dass es in Wirklichkeit nicht so ist. Im Hintergrund lauern unsere Ängste, Depressionen, Ärgergefühle und weitere unangenehme Empfindungen. Es fehlt nicht viel, sie zum Vorschein zu bringen. Dann sind wir überrascht über unsere heftigen Reaktionen, die in keinem Verhältnis zum Anlass stehen. Wir schämen uns, nicht wirklich glücklich zu sein. Deshalb soll niemand unser Leid sehen, außer vielleicht unsere engsten Mitmenschen.

      Stress, der kleine Bruder des Leidens, zeigen wir dagegen gerne. Es ist okay, gestresst zu sein. Mehr noch: Stress ist schön. Dafür gibt es sogar einen akademischen Begriff: Eustress. Leider ist diese schöne Form des Stresses so selten wie das Glück. Ihr Gegenteil, der Disstress, herrscht vor.

      Trotzdem ist Stress gesellschaftlich anerkannt, weit verbreitet und gilt daher als normal. Wer nicht gestresst ist, gilt als Außenseiter, und wer möchte schon freiwillig so einer sein? Also gibt man vor, gestresst zu sein, selbst wenn man es ausnahmsweise nicht ist. Bloß nicht unangenehm auffallen, sich nicht verdächtig machen. Warum ist der/die eigentlich nicht gestresst?

      Stress verdeckt das tiefere Leiden, über das man nicht sprechen möchte. Es ist leichter, über Alltagsprobleme zu reden als über die Dinge, die einen wirklich bedrücken.

      Deshalb beginnt der Weg aus der Krise damit, dass man sich eingesteht, unglücklich und unzufrieden zu sein.

      Gefühle, auch unangenehme, haben eine wichtige Funktion in unserem Leben. Sie weisen uns den Weg. Glück signalisiert uns, dass wir uns in die richtige Richtung bewegen. Leiden ist dagegen ein Stoppsignal. Es bedeutet, dass wir uns im Leben verlaufen haben und umkehren beziehungsweise eine neue Richtung einschlagen sollten.

      So gesehen, haben Krisen und Leiderfahrungen eine sehr positive Seite. Wenn wir sie nutzen, führen sie zum ersten Schritt in eine bessere Zukunft.

      Ohne Krisen gibt es keine Befreiung vom Leiden. Das mag auf den ersten Blick nicht besonders einladend wirken. Lieber würde man sich die unangenehmen Erfahrungen ersparen.

      Aber es stimmt: Unser Unglücklichsein ist nur dann negativ, wenn wir darin steckenbleiben. Wir brauchen Probleme, Schwierigkeiten und Hindernisse, um daran zu wachsen. Ohne Widerstand wird niemand stärker. Das gilt für unsere Muskeln genauso wie für unser Glück.

      Ein allzu bequemes Leben macht uns empfindlich gegen seine Härten. Vielleicht verstehen Sie jetzt, warum Buddha ein Leben unter freiem Himmel der Verwöhnung im Königspalast vorzog. Indem er allen Problemen ausgewichen war, war er immer empfindlicher und unglücklicher geworden. Ist das nicht genau die gleiche, vergebliche Strategie, die wir favorisieren? Vermeiden wir nicht alles, was irgendwie anstrengend oder schwierig ist? Etwas Neues zu lernen, statt uns in immer wieder ähnlichen, längst bekannten Bahnen zu bewegen? Sport zu treiben, statt jede Strecke mit dem Auto zurückzulegen und ganze Tage vor dem Computer oder Fernseher zu verbringen? Mal eine Mahlzeit auszulassen, statt ständig zuzunehmen?

      Sind vielleicht nicht die Krisen das Problem, sondern die Art, wie wir darauf reagieren?

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