Glücklich mit mir selbst. Ruediger Dahlke
Ärztin kann keinen Patienten zu seinem Gesundheits-Glück zwingen. Gern variiere ich den zweiten Satz inzwischen in: »Aber du musst es nicht allein schaffen.« Denn häufig ist Hilfe da und wäre nur anzunehmen. Das ist es, was Walther Lechler wohl auch meinte: Süchtige – aber nicht nur sie, sondern viele Menschen im Zustand akuter Bedürftigkeit – brauchen eine Gruppe, die sie stützt und, wo notwendig, immer wieder auffängt. Aber ich habe sogar auch Süchtige kennenlernen dürfen, die es ganz allein schafften, sich aus der Abhängigkeit – selbst von Heroin – zu befreien. Noch nie aber erlebte ich, wie ein Partner oder eine Gruppe jemanden aus einer Sucht befreite, der nicht selbst dazu entschlossen und bereit war. Bei Co-Abhängigen hat das manchmal den Anschein, aber in Wirklichkeit geht es nie ohne eigenen Impuls der Betroffenen.
Letztlich verweist auch der erste der Metasätze des Christentums auf uns selbst – und ohne des Egoismus verdächtig zu sein: »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.« Das ist eine direkte Aufforderung zur Selbst- oder Eigenliebe! Mehr als mich selbst kann ich sowieso niemanden lieben. Wer so tut, als ob er andere mehr liebe als sich selbst, ist nicht noch besser, sondern hat ein Problem mit Selbst-Akzeptanz und Selbstliebe und/oder ein naives anthropomorphes Gottesbild, wie Religionswissenschaftler es nennen, wenn man sich Gott nach seinem eigenen (Ideal-)Bilde vorstellt. Wenn – wie Christus sagt – das Himmelreich Gottes in uns liegt, können wir auch Gott nicht mehr als uns selbst lieben. Hier wird deutlich, wie wichtig es ist, zwischen Ego und Selbst zu unterscheiden.
Aber so wie mich selbst könnte ich im Ideal- oder besten Fall auch andere lieben. Das ist das höchste der Gefühle, das Bestmögliche, was ich meinen Nächsten bieten kann. Mehr geht nicht, wie zwei Jahrtausende christlichen Bemühens, da noch eins draufzusetzen, dramatisch belegen. Die Verfolgung Andersgläubiger, die zeitweise brutale Mission, die Mordorgien der Inquisition und der Missbrauch von Kindern und Jugendlichen bis in unsere Zeit erfolgten garantiert durch Menschen, die sich selbst nicht liebten und oft genug vorgaben, Gott mehr zu lieben als sich selbst. Aber in Wirklichkeit wurden sie nur zu Verbrechern oder gar Mördern in Gottes Namen.
Wenn ich mich selbst nicht liebe, klappt es mit den anderen garantiert nicht. Wer sich selbst liebt, kann auch andere lieben und für sie da sein, aber natürlich auch gut mit sich allein und für sich allein da sein.
Partnerschaft mit dem Selbst
Höre auf, Gott zu suchen; suche den, der sucht.
RUMI
Der Schlüsselsatz lautet schlicht und ergreifend: Glücklich mit mir selbst zu sein ist die Grundlage meines gesamten Glücks. Aber damit nicht genug: Nur wenn ich mit mir selbst glücklich bin, kann ich es auch mit anderen sein. Und es geht noch weiter: Nur wenn ich mit mir selbst glücklich bin, kann ich auch andere glücklich machen.
All das zusammen zu verwirklichen wäre natürlich der Idealfall. Stellen wir uns eine(n) erleuchtete(n) Meister(in) vor. Sie oder er wird ihrem Gegenüber immer einen glasklaren Spiegel bieten, anstatt in die Projektionsfalle zu tappen. Wer Vollkommen- oder Allverbundenheit (er-)lebt, wird alles in einem, nämlich in sich selbst, finden. Vollständig Verwirklichte können immer allein sein und werden doch stets auch mit allen und allem verbunden bleiben.
Als gewöhnliche Menschen, aber mit dem Ziel der Verwirklichung, sehen wir uns mit einer grundsätzlichen Gabelung des spirituellen Weges konfrontiert und müssen wählen: Offen steht uns zum einen der Weg der Haus-Mutter oder des Haus-Vaters, wie man in Indien – immer noch ganz unbefangen – den Pfad nennt, der über Partnerschaft und Familie führt. Zum anderen der Entwicklungsweg der Eremitage, des freiwilligen Allein-Seins auf der Suche nach Gott beziehungsweise Einheit. Aber auch dann geht es noch um Beziehung, nämlich zu Gott. Wobei die spirituelle Essenz aller großen Religionen und Traditionen darin übereinstimmt, Gott weder als alten Mann noch überhaupt als Mann zu verstehen. Das ist nur der klassische Irrtum des jeweiligen Bodenpersonals im Patriarchat. Selbst im christlichen Vaterunser heißt es im aramäischen Urtext Awun, was genauso All-Mutter wie All-Vater bedeuten kann.
Die Suche nach Einheit, Vollkommenheit oder Gott muss innen stattfinden und nicht etwa draußen in der Welt. Nichts anderes meint der christliche Satz: »Das Himmelreich Gottes liegt in euch.« Auch der große Sufi-Dichter Dschalal ad-Din Muhammad Rumi bringt es auf den Punkt mit dem Satz, der diesem Kapitel vorangestellt ist.
In der griechischen Götterwelt der Antike wurde das ganze Geheimnis so verpackt: Nach der Erschaffung der Welt hielten die Götter Rat, wo sie den Schlüssel zur Erkenntnis des Ganzen verbergen sollten, damit die Menschen ihn nicht so rasch fänden. Nachdem sie die entlegensten Orte der Erde durchgedacht hatten, kam Apoll die Erleuchtung, den Schlüssel im Herzen der Menschen selbst zu verstecken, weil diese dort am wenigsten suchen würden.
Bei den alten Griechen, am Tempel von Delphi, stand außen über dem Tor: »Erkenne dich selbst.« Drinnen soll gestanden haben: »Damit du Gott erkennst.« Auch hier dieselbe Reihenfolge: Zuerst gilt es, sich im Selbst zu erkennen, bevor es möglich wird, in Gott die Einheit von allem zu erleben.
Doch wir müssen gar nicht so weit zurückgehen, sondern nur wieder werden wie die Kinder, um zu verstehen, worum es geht. Im Kinderbuch »Oh, wie schön ist Panama« von Janosch wird empfohlen, statt Pilze zu suchen, lieber Pilze zu finden. Schöner Gruß von kleiner Tiger und kleiner Bär an großen Rumi!
»Findet, statt zu suchen!« Unter diesem Leitsatz ist nicht einmal die Richtung vorgegeben. Und sind gute Kompromisse keineswegs ausgeschlossen! Nie und nimmer ist einsam und verlassen, wer nur der inneren Stimme von innerer Heilerin oder innerem Arzt lauscht und schließlich Gottes Stimme vernimmt – egal, ob es den üblichen Vorstellungen entspricht, wo und wie gehört werden soll. Nichts anderes zeigt die Liebesgeschichte zwischen Franz von Assisi und der Heiligen Chiara. Ich erspare mir hier absichtlich das Wort »platonisch«, weil durchaus nicht klar ist, ob die damit verbundene Erzählung der von beiden gelebten Wahrheit oder mehr der Sicht des zölibatären Kirchenpatriarchats entspricht. Mit dem Evangelium der Maria liegt uns im Übrigen ein authentischer Text des Urchristentums vor, der die Rolle der Frau ganz entschieden anders darstellt. Er befreit nicht nur die Maria Magdalena vom Ruch des »leichten Mädchens« und stellt sie im Rang noch über die männlichen Jünger, sondern sogar als Partnerin neben Jesus selbst. Auch das Nonnen-Leben der Hildegard von Bingen und ihrer Mitschwester verlief in großer Freiheit und sogar einiger Freizügigkeit mit Tänzen – auch reichte es ihr, das Ornat der Nonne einmal in der Woche zu tragen.
Egal welche Richtung man an der großen Gabelung des spirituellen Weges einschlägt: Zuallererst gilt es immer, mit sich selbst glücklich zu werden – in Partnerschaft mit dem Selbst, dem Synonym der Einheit. Der Weg ist das Ziel! Und er ist in keinem Fall einfach und leicht, ob ich mir nun von Partnern aus Fleisch und Blut oder von Christus meinen Schatten zeigen lasse – christliche Nonnen tragen seinen Namen bis heute in ihrem Ehering. In jedem Fall muss ich den Schatten integrieren, und erst wenn er mit meinem Ich vereint ist, lässt sich Selbst-Verwirklichung erlangen.
»Die Braut, die sich nicht traut«
Rituale sind wichtig. Heutzutage ist es »hip«, nicht verheiratet zu sein. Mich interessiert es nicht, »hip« zu sein.
JOHN LENNON
Auch wer sich auf den Weg der Partnerschaft macht, ist gut beraten, sich zuvor selbst lieben zu lernen, damit sein Weg auch wirklich ins Glück führt. Insbesondere wer heiratet, sollte das beherzigen. Denn wer sich nicht selbst liebt und zu sich selbst nicht Ja sagen kann, kann auch nicht zu einem anderen Menschen wirklich Ja sagen. Das aber ist der entscheidende Punkt bei der Heirat, einer Ehe-Schließung. Wenn wir das Ideal einer bis zum Lebensende geschlossenen Beziehung immer seltener erreichen, hat das wohl auch damit zu tun, dass wir immer seltener unser Glück in uns selbst finden und es stattdessen vom Partner erwarten.
Ich habe bereits deutlich meine Meinung zum heutigen Medien-Hype gesagt. Das heißt nicht, dass ich alles ablehnen würde, was mit Unterhaltung zu tun hat. Auch gute Unterhaltung gehört zu den notwendigen Mußestunden, die sich die meisten viel zu selten gönnen. Wir Menschen dürfen