Wer regiert die Schweiz?. Matthias Daum

Wer regiert die Schweiz? - Matthias Daum


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Tische aus edlem Holz, die nach Wunsch auch weiss gedeckt werden. Der Kellner fliegt heran, noch ein Café Crème soll es sein. Dann ist es Zeit. Johannes Müller schnappt sich am Eingang zur Wandelhalle einen Apfel, den seine Berufskollegen, die Bauern, gratis zur Verfügung stellen, grüsst im Vorbeigehen ein paar Bekannte, drückt sich vorbei an den Kameras und Fotografen und setzt sich auf seinen Platz in der Mitte des Nationalratssaals. Da bimmelt schon der Nationalratspräsident mit seiner Glocke und eröffnet die Sitzung.

      Vieles hat sich in den drei Legislaturen geändert, aber manches ist immer noch wie früher, denkt sich Müller. Wer etwas in diesem Parlament erreichen will, der muss sich an die Richtigen wenden. Und das sind immer noch Männer, Amstutz, Schwaller, Pfister, Levrat – oder wie die Leithammel alle heissen. Sie haben die Autorität, sich in ihrer Partei durchzusetzen, auf sie wird gehört.

      Es läuft wie erwartet, die Redner zanken sich über das Offensichtliche, es geht um Glaubensfragen, Ideologie, die liebe Jugend, die man vor sich selbst schützen muss und so weiter und so fort. Die Bundesrätin hält dagegen, appelliert an die Stimme der Vernunft und an die Fakten. Jeder spielt seine Rolle. Und am Schluss wird der Kommissionsmehrheit zugestimmt, die Minderheitsanträge werden abgelehnt. Es gibt noch ein paar Abweichungen zum Ständerat, die wird man aber bereinigen können. Johannes Müller sitzt die ganze Zeit bequem in seinem Stuhl und drückt zur richtigen Zeit den richtigen Knopf. Manchmal tun ihm die jungen Menschen leid, die auf der Galerie das Geschehen verfolgen und meinen, einer richtigen demokratischen Debatte zu folgen. Sie wissen nicht, dass alles abgesprochen und vorbereitet ist, Überraschungen sind praktisch ausgeschlossen. Unvorhergesehenes kann nur bei den Bundesratswahlen passieren, weil da geheim abgestimmt wird. So haben sie den Blocher aus dem Bundesrat entfernt, unwürdig war der, einer, der sich aufführte, als sei er der Chef der Schweiz. Das aber würde der Christdemokrat Müller natürlich nie öffentlich sagen.

      Zusammen mit seinen Kommissionskolleginnen und -kollegen aus der WAK geht Johannes Müller zum Mittagessen ins Restaurant Lötschberg, Zeughausgasse 16, Hochburg der welschen Parlamentarier, aber Müller kann ja gut Französisch. Auch wenn die Szene nicht mehr so ghettoisiert ist wie früher: Das «Diagonal», Amtshausgasse 18, im Schatten des Eidgenössischen Departements des Innern, gehört immer noch vornehmlich den Linken, den Grünen und den Journalisten. Das «Lorenzini», Hotelgasse 10, den Wichtigen. Das«Bellevue Palace», Kochergasse 3–5, den Bürgerlichen. Und im «Schwellenmätteli», Dalmaziquai 11, unten an der Aare, da lässt man den Tag ausklingen, vor allem im Sommer. Herr Müller hebt das Weissweinglas, es gibt etwas zu feiern. Die einheimische Schnapsbranche ist gerettet.

      Nach dem Mittagessen legt sich Nationalrat Müller für ein kurzes Schläfchen hin, im Männerzimmer, oben im dritten Stock des Bundeshauses, zwei Sofas, drei Sessel, einmaliger Kostenpunkt 450 Franken, hier darf niemand rein, der nicht gewählter Bundespolitiker ist. Das haben die Männer den Frauen abgeschaut, die sich schon früher eine Rückzugsmöglichkeit geschaffen haben. Die allerdings haben eine kleine Küche, ein Bad und Designermöbel von Eileen Gray. Dann wird er von einer SMS geweckt, die ihn auf eine kurz bevorstehende Abstimmung im Ratssaal aufmerksam macht. Müller springt auf, eilt in den Saal, drückt einen Knopf – und sprintet ins Café des Alpes, wo bereits ein Mitarbeiter einer PR-Agentur, eine der grossen mit Tagesansätzen von 3000 bis 4000 Franken, auf ihn wartet. Er unterbreitet ihm ein mittels Powerpoint-Präsentation auf seinem Laptop beeindruckend aufgemachtes Argumentarium.

      Das Leben als Parlamentarier ist hektisch geworden. Nicht die Anzahl offizieller Sitzungstage wurde mehr, das hat Müller mal bei einer jungen Politologin gelesen, sie blieb seit den Anfängen der Schweizerischen Bundesversammlung praktisch unverändert. Aber der ganze Zirkus drumherum. Ein gescheites Sekretariat müsste Müller aus dem eigenen Sack berappen. Vor allem diejenigen, die im medialen Rampenlicht stehen, können kaum mehr abschalten. Aber das sind nur ein paar Wenige, die Medien zerren immer wieder die Gleichen in die Arena. Manchmal wundert sich Müller über die Journalisten, die ihn, wenn überhaupt, am liebsten samstags anrufen. Dann geht es um irgendwelche Indiskretionen, zu denen er sich empören soll. Grundsätzliches will man von ihm fast nie hören, es geht eigentlich immer um sogenannte Statements, kurze, knackige Sätze. Kürzlich ist Müller ein Satz eingefallen, auf den er stolz ist: «Die Lobbyisten sind auch deshalb so stark, weil die Kritikfähigkeit der Medien so schwach geworden ist.»

      Eine Grossbank hat Nationalrat Müller als WAK-Mitglied um 19 Uhr zum Stehdinner ins «Bellevue» geladen, weiss gedeckte Tischchen, erlesene Häppchen, im Hintergrund ein Pianospieler. Müller hat Dutzende von solchen Terminen während den drei Sessionswochen. Die Bank will sich bedanken, weil die Politik dem FATCA-Abkommen zugestimmt hat. Der «Foreign Account Tax Compliance Act» sieht einen, zumindest teilweise, automati schen Austausch von Kundendaten mit den US-amerikanischen Behörden vor. Das war wichtig, um die amerikanischen Steuerbehörden zu besänftigen. Der Nationalrat gönnt sich einen guten, schweren Rotwein, verabschiedet sich aber früh, er muss ja morgen wieder zeitig raus.

      Im Hotelzimmer liest er noch ein paar Akten, versucht zu verstehen, was nur Experten verstehen können, und fällt um Mitternacht in sein Bett, das er auch ohne Licht gefunden hätte. Kurz vor dem Einschlafen, denkt er an die älteren Kollegen, die im Amt verstarben, die Gehetzten, die einen Herzinfarkt erlitten, oder die Jungen, die, eben noch voll im Saft, Knall auf Fall den Bettel hinschmissen, weil sie nicht mehr konnten. Vielleicht ist er wirklich langsam zu alt für dieses Geschäft, das man Politik nennt.

      Johannes Müller ist eine Kunstfigur, die nach vielen Gesprächen mit Parlamentariern entstanden ist. Er ist sozusagen das goldene Mittelmass der Schweizer Bundespolitik.

DIE LOBBYS

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