Forschungswerkstatt Geschichtsdidaktik 17. Monika Waldis
die je spezifisch mit der Einstellung zu und dem Verständnis von Multimedialität/Digitalität sowie mit Kompetenzorientierung zusammenhingen.
Sebastian Barsch und Nina Glutsch untersuchten im Rahmen ihres Forschungsprojekts zur Reflexionsfähigkeit von Geschichtslehrerstudierenden die Berufswahlmotive von Lehramtsanwärterinnen und -anwärtern der Universität Kiel. Die Datengrundlage bildeten schriftliche Portfoliotexte zur Dokumentation und Reflexion eigener Entwicklungsprozesse sowie problemzentrierte Interviews. Die Ergebnisse verweisen auf den Einfluss von Vorbildern und eigenen Unterrichtserfahrungen auf die Berufswahlmotivation sowie die Dominanz intrinsischer Faktoren. In den vertiefenden Interviews kristallisierten sich tiefere Verbindungen zu geschichtstheoretischen Einstellungen heraus.
Philipp Marti und Monika Waldis analysierten anhand von Gruppengesprächen zu einer ausgewählten Videosequenz aus dem Videosurvey der »VisuHist«-Studie Interaktionen von Schweizer Geschichtslehrerstudierenden zu beobachtbaren Aspekten des Lehrens und Lernens sowie Merkmalen »guten« Geschichtsunterrichts. Die Resultate verweisen auf ein Vorwiegen allgemeiner, nicht genuin geschichtsdidaktischer Merkmale, auf die in den Gruppengesprächen eingegangen wurde. Gleichzeitig deutet sich eine Zugewandtheit zu Überlegungen der kognitiven Aktivierung im Unterricht an, ohne dass dabei bereits explizit fachdidaktische Begründungen zum Ausdruck kommen.
Jennifer Lahmer-Gebauer und Dirk Urbach untersuchten Fach- und Selbstkonzepte von Geschichtslehrpersonen der Berufseinstiegsphase, u. a. die von ihnen verfolgten Unterrichtsziele, die Organisation und Planung historischer Lernprozesse sowie die Überzeugungen hinsichtlich ihrer eigenen Funktion, Fähigkeiten und Wirksamkeit als Lehrperson. Dabei zeigte sich, dass Geschichte als Orientierungsrahmen für die Gegenwart verstanden wird sowie die Dominanz eines Unterrichtsmusters, das mit einer historischen Fragestellung beginnt und von Gruppenarbeitsformaten zu Quellen und Darstellungen fortgesetzt wird. Hinsichtlich der eigenen Rolle favorisieren Berufseinsteigerinnen und -einsteiger die Rolle des Moderators/der Moderatorin mit einer moderaten Lenkung durch die Lehrperson.
Mario Resch und Christian Heuer entwickelten auf der Grundlage des Heidelberger Geschichtslehrerkompetenzmodells einen Vignettentest zur Erfassung geschichtsdidaktischen Wissens und Könnens und setzten diesen zusammen mit einem umfangreichen Fachwissenstest und Selbsteinschätzungsskalen zu pädagogischen und fachlichen Berufswahlmotiven bei angehenden Geschichtslehrpersonen ein. Es ergaben sich signifikante Zusammenhänge. Darüber hinaus berichteten die beiden Autoren über Herausforderungen bei der Entwicklung von geschichtsdidaktisch profilierten Aufgaben für Testinstrumente und die Erfassung der Unterrichtspraxis.
Roland Bernhard und Christoph Kühberger vertieften auf der Basis von qualitativen Interviews mit österreichischen Geschichtslehrpersonen das Thema der Kompetenzorientierung und der Medienverwendung im Unterricht. Dabei zeigte sich ein eher fachunspezifisches Kompetenzverständnis bei Geschichtslehrpersonen.
Daniel Münch beschrieb, basierend auf seiner vertiefenden Analyse von Interviews mit einem/-r Fachwissenschaftler/-in und einem/-r Fachdidaktiker/-in, die Zusammenarbeit dieser beiden Hochschullehrpersonen in einem Kooperationsseminar an der Universität Jena. Die mittels dokumentarischer Methode rekonstruierten Orientierungen zeigen, dass beide gemeinsam Verantwortung für das Seminar übernehmen.
Inga Kahlcke stellte erste Ergebnisse einer qualitativen Studie vor, in der erhoben wurde, wie Geschichtslehrkräfte verschiedener Erfahrungsstufen schriftliche Klassenarbeiten von Schülerinnen und Schülern der 10. Klasse beurteilen. Die vertiefende Analyse der Aussagen einer erfahrenen Lehrperson und eines Referendars ergaben deutlich verschiedene Kriterien. Während die erfahrene Lehrperson vor allem auf die Beachtung der Perspektive und sprachliche Distanzierung achtete, nahm der Berufseinsteiger eher fachunspezifische Aspekte wie eine genaue Textlektüre und eine korrekte Orthografie in den Blick.
Die zweite Gruppe widmete sich dem Geschichtsunterricht und den darin beobachtbaren Interaktions- bzw. Lernprozessen. Dabei kamen fachliche Dimensionen und die Dimension der Urteilsbildung in den Blick.
Barbara Christophe untersuchte je zwei Unterrichtsstunden zum Kalten Krieg in Deutschland und in der Schweiz. Die dargebotenen Deutungen erschienen in den Unterrichtslektionen monoperspektivisch, und die explizite Auslassung der politischen Dimension wurde nicht transparent gemacht. Die Autorin kam zum Schluss, dass die Transparenz und Reflexivität im Umgang mit der politischen Dimension allen historischen Erzählens nicht nur ein Gebot der erinnerungskulturellen Fairness in pluralen Gesellschaften ist, sondern auch eine Voraussetzung für Verstehen darstellt.
Andrea Kolpatzik nahm mit ihrem Beitrag die Urteilsbildung im Geschichtsunterricht in den Blick. In ihrer Fallstudie untersuchte sie ein mehrere Lektionen umfassendes Unterrichtssetting zur NS-Propaganda und fokussierte darin auf die sprachliche Verfasstheit von Werturteilen und deren diskursive Begründung. Dabei zeigte sich, dass den Schülerinnen und Schülern für die (selbst-)reflektierte Urteilsbildung nebst dem notwendigen (bildungs-)sprachlichen Wortschatz auch das Verständnis für die mit den Arbeitsaufträgen verknüpften domänenspezifischen Denkleistungen fehlte.
Die dritte Gruppe von Beiträgen befasste sich mit historischen Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern sowie mit Grundlagen von deren Diagnose.
Jan Scheller entwickelte, ausgehend vom FUER-Kompetenzstrukturmodell, ein Analyseraster für die Feststellung und Diagnose der De-Konstruktionskompetenz bei Schülerinnen und Schülern sowie Studierenden. Die deduktiv hergeleiteten Analysekategorien schlüsselte er anhand von verschiedenen Medien feingliedrig auf.
Christiane Bertram, Wolfgang Wagner, Michael Werner, Ulrich Trautwein und Waltraud Schreiber untersuchten in einer Längsschnittstudie die Kompetenz- und Interessenentwicklung von Schülerinnen und Schülern der 9. bis 12. Klasse in deutschsprachigen Schulen in Belgien, die mit dem »mBook« arbeiteten. Sie stellten fest, dass das Interesse am Fach Geschichte ab der 10. Klasse zunahm. Hinsichtlich der Kompetenzentwicklung konnte in den ersten drei Jahren ein beachtlicher Zuwachs festgestellt werden, der sich im letzten Jahr abschwächte.
Kristine Gollin und Martin Nitsche nahmen die Struktur historischer Schreibprozesse von Deutschschweizer Schülerinnen und Schülern der 10. und 11. Gymnasialstufe in den Blick. Im Rahmen der Aufgabenentwicklung in Cognitive Labs wurden die bei der Aufgabenlösung beobachtbaren Operationen narrativer Kompetenz erfasst und kategorisiert sowie weitere damit verbundene Lese- und Schreibtätigkeiten herausgearbeitet.
Der vorliegende Tagungsband vermag wiederum einen substanziellen Einblick in derzeitige empirische Forschungsprojekte der deutschsprachigen Geschichtsdidaktik zu geben. Diese Zusammenschau wurde unter anderem ermöglicht durch finanzielle Zuschüsse des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung sowie der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften. Ein großes Dankeschön gebührt den Reviewerinnen und Reviewern aus dem geschichtsdidaktischen Kreis, die sich an der Review der Abstracts vorgängig zur Tagung sowie bei der Review der eingegangenen Buchbeiträge beteiligten. Zum Schluss geht der Dank an Manuel Hubacher, der uns mit sehr viel Umsicht bei der Organisation der Tagung unterstützte und federführend die Erstellung des Manuskripts voranbrachte.
Literatur
Barricelli, Michael & Sauer, Michael. (2015). Empirische Lehr-Lernforschung im Fach Geschichte. In Georg Weißeno & Carla Schelle (Hrsg.), Empirische Forschung in gesellschaftswissenschaftlichen Fachdidaktiken. Ergebnisse und Perspektiven (S. 185–200). Wiesbaden: Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-06191-3\_13.
Beilner, Helmut. (2003). Empirische Forschung in der Geschichtsdidaktik. Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, 54(5/6), 284–302.
Bohnsack, Ralf/Fritzsche, Bettina & Wagner-Willi, Monika. (2015). Dokumentarische Video- und Filminterpretation. In Ralf Bohnsack, Bettina Fritzsche & Monika Wagner-Willi (Hrsg.), Dokumentarische Video- und Filminterpretation (S. 11–43). Opladen: Barbara Budrich.
Breuer, Franz. (2010). Wissenschaftstheoretische Grundlagen qualitativer Methodik in der Psychologie. In Günter Mey & Katja Mruck (Hrsg.), Handbuch Qualitative Forschung in der Psychologie (S. 35–49). Wiesbaden: Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-531-92052-8_2.