Forschungswerkstatt Geschichtsdidaktik 17. Monika Waldis

Forschungswerkstatt Geschichtsdidaktik 17 - Monika Waldis


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können, zu deren Bestem die Forschung vorangetrieben wird. Probanden können, es wurde schon gesagt, instrumentell zu Merkmalsträgern verkürzt werden, auf die eingewirkt werden kann.

      Der Erfolg dieses Einwirkens ist dann der letzte Nutzen der Forschung. Nicht ganz zufällig war in der unmittelbaren Nach-PISA-Zeit die Einladung der Allgemeinen Didaktik oder der Erziehungswissenschaften, die auf bisher ungekannte Art die Nähe zu den Fachdidaktiken suchten, obwohl sie doch ohne Zweifel die Avantgarde der empirischen Methodologie darstellten, mit dem geraunten Argument verbunden, so könnten die Fachdidaktiken endlich einmal ihre Brauchbarkeit unter Beweis stellen. Gleichzeitig wurden die Erziehungswissenschaften hart darauf gestoßen, dass sie mit ihrem ausgefeilten Instrumentarium (sofern sie sich freilich überhaupt dem Lehren und Lernen in der Schule zuwandten) generell etwas untersuchten, was es gar nicht gibt, nämlich »Unterricht«, denn spätestens ab der fünften Jahrgangsstufe gibt es nur noch Fachunterricht. Die damals erträumte Symbiose zwischen Erziehungswissenschaft und Fachdidaktiken hat sich, wie mir scheint, nur zum Teil realisieren lassen. Aber wir können aufgrund der nunmehr plausibel gewordenen disziplinären Aufgabenteilung (Bertram, 2016, 64) auch nicht mehr vor das Jahr 2000 zurück. Das lässt die pädagogische Forschung schon deswegen nicht zu, weil ihr dann auf ihrem ureigenen Feld nicht mehr viel zu tun bliebe: Die Daten dort sind ja alle erhoben, über ihre Deutung gibt es kaum Kontroversen, jede weitere große Feldstudie, ob durch OECD, Paritätischen Gesamtverband, Bertelsmann-Stiftung, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, kommt zu den immer selben Ergebnissen: Soziale bzw. vertikale Mobilität an deutschen Schulen gibt es kaum, Chancengleichheit für Kinder aus »bildungsfernen Elternhäusern« – was für ein monströses Wort – lässt auf sich warten. Als Errungenschaften des sozialen Aufstiegs dienen deutsche Schulen heute weniger denn je. Jugendliche aus benachteiligten Milieus liegen in ihren Lesefähigkeiten bis zu zwei Jahre hinter jenen aus privilegierten Milieus zurück. Nur noch 24 Prozent aller Heranwachsenden haben einen höheren Bildungsabschluss als ihre Eltern, Tendenz fallend, gerade auch im Vergleich etwa zu Finnland mit 56, Frankreich mit 45, Polen mit 44 Prozent (Vitzthum, 2014). Gleichzeitig bleibt die Vorurteilsverhaftung der Lehrkräfte hartnäckig: Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund wird regelmäßig weniger zugetraut als solchen ohne.

      Jedoch dies alles interessiert uns in der Geschichtsdidaktik nur ganz am Rande. Denn der Grund, auf dem wir stehen, ist das Fach, und aus berufsethischen Gründen müssen wir an die Lehrbarkeit der Sache unter quasi allen (schwierigen) Umständen glauben. Und zwar, weil wir in ihr, der Sache, den Nutzen von Bildung erkennen, nicht an Modellen von Unterricht, Problemlösungsschemata, Kommunikationsstrategien und auch nicht an Instrumentenentwicklung oder Methodologie.

      Ich finde, die Geschichtsdidaktik hat längst den Beweis geführt, dass sie qualitative, hermeneutische ebenso wie quantifizierende Designs bzw. Erhebungs- und Auswertungsverfahren zum Nutzen der jeweils anderen – der Erziehungswissenschaften, der Pädagogischen Psychologie, der Soziologie – zu handhaben versteht. Auch deswegen kann sie sich nun wieder mehr ihrer eigenen Sache zuwenden. Was es mit dieser Sache von Narrativität und Konstruktivität der Geschichte auf sich hat, kann und will ich an dieser Stelle nicht ein weiteres Mal erörtern. Aber einsichtig sollte sein, dass diese Sache werthaltig ist, und sie heißt natürlich: Sinnbildung über Zeiterfahrung. Merkwürdig, wie selten diese zentrale Bestimmung oder Zielmarkierung in Texten auftaucht, in denen das Design, der Zweck oder die Relevanz von geschichtsdidaktischen empirischen Studien erläutert werden, schon gar nicht in Titeln und Überschriften.

      Dabei könnte der Rückverweis auf Sinnbildung eine erste Annäherung an den ja noch nicht formulierten dritten Schritt »zur Theorie zurück« sein. Denn dieses Zurück soll ja ganz und gar nicht heißen, dass wir zu einem Ausgangspunkt wiederkehren, sondern zu einer Idee, die durch weitere Theoriebildung und anschließende Empirie verändert wurde. Vielleicht kann man es sich so wie beim bildenden Lernen vorstellen: Im Gegensatz zum reaktiven Lernen, etwa in den Natur- und Ingenieurwissenschaften, verändert das bildende Lernen nämlich nicht nur den Lernenden, sondern genauso seinen Lerngegenstand im Augenblick der lernenden Aneignung. Eine historische Erzählung, die ich gelernt habe, ist danach nicht mehr dieselbe wie zuvor, nicht für mich, nicht für die anderen Lernenden, auch nicht für den Geschichtenerzähler. Nach erfolgter empirischer Prüfung dessen, was die anderen – meist jüngeren – können, vermögen, wollen, vorschlagen, einbringen, ablehnen, belächeln, könnten wir also, uns auf die gut eingeführten Typologien verlassend, diskutieren, welchen Weg wir möglichst gemeinsam einschlagen wollen: Was und wie viel von dem, was die Alten vor uns eingerichtet haben, wollen wir traditional anerkennen, übernehmen, fortführen; woran aus der Vergangenheit nehmen wir uns in einer Gegenwart, die sich von jener meist fundamental unterscheidet, trotzdem ein Beispiel; wovon können wir uns absetzen, um es anders, möglichst besser zu machen; und wo gestehen wir uns ein, dass Geschichte in uns genetisch wirkt und wir noch viel reflexiver werden müssen, um unser Denken und darauf das Handeln zu emanzipieren? Unter diesem Dach vereinen sich eine philosophisch fundierte und empirisch erprobte historische Bildung.

      Denn Theorieentwicklung nach erfolgter Empirie ist nicht reaktiv, sondern bildend. Sie reagiert nicht auf die Befunde, sondern entwirft sich selbst in einem neuen Licht der »Evidenz«, die nichts anderes ist als der Vorschlag, eine Sache, ein Problem so zu verstehen, wie man es für den Augenblick, im besten Wissen und Bewusstsein, nur vermag. Theorie in der Geschichtsdidaktik ist damit wertebildend. Werte beginnen dort, wo man seiner eigenen ideologischen Verhaftung gewahr wird. Deswegen soll der empirischen Forschung in allen Fachdidaktiken und überhaupt Wissenschaften auch nicht ihre Ideologieträchtigkeit ausgetrieben werden. Sondern Ideologien werden durch Aussprechen – das ist zugleich weniger und mehr als Kritik – in die Praxis anleitende Werte verwandelt. Wir können nicht immer nur deuten, wir müssen auch handeln! Dieses Leitbild hatte fraglos auch Hilke Günther-Arndt in einer früheren Tagungskritik im Blick, als sie mutmaßte oder bereits zu erkennen glaubte, dass sich empirische Forschung in der Geschichtsdidaktik auf dem Weg zur »Traditionsbildung« befinde (Günther-Arndt, 2010). Das könnte gewiss Gutes und Schlechtes bedeuten. So lange der Diskurs aber noch nicht so »reif« ist, dass er nur noch das Ernten von Früchten erlaubt, während das Sprießen neuer Triebe nicht mehr zu erwarten ist, bleibt gedanklicher Fortschritt gewärtig. Dafür sollten wir uns jedoch von der Vorstellung lösen, dass historische Kompetenzen »die Grundlage« dafür seien, »zentrale gesellschaftliche Herausforderungen der Moderne zu meistern« (Trautwein et al., 2017, 116). Eine solche Aussage ist erstens selbst ja empirisch niemals seriös zu beweisen (oder wer wollte Kontrollgruppen dann ohne den Besitz »historischer Kompetenzen« konstruieren, die an den »zentralen Herausforderungen« unserer Zeit scheiterten?) und hängt zweitens vollkommen davon ab, was man unter »meistern« versteht: alle Ungleichheiten oder Lebensbedrohungen auf der Welt beseitigen? den einen zur Durchsetzung verhelfen und die anderen abfinden? Zukunft still stellen – da nach dem Meisterstück keine weitere Entwicklung denkbar bzw. notwendig ist? Aber was hätte das alles mit Geschichte und historischem Lernen zu tun? Empirische Forschung in der Geschichtsdidaktik besitzt ihren Grund wohl eher in der Annahme, dass es gut ist, zu erkunden, wie Menschen damit umgehen, wenn sie erfahren, dass sie selbst mehr sind als Gegenwärtige mit Problemen, nämlich Historische mit Antworten.

      Literatur

      Barricelli, Michele. (2014). Geschichtsdidaktik nach PISA – Bilanzen und Perspektiven. Zum Jubiläum: Die Weisheit der Zahl und die Gründe des Erzählens. In Michael Sauer, Charlotte Bühl-Gramer, Marko Demantowsky, Anke John & Alfons Kenkmann (Hrsg.), Geschichtslernen in biographischer Perspektive. Nachhaltigkeit, Entwicklung, Generationendifferenz (S. 365–384). Göttingen: V&R unipress.

      Barricelli, Michele & Sauer Michael. (2015). Empirische Lehr-Lern-Forschung im Fach Geschichte. In Georg Weißeno & Carla Schelle (Hrsg.), Empirische Forschung in gesellschaftswissenschaftlichen Fachdidaktiken. Ergebnisse und Perspektiven (S. 185–200). Wiesbaden: Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-06191-3.

      Bertram, Christiane. (2016). Entwicklung standardisierter Testinstrumente zur Erfassung der Wirksamkeit von Geschichtsunterricht. In Holger Thünemann & Meik Zülsdorf-Kersting (Hrsg.), Methoden geschichtsdidaktischer Unterrichtsforschung (S. 63–88). Schwalbach/Ts.: Wochenschau.

      Borries, Bodo von. (2004).


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