"...vergessen Sie nicht die chinesischen Nachtigallen.". Gusti Adler
gleichzeitig aber war es der Beginn einer langen Entwicklung in der Beziehung dieser beiden Menschen zueinander. Jahre vor diesem Zusammentreffen war Max Reinhardt nur noch dem Buchstaben nach mit Else Heims verheiratet gewesen. Andauernde Konflikte wurden vor Anwälten ausgetragen. Reinhardt hatte den besten Willen, alles auf gütlichem Wege zu erledigen. Deshalb wurde zwischen ihm und Helene Thimig beschlossen, dass sie einander ein Jahr lang nicht sehen und jede Verbindung abbrechen wollten. Während dieser Zeit hoffte er, zu einem friedlichen Vergleich mit Frau Heims zu gelangen. Seine ehrliche Absicht scheiterte an ihrem hartnäckigen Widerstand, und es kam erst viele Jahre später zur Lösung dieser Ehe.
Mit seiner Inszenierung der Seeschlacht von Reinhard Goering – ebenfalls im Rahmen des »Jungen Deutschland« – hat Max Reinhardt noch einem zweiten jungen deutschen Dichter Gehör verschafft. In dieser Vorstellung klappte alles mit einer Präzision, die an das Ineinander-Funktionieren der Maschinen auf Kriegsschiffen mahnte. Überragend Wegener, Krauß und Hermann Thimig. Aber selbst Reinhardts Regie konnte gegen das Objektivierte, Kalte dieser überspitzten Symbolik, das für diese Generation so typisch war, nicht aufkommen. Wohl hörte man eine Botschaft, aber sie zeugte keinen Glauben. Scharfe Polemik war dem Werk in Dresden vorangegangen. Ein Teil des revolutionsbereiten Publikums war wohl auch enttäuscht, dass in Berlin alles sensationslos verlief. So hielten sich Beifall und Zischen die Waage.
Einmal noch, drei Jahre später, hat Max Reinhardt mit der Inszenierung eines Stückes von August Stramm, Kräfte, den Versuch gemacht, expressionistischem Drama Geltung zu verschaffen. Sein Ensemble – Helene Thimig, Agnes Straub, Eugen Klöpfer und Hermann Thimig – wurde damals von einem wahren Furor erfasst, Ton-Werte sprechen zu lassen, scheinbar zusammenhanglosen Worten durch Rhythmus und Klangschattierung Sinn zu geben, Dialog »auf Noten gesetzt« zu rezitieren. Das Experiment gelang, und Max Reinhardt nahm das Stück sogar auf eine skandinavische Tournee mit. Da ihm aber im Grunde diese Kunstform doch sehr ferne lag, hat er nie wieder Ähnliches unternommen.
Großes Schauspielhaus
18. Mai 1918: Die Zirkusfront ist eingestürzt.
6. Juni 1918: R., ein Freund, ist mit Reinhardt am Großen Schauspielhaus vorbeigegangen. Wenn Reinhardt davon spricht, dass es mit dem Bau eventuell nicht klappen könnte, kommen ihm die Tränen in die Augen.
Aber Schwierigkeiten ließen Max Reinhardt seit jeher nur um so leidenschaftlicher danach streben, sein Ziel zu erreichen. Er hatte die Gabe, nachtwandlerisch die Menschen zu finden, die sich für die gegebene Aufgabe am besten eigneten. In Hans Poelzig zog er einen genialen Mitarbeiter heran. So wurde das Große Schauspielhaus nicht nur in architektonischer Hinsicht, sondern auch in Bezug auf alles Technische ein einzigartiger Wunderbau. Indirekte Beleuchtung in Zuschauerraum und Foyers schuf ein warmes Licht, das nicht blendete. Die Pfeiler in den Umgängen glichen Blumen in indischen Tempeln. Die Stalaktiten der Kuppeldecke des Zuschauerraumes unterstützten die Akustik. Das geflüsterte Wort war auf der höchsten Galerie noch hörbar. Reinhardts Traum eines »Theaters der Fünftausend« war erfüllt. (Das Haus fasst in Wirklichkeit 3200 Zuschauer.) Die Kluft zwischen Schauspielern und Publikum war überbrückt. Eine Auferstehung des Theaters der Antike. Mit der Orestie des Aischylos wurde das Haus am 29. November 1919 eingeweiht. In derselben Spielzeit folgten darauf, in ebenfalls glänzenden Besetzungen, Hamlet, Danton von Romain Rolland, König Ödipus und Jedermann.
Mit ungeheuren Kosten, allen Hindernissen zum Trotz, die sich in der chaotischen Nachkriegszeit einem solchen Unterfangen entgegenstellten (Streik, Kohlennot, Lichtmangel), war das Große Schauspielhaus fertiggestellt worden. Die Bedingungen für das Zusammenspiel von Schauspieler und Publikum, der Raum war geschaffen worden. Aber der Kurzsichtigkeit einer Schar von Kritikern, die sich jeder Neuerung eigensinnig verschloss, gelang es über ein Jahr lang, das theaterfremde Nachkriegspublikum zu beeinflussen und fernzuhalten. Nur wenige verständnisvolle, einsichtige, wichtige Schriftsteller traten für Reinhardts ,,Theater der Fünftausend« ein. Zögernd, aber von dem ewigen Zauber echten Theaters doch unwiderstehlich angezogen, folgte dann schließlich doch auch das neue Publikum. Die Suggestion des gedruckten Wortes verblasste neben dramatischem Geschehen, das die Zuschauer in seinen Zauberkreis riss und magisch bannte. Max Reinhardt hatte gehofft, dass eine neue Dichtergeneration der neuen Zeit, die hereingebrochen war, Stimme verleihen würde, dass er dem Drama dieser Jahre des Umschwungs ein Haus geschaffen habe. Aber auch hier erlebte er eine Enttäuschung: das Drama dieser Zeit war blutarm, erstickt in papierener Symbolik und Propaganda. In den Straßen, die zu den Theatern führten, war Revolution. Schauspieler und Zuschauer, die stundenweit zu Fuß gegangen waren, mussten oft zuletzt noch im Kugelregen über die Weidendammer Brücke oder über den Steg laufen. Die Folie der Wirklichkeit war zu stark. Nur echtes Drama hätte dagegen aufkommen können, aber die jungen Dichter versagten. Max Reinhardt hat oft über »die dramatischen Momente der Zeitgeschichte« gesprochen:
… der letzte Zar und seine Familie; der Tod Rasputins. Die Ermordung Lincolns im Theater. Die Abdankung des letzten Sultans. Die Rede Rathenaus. Der Frieden in Versailles. Das Eindringen des Mobs in Versailles, in die Tuilerien. Die Flucht des Königs und der Königin. Gerichtsszenen: Ideal der dramatischen Form (Mary Dugan).
Was damals Europa und die Welt zerriss, war noch zu nahe. Chaos barg Keime einer Saat, die einst grauenhaft aufgehen und Vernichtung bringen sollte. Gestaltung zerschellte an Ungeklärtem, vermochte das Ungeheure nicht zu fassen. Wohl schleppte sich expressionistisches Theater bis in die dreißiger Jahre, aber es war außerstande, sich über die Zeit zu erheben.
Krieg, Nachkriegsnot und Inflation hatten die Existenz der Bühnen untergraben. Nun bedrohte noch eine neue Gefahr das Theater: der Film. Die besten Schauspieler konnten den Lockungen des Films, der hohen Gagen nicht widerstehen. Obwohl Edmund Reinhardt seinem Bruder Direktionssorgen soviel als nur irgend möglich ersparen wollte, war es doch unvermeidlich, dass ihm die Freude an seiner Regiearbeit immer wieder durch Geldnot getrübt wurde, dass ihn die Unzuverlässigkeit der Schauspieler, die der neuen materiellen Anziehungskraft des Films erlagen, kränkte. Schon 1919 hatte Max Reinhardt in Salzburg gesagt:
Man wird so misstrauisch, weil es kaum einen Menschen gibt, der nicht etwas von einem will. Das lässt mich ja auch immer wünschen, alles niederzulegen. Es liegt mir gar nicht, das Schicksal für so und so viele Menschen zu sein. Ich möchte auf der Bühne gutes Theater machen. Mehr nicht. Nun bringt aber der ganze Apparat alles andre mit sich.
Am 9· Oktober 1920 legte er dann die Direktion seiner Theater nieder, behielt aber sich und seinem Bruder die letzte Entscheidung wichtigster Fragen vor. In einer Abschiedsrede an die Schauspieler des Deutschen Theaters erklärte er die Gründe für seinen Rücktritt. Felix Hollaender, sein langjähriger Mitarbeiter, übernahm die Direktion und leitete die Theater bis 1922.
»Orpheus in der Unterwelt«
Das Ende seiner persönlichen Direktionsführung bedeutete für Reinhardt nur den Anfang neuer sorgenvoller Jahre. Was ihn damals und in der folgenden Zeit bewegte, habe ich – seit 1919 in seinen Diensten stehend – bis in viele Einzelheiten miterlebt. Denn meine Arbeit als Privatsekretärin war vielfältig. Da Reinhardt ungern Briefe, nicht einmal an ihm nahestehende Freunde, selbst schrieb, diktierte er den Wortlaut des Briefes, den ich dann in seinem Auftrag schrieb. Sehr häufig konzipierte er – oft auf kleinen Zetteln – Telegramme oder auch Briefe, die ich dann abschreiben und absenden musste. Wenn er im Drang der Probenarbeit gelegentlich trotzdem gezwungen war, an prominente Persönlichkeiten zu besonderen Anlässen zu schreiben oder zu telegrafieren, beauftragte er mich, ihm einige Versionen vorzulegen. Dass er sie unverändert annahm und durch mich absenden ließ, erfüllt mich heute noch mit Stolz. Wenn es sich darum handelte, mit Anwälten oder Behörden zu verhandeln, Eingaben zu machen, überließ er mir die Formulierung. Es gab viele Briefe, die unbeantwortet blieben, weil er nicht dazu kam, Antworten zu konzipieren, die ich weitergeben sollte. Da handelte es sich meistens um Briefe an Menschen, die ihm am nächsten standen, an denen ihm am meisten gelegen war. Das hatte viele Kränkungen zur Folge, da gerade diese Freunde seine Hemmungen nicht ahnten und nicht verstanden. Da er ungern telefonierte, musste ich es oft in seinem Namen tun. Zur Erledigung seiner Korrespondenz kam es meistens in später Nacht, wenn nach Proben, nach einem Empfang in Leopoldskron die letzten Gäste sich entfernt hatten. Dann zog Reinhardt aus