"...vergessen Sie nicht die chinesischen Nachtigallen.". Gusti Adler
dieser Ehrung seine Zustimmung zu geben. Es war in diesem Stück zu vieles, das wilhelminische Verlogenheit geißelte. Im Wiener Burgtheater wurde es 1892 aus Zensurgründen während der Proben abgesetzt.
Direktor Lechner, ein aufrechter, fortschrittlich gesinnter Mann, führte Regie bei seinem Eröffnungsstück Dem jungen Reinhardt hatte er für sein erstes Auftreten in Salzburg die Rolle des Oberfeldherrn Berengar zugeteilt. Es war keine große Rolle, aber die wenigen Szenen, in denen dieser Verschwörer auftrat, waren effektvoll und wichtig. Reinhardt war sich dessen bewusst, dass es nur ein Auftakt war und dass die Spielzeit ihm andere Aufgaben bescheren würde. So ging er an diesem Morgen mit größter Zuversicht und Vorfreude in das neue Haus. Alles spiegelte und glänzte verheißungsvoll. Gold dominierte in den barocken Verzierungen des Zuschauerraumes und Foyers und hob, zusammen mit dem Weiß der Stukkaturen, das festliche Rot der gepolsterten Sitze, der Teppiche und Wandbespannungen. Die Bühneneinrichtung war modern.
Vorbereitungen für die Eröffnungsfeier waren in vollem Gange. Ein Fest-prolog und die Ouvertüre zu Titus von Mozart sollten der Vorstellung vorangehen. Die erste Talisman-Probe war für den nächsten Morgen angesetzt. Reinhardt lernte in seinem Direktor einen ausgesprochenen Kavalier kennen, dem er bis an sein Lebensende ein gutes Andenken bewahrte und von dem er noch nach vielen Jahren immer mit Verehrung sprach.
Als Reinhardt am folgenden Tag aus der Probe kam, schien die Sonne. Über der Salzach drüben lockte der Mönchsberg. Er fuhr mit dem Aufzug hinauf. Zum ersten Mal wurde ihm die ganze Herrlichkeit dieser Landschaft offenbar. Da war tief unter ihm die liebliche Stadt mit den vielen Türmen, mit den südlich flachen Dächern, Nonnberg, Gaisberg, Kapuzinerberg, die Festung, vom Untersberg überragt, die Bergkette zum Hohen Göll hinüber und im feinen Dunst darunter das flache Land. In diesem flachen Land lag ein See, dominiert von einem großen Schloss. Max Reinhardt ahnte damals nicht, dass dieses Schloss ihm einmal gehören, dass er dort zwei Jahrzehnte lang Gäste aus der ganzen Welt empfangen würde und dass der Weltruf der Stadt, auf die er hinabsah, von ihm begründet werden sollte. Und selbst hätte er es gewusst, es hätte ihn nicht glücklicher machen können, als er in diesen Stunden war. Die sanften Mönchsbergwiesen lagen in der warmen Herbstsonne wie ein Teppich vor ihm, Käfer summten, Schmetterlinge ließen sich vom Wind über das Gras tragen, durch die hohen Bäume in den Mulden zog manchmal wie ein Seufzer ein Windeswehen, und sein eigenes Herz schlug im Takt mit dieser herrlich schmetternden Ouvertüre zum Glück der Jugend, das so plötzlich über ihn hereingebrochen war.
Die Eröffnung des Theaters ging glanzvoll vorüber. Reinhardt berichtete darüber in einem Brief, den er zwei Tage nach der Premiere an seinen Onkel nach Wien schrieb:
Lieber Onkel! Heute morgens erhielt ich Dein l. Schreiben und inliegende F 15.–. Meinen herzlichsten Dank für Deine Bemühungen. Das Geld kam mir sehr zu Guten, da ich davon meinen Zins und Frühstück für das laufende Monat voraus bezahlen kann, ohne daß ich mir Vorschuß hiezu zu nehmen brauche.
Ich habe ungemein viel zu thun, da ich diese Woche noch zwei große neue Rollen zu spielen habe. Ich werde sogar einen Theil der Nacht opfern müssen, um alles bewältigen zu können. Die erste Vorstellung ist glücklich vorüber. Trotzdem ich in derselben keine hervorragende Rolle spielte, bin ich doch in den hiesigen Blättern lobend erwähnt. Nun habe ich täglich von 9 - 12 – ein oder zwei Proben und nur die wenigen Nachmittagsstunden zum Lernen. Direction und Regie sind mit meinem Können zufrieden. Beweis dessen bekam ich schon mehrere große Rollen zugetheilt. Sobald ich größere Recensionen bekomme, werde ich sie Dir, lieber Onkel, einsenden. Von Deinem l. Bruder habe ich noch nichts bekommen. Glücklicherweise habe ich die Sachen bis dato noch nicht gebraucht, da ich in dem morgigen Lustspiel nicht beschäftigt bin. Sonst wäre ich schon in großer Verlegenheit gewesen.
Sobald ich wieder ein bißchen aufathmen kann, werde ich den Herren Böhm und Wengraf brieflich meinen Dank sagen und letzterem wenn es mir nur halbwegs möglich ist die F 20.– retournieren. Momentan habe ich so viel zu thun, daß ich kaum dazu komme, meinen Eltern zu schreiben.
Indem ich Dir nochmals für alles was Du für mich gethan hast vielmals danke, grüße ich Dich sowie Tante Lollo herzliehst und verbleibe Euer dankbarer Neffe
Max
Es sollte noch einige Zeit dauern, ehe Reinhardt aller Geldsorgen ledig war. Er sah sich gezwungen, seinen Onkel abermals um Hilfe zu bitten.
3. 11. 1893
Lieber Onkel!
Einige freie Minuten meiner äußerst karg bemessenen Zeit benütze ich, um Dir l. Onkel zu schreiben. Ich habe ungemein viel zu thun. Gegenwärtig gastiert hier Friedrich Mitterwurzer in Wallensteins Tod, Hüttenbesitzer und Raub der Sabinerinnen. Ich spielte die entsprechenden Characterrollen mit schönem Erfolge. Ich habe überhaupt schon einige schöne Erfolge zu verzeichnen und sandte auch einige Recensionen meinen l. Eltern, die sie Dir doch gewiß gezeigt haben, da ich sie darum bat.
Deinem l. Bruder sende ich von der ersten Monatsgage F 5.–. Ich habe mir dieses Monat sehr viel anzuschaffen. So mußte ich mir allein an Fußbekleidungen schon für die erste Comödie griechische Sandalen zu F 4. – für Stuart Sammtschuhe F 3.50 für modernes Lust- und Schauspiel Lackschuhe für F 7.50 u. Lackstulpen F 2.50 anschaffen. Für Wallensteins Tod hätte ich gelbe Ritterstiefel gebraucht, die mindestens F 12. – gekostet hätten.
Glücklicherweise gelang es mir ein Paar auszuborgen, indem ich unserem Garderobier ein entspr. Douceur gab. Wenn man eben wie ich jeder Ausstattung bar ist, so ist das begreiflicherweise eine schwere Wirtschaft.
Fast zu jedem Stücke brauche ich diverse Gegenstände, die ich mir eben successive anschaffen muß. Daß ich Frack und Salonrock habe, ist ein unschätzbares Glück. Glücklicherweise hatte ich dieses Monat ziemlich oft, auch manchmal durch die besondere Protection des Directors, in den Operetten kleine Sprechpartien zu spielen, so daß ich mir immerhin viele Honorare verdiente, so daß ich mir alles Nothwendige anschaffen konnte u. was die Hauptsache ist, gleich bezahlen konnte, so daß ich keinen Kreuzer schuldig bin. Im Gasthaus bezahle ich ebenfalls täglich u. sofort.
Wenn ich mir nicht zu viel Neues mehr anschaffen muß, könnte ich wohl später mehr als F 5. – pro Monat entbehren, da ich sehr sparsam u. zurückgezogen lebe. Aber ich mußte eben zum Mindesten was moderne Garderobe anbelangt vollständig versehen sein. Denn mit Frackanzug u. Salonrock allein kann ich unmöglich die ganze Saison auskommen. Eins zwei moderne Anzüge brauche ich dringendst, vor allem aber einen Winterrock. Wenn mir nun Dein l. Bruder das nicht verschaffen kann, müßte ich mich notgedrungen noch anderweitig engagieren, was allerdings auf meine Finanzen nichts weniger als vorteilhaft wirken würde. Der Winter soll hier sehr strenge sein, und er steht vor der Thüre. Wenn Du, l. Onkel, mit Deinem Bruder Rücksprache nehmen wolltest u. mir baldigst darüber berichten würdest, wäre ich Dir sehr dankbar dafür. Sonst – insbesondere in künstlerischer Beziehung habe ich allen Anlaß zufrieden zu sein. Ich bekomme auch große und schöne Rollen, die sonst einem Anfänger nicht anvertraut werden. So spiele ich Sonntag den alten Miller, Dienstag den Wurzelsepp im Pfarrer von Kirchfeld (eine schöne aber ungemein schwierige Rolle, der ich jedenfalls wieder Nächte opfern werde müssen, da die Zeit kurz ist und ich ja all diese Rollen ganz neu studieren muß). Und Freitag spiele ich zur Schillerfeier den Attinghausen im Tell. Für den Wurzelsepp brauche ich schon beispielsweise wieder Einiges. Derbe Bergstiefel, Wadenstutzen, Bauernhemd u. Bergstrümpfe. So kommt eben eine Auslage nach der andern, was in der ersten Zeit eben nicht zu vermeiden ist.
In zwei Wiener Blättern Fremdenblatt & Tagblatt standen auch schon zwei Notizen über meine hiesigen Erfolge. Hast Du sie vielleicht gelesen? Die Direction ist sehr zufrieden mit mir. Schon meine Beschäftigung spricht dafür. Auch seitens des Publikums und der hiesigen Presse, die z.B. schon zwei meiner Collegen bis jetzt unmöglich gemacht, erfreue ich mich der beifälligsten Aufnahme. Gott schenke mir auch weiterhin Glück.
Die Sendung der Leibchen Hosen Taschent. etc. habe ich erhalten u. danke Dir vielmals. Es sind sehr schöne u. praktische Sachen, die mir vortrefflich zu Statten kommen.
Für heute lebe wohl und grüße mir herzlichst Tante Lolli.
Dein dankbarer Neffe Max
Verzeihe