"...vergessen Sie nicht die chinesischen Nachtigallen.". Gusti Adler


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von Wien, Budapest, Dresden, Amsterdam und andere große Städte geführt, aber es drängte ihn, auch Pariser Theater, vor allem die Comédie Française, zu sehen. In Paris arbeitete er dann gemeinsam mit Edmund an den Plänen. Das Ergebnis war eine 20 Meter tiefe und breite Bühne und eine Drehbühne mit einem Durchmesser von 18 Metern. Der Schnürboden sollte durch eine Himmelskuppel ersetzt werden. Darüber schrieb Reinhardt in einem Brief am 28. Juli 1905:

      Ich persönlich strebe, wie Du weißt, seit jeher durchaus dahin, womöglich alles plastisch zu machen und den Schnürboden vollständig außer Gebrauch zu lassen. Was von da oben kommt, ist meistens faul. Es sind zu allererst jene blauen Fußlappen des lieben Gottes, dann alle flatternden Städte, Berge und Burgen, gemalte Baumkronen und schrecklich ewig weiße, ewig schmutzige, durchlöcherte Plafonds. – Meine schrecklichsten Erinnerungen noch vom Kl. Theater hängen mit dem Schnürboden zusammen. Da lauern tausend Gefahren. Also weg, weg, weg damit. Es macht den Wert der Drehbühne illusorisch. Eine große Drehbühne, auf der womöglich das ganze Stück vorher sorgsam und sicher plastisch aufgestellt ist, mit Plafonds (plastischen dann natürlich), mit Baumkronen auf den Bäumen und einer Himmelskuppel darüber. Das ist mein Ideal, das wenigstens, was mir unter den gegebenen Verhältnissen als zunächst erreichbar erscheint. Aber – Himmelskuppel – da sind wir bei der Sache: wir haben etwas so Berauschendes in Paris gesehen, dass mich der Gedanke daran nicht loslässt. – Wir müssen da selbst was erfinden.

      In Gustav Knina hatte Reinhardt einen Helfer, der seinen Plänen zur Verwirklichung verhalf. Alle Neuerungen, die Reinhardt als erster im Deutschen Theater schlagartig einführte, wurden dann innerhalb kurzer Zeit Gemeingut der übrigen Theater und überall nachgeahmt.

      Das Käthchen von Heilbronn war das Eröffnungsstück. Eine wundervolle Aufführung, die sich aber, trotz Höflich, nicht als zugkräftig erwies. Kurz darauf kam der Kaufmann von Venedig mit Rudolf Schildkraut, Agnes Sorma und Alexander Moissi. Reinhardts zweite große Shakespeare-Inszenierung, deren Erfolg dem Sommernachtstraum nicht nachstand. Schildkraut und Sorma feierten Triumphe, während Moissi als Solanio auch noch in dieser Aufführung von der Kritik unbarmherzig angegriffen wurde. Aber Reinhardts Glaube an Moissis Fähigkeiten war nicht zu erschüttern. Immer wieder stellte er ihn in wichtigen Rollen auf die Bühne, ließ sich durch den italienischen Akzent nicht abschrecken und kämpfte für ihn, bis er ihn durchgesetzt hatte.

      Die letzte Vorstellung im Kleinen Theater unter der Direktion Reinhardt fand am 31. August 1905 statt. Das Nachtasyl war dort fünfhundertmal gegeben worden. Viktor Barnowsky übernahm das Theater und behielt es bis 1911.

      Bei dem Neuen Theater dauerte es längere Zeit, ehe sich ein Nachfolger für Reinhardt fand. So behielt er es bis zum 30. Juni 1906. Der Sommernachtstraum wurde über zweihundertmal gegeben. Zu Shaws Candida kam schließlich noch dessen Cäsar und Cleopatra. Als Abschluss: Offenbachs Orpheus in der Unterwelt, ein Werk, das Reinhardt im Laufe seines Lebens auch immer wieder und mit großer Freude inszenieren sollte.

      Reinhardt hing mit großer Liebe an seiner Familie. Als ersten hatte er seinen Bruder Edmund, der ihm am nächsten stand, nach Berlin geholt. Sobald sich dann seine Existenz halbwegs gefestigt hatte, ließ er seine Eltern und die übrigen Geschwister nachkommen. Damals wohnte er in dem großen Wesendonckschen Palais, In den Zelten 21. Ein geräumiges Haus, in dessen Parterreräumen sogar die Schauspielschule, die er unmittelbar nach Übernahme des Deutschen Theaters gegründet hatte, untergebracht werden konnte. Er, der am liebsten mit jungen Menschen arbeitete, war sich der Bedeutung einer Schule für den schauspielerischen Nachwuchs bewusst. So zog er die besten Lehrkräfte und Schauspieler zur Mitarbeit heran.

      Als er das Wesendonck-Palais räumen musste, verlegte er die Schauspielschule in das Haus der Kammerspiele, wo sie für die Dauer ihres Bestandes blieb. Die Nähe der beiden Theater, des Deutschen Theaters und der Kammerspiele, erwies sich für Schüler und Lehrer als überaus vorteilhaft.

      Reinhardt musste sich gleichzeitig nach einer Wohnung umsehen. Durch einen Glücksfall erfuhr er von dem Knobelsdorffschen Palais am Kupfergraben. Als die Witwe des vorherigen Besitzers, Geheimrat Magnus, starb, munkelte man, dass es vom Fiskus übernommen und nach Fertigstellung der neuen Messel-Bauten am gegenüberliegenden Ufer der Spree abgerissen werden solle.

      Reinhardt schloss einen langjährigen Mietvertrag. Dadurch blieb das wertvolle Baudenkmal aus der Zeit Friedrichs des Großen erhalten. Ein zweistöckiges Haus, im Knobelsdorffschen Stil. Es wurde von Reinhardt mit Liebe und Verständnis eingerichtet.

      Vom Kupfergraben gelangte man durch einen kleinen Flur in das prächtige, ganz in Weiß gehaltene Treppenhaus mit seinem schönen schmiedeeisernen Rokokogeländer. Reinhardt hat viele Jahre später seinem ältesten Sohn eine Empire-Standuhr aus dem Kupfergraben geschenkt und ihm darüber geschrieben:

      Diese Uhr stand auf der zauberhaft heiteren Treppe Deines Geburtshauses am Kupfergraben. Es gibt viele prunkvollere Treppen, aber dieses ist die schönste, bequemste, behaglichste, lustigste Gelegenheit irgendwo hinaufzusteigen von allen, die mir in der Welt unter die Füße gekommen sind. Das Licht, das tagtäglich durch die alten breiten Fenster die Stufen hinaufstieg, kann ich nie mehr in meinem Leben vergessen. Aber ich will mich nicht in den Treppenwitz Jessnerscher Weltanschauung versteigen, die das nur scheinbar spöttische Berlin eine Zeitlang ernst genommen hat, ebenso wie es den Köpenicker und später den Braunauer leider tragisch ernst genommen hat.

      Dieses Licht aber hat das einzig bestrickende deutsche Lachen der Minna von Barnhelm. Diese Uhr hat das Licht täglich um eine bestimmte Minute erwartet und wurde selten enttäuscht, es hat die Sekunden gezählt, bis es kam, und dann lustig feierlich die Glocken geschlagen.

      Diese Uhr hat geschlagen, als Du geboren wurdest, als Du zum ersten Mal in der Wiege in den Garten getragen und dort hin und her gerollt wurdest. Es hat Deine schon damals knarrende Stimme raunzen und Dich später lachen gehört. Sie hat Deine ersten Schritte hinunter und hinauf begleitet und die einzigen glücklichen Male Deiner Schulzeit, das erste und das letzte Mal. Sie hat viele berühmte und unberühmte und sogar unrühmliche Menschen an sich vorbeischreiten sehen, hat in der Revolution schießen hören, aber immer beruhigend ernst Tag und Nacht geschlagen. Sie hat Deinen Großvater und Deine Großmutter in Sorgen, in der Sterbestunde begleitet, und sie hat geschlagen, als Du mit Koffern auszogest, um nach Amerika zu gehen.

      Das Innere des Hauses war geräumig. Außer Reinhardt und seiner Familie wohnten seine Eltern und Edmund Reinhardt dort.

      Der Garten – eine große Seltenheit inmitten Berlins – hatte Fliederbüsche, einen stattlichen Nussbaum und sogar einen alten Weinstock, der neben der Treppe emporrankte. Auf diesen Garten sahen die Schlafzimmer – eine Oase der Stille. Reinhardt brauchte diese Ruhe – bei der intensiven Probenarbeit, bei der Arbeit der Nächte. Die Freude an diesem Haus war ein Vorfühlen des Entzückens, das ihm Leopoldskron, viele Jahre später, bereiten sollte. Bei festlichen Anlässen benützte er den neunfenstrigen Saal im Erdgeschoss. Wandmalereien schmückten seine Wände, und ein mächtiger Marmorkamin gab ihm ein fast feierliches Gepräge. Reinhardts wachsender Ruhm, seine starke Persönlichkeit zog mit magnetischer Kraft alle Kreise der Berliner Gesellschaft in seinen Bann. Dichter, deren Werke er inszeniert hatte – Richard Beer-Hofmann, der junge Hugo von Hofmannsthal, Hermann Bahr, Frank Wedekind und seine Frau –, Maler, die er zur Bühnengestaltung herangezogen hatte, Musiker: Engelbert Humperdinck, Hans Pfitzner und Richard Strauss, der ihm später, nachdem er den Rosenkavalier zur erfolgreichen Uraufführung gebracht hatte, seine Ariadne auf Naxos widmete. Staatsmänner, Maximilian Harden, Rathenau, prominente Vertreter der Berliner Presse, seine Geldgeber Huck, Hardy, Bankleute, die von der Theater­atmos­phäre angezogen wurden wie Schmetterlinge von einem strahlenden Licht. Es war Reinhardts Kunst, seine große Menschenkenntnis, die es ihm möglich machte, heterogenste Elemente um sich zu versammeln und ein Symposium von seltenem Einklang zustande zu bringen.

      Trotzdem: so groß seine Freude an der Inszenierung eines solchen Festabends in seinem Hause war, er selbst ging doch am liebsten nach einer Premiere mit einem kleineren Kreis von Mitarbeitern und Freunden in das alte Restaurant Borchardt in der Französischen Straße oder zu Pelzer. Dort löste sich die Spannung wochenlanger nervenzermürbender Arbeit. Die Nacht glitt in die Morgenstunden. Schloss das eine Lokal, so pilgerte man in ein Kaffeehaus


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