Reine Nervensache. Martin Arz

Reine Nervensache - Martin Arz


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ein kleines Haus auf, hinter dem ein zarter Nebelschleier vorbeizog. Ein mannshoher Maschendrahtzaun umgab das Grundstück. Dunkle Kiefern drängten dicht an die Umzäunung heran.

      »Dauert nur ein paar Minuten«, sagte Kapuzenjo. »Bin gleich wieder da.« Er öffnete die Beifahrertür und sprang hinaus. Er ließ die Tür offen stehen und lief leichtfüßig in die Dunkelheit. Schwül-heiße Luft strömte in den Van. Das letzte Gewitter hatte nur Feuchtigkeit, aber keine Abkühlung gebracht.

      »Na, klasse!«, konstatierte Frank und verschränkte die Arme vor der Brust. »Der Typ hat wohl die Vollmeise. Und jetzt?«

      »Wie und jetzt?«, fragte Benni und beugte sich über den Beifahrersitz, um die Tür zu schließen. Die Klimaanlage des Vans arbeitete nur dann gut, wenn keine Außenluft einströmte. »Nix und jetzt. Wir warten, bis der Typ wieder zurückkommt. Oh, er hat übrigens seine kostbare Reisetasche hier stehen gelassen.« Benni deutete auf das Gepäckstück, das auf dem Beifahrersitz stand.

      »Da ist irgendwas auf das Armaturenbrett getropft«, sagte Nathalie leise. »Vorhin, als er auf das Haus gedeutet hat.«

      Benni musterte das Armaturenbrett und fand einen dunklen Fleck. Vorsichtig stippte er mit dem Zeigefinger hinein und untersuchte den Finger im fahlen Licht der Wageninnenbeleuchtung. »Hmmm, zu dunkel für Wasser, würde ich meinen. Irgendein Saft oder Ketchup oder so.«

      »Oder Blut«, entwich es Nathalie.

      »Bist du schon wieder bei deinen Splatterphantasien?« Frank zog amüsiert die Augenbrauen hoch.

      »Ach, vergiss es.« Nathalie winkte ab und sah in die Nacht hinaus. Ihr Magen rebellierte wie so oft, wenn sie Stress hatte oder etwas in der Luft lag, doch sie beschloss, sich keine Sorgen zu machen. Sie warteten schweigend. Die Minuten zogen langsam dahin, zäh und klebrig wie Sirup. Das Haus lag nach einer Viertelstunde immer noch im Dunkeln. Kein Licht, keine Anzeichen, dass jemand dort etwas abholte, geschweige denn eben hineingegangen war. Um sich nicht wieder in ein Axtmörderambiente hineinzusteigern, dachte Nathalie in die entgegengesetzte Richtung. Sie wies die Jungs darauf hin, dass dieser Jo das Haus offenbar gar nicht betreten hatte und fügte hinzu: »Der müsste doch längst zurück sein, oder? Da läuft irgendeine Verarsche. Dunkles Haus im Wald, gruseliger Tramper, die vergessene Tasche, das Blut oder was immer das sein soll auf dem Armaturenbrett – da verarscht uns einer. Ist hier irgendwo ’ne versteckte Kamera?« Sie sah sich suchend im Auto um.

      »Wer soll uns denn verarschen?«, fragte Benni. »Quatsch. Der Typ ist vielleicht ausgerutscht auf dem feuchten Boden und liegt jetzt da draußen mit gebrochenem Genick oder so.«

      »Gut, dann schauen wir nach«, sagte Nathalie und stieg aus dem Wagen. »Frankie, du kommst mit und Benni bleibt im Wagen, falls …«

      »Falls was?«, fragte Frank provozierend.

      »Nix.«

      »Du meinst, falls es doch eine Falle sein sollte. Dann kann er wenigstens nicht alle von uns auf einen Schlag erwischen, oder?« Frank verdrehte die Augen und tippte sich an die Stirn.

      »Penner! Kommst du nun mit?«

      »Ich muss eh im Wagen bleiben, weil ich der einzige von uns bin, der einen Führerschein hat, logo, oder?«, sagte Benni. »Und wartet, mein Onkel hat immer Taschenlampen im Wagen. Für alle Fälle.« Er wühlte im Handschuhfach und holte zwei große Mag-Lites heraus. »Hier. Damit kann man im Zweifelsfall auch psychopathischen Mördern eins über die Birne ziehen.« Die beiden Jungs lachten. Es klang angestrengt.

      Nathalie schnappte sich eine der Taschenlampen, strich sich den khakifarbenen Minirock zurecht und ging los Richtung Haus. Das Gartentor war nur angelehnt. Das Mädchen ließ den Lichtkegel ihrer Mag-Lite über die Hausfassade tanzen. Das Gebäude machte einen leicht heruntergekommenen Eindruck. Die Fassade schien schmutzig braun und von den geschlossenen Fensterläden löste sich in großen Flächen die alte grüne Farbe. Ein zweiter Lichtkegel gesellte sich zu ihrem. Frank hatte zu ihr aufgeschlossen. Gemeinsam betraten sie den Garten, den sie bei Sonnenlicht sicherlich als romantisch-verwildert bezeichnet hätten. Nun im Dunkeln schien er ihnen düster-verwahrlost.

      »Hallo!«, rief Frank. »Hallo, Jo. Bist du da irgendwo?« Keine Antwort. »Falls du ausgerutscht bist und dir das Genick gebrochen hast, lass es uns wissen!«

      »Sehr witzig«, meinte Nathalie. »Hier liegt jedenfalls niemand. Vielleicht sollten wir mal um das Haus herumgehen.« Sie stapften durch das nasse Gras, beleuchteten abwechselnd die Fassade des Hauses und die dunklen Kiefern hinter dem Garten mit den Taschenlampen. Keine Spur von Jo oder sonstwem. Als sie das Haus umrundet hatten, warf Nathalie einen kurzen Blick zurück zum Auto an der Straße. Benni hatte die Innenbeleuchtung angelassen und saß relaxt hinterm Steuer. Als hätte er ihren Blick bemerkt, winkte er kurz.

      »Lass uns mal schauen, ob jemand zu Hause ist«, sagte Frank und schritt zur Eingangstür. Er rüttelte dramatisch am Knauf und drehte sich mit weit aufgerissenen Augen zu Nathalie um. »Hey, das gibts nicht!«

      »Was?« Nathalie war sofort von seiner Erregung erfasst. »Ich wusste es doch, die Tür ist offen, oder?«

      »Äh …« Frank entspannte seine Gesichtszüge und löste seine Hand von dem Knauf. »Nein, abgesperrt.«

      »Depp«, rief Nathalie, wütend über sich selbst, dass sie auf Franks Spiel hereingefallen war. »Hinterm Haus war doch noch eine Tür, da können wir es ja auch noch versuchen.«

      Sie gingen zur Hintertür, die offenbar von der Küche zu einer kleinen Terrasse führte. Auch hier rüttelte Frank dramatisch am Knauf, doch er konnte sein Spielchen nicht durchziehen. Denn wie erwartet und gleichzeitig befürchtet, ließ sich die Türe öffnen. Der Junge stand einige Sekunden unschlüssig vor dem Dunkel, das im Inneren des Hauses lauerte.

      »Jetzt reicht es echt!« Nathalie trat neben Frank und packte seinen Oberarm. Frank lebte praktisch im Sportstudio, sofern es die Abiturvorbereitungen erlaubten. Zwar behauptete er immer, er trainiere so viel, weil die Mädels drauf stehen würden, doch in Wahrheit stand vor allem sein Ego auf einen durchtrainierten Körper. Seine harten Muskeln zu fühlen gab Nathalie zusätzliches Selbstvertrauen. »Hier läuft was ganz Schräges.«

      Nathalie erinnerte sich an die zahllosen Horrorfilme, die sie gesehen hatte. Da gab es immer, selbst in den besser gemachten, eine klassische Sequenz, in der einer der jung-dynamischen, attraktiven Hauptdarsteller, meist die knackige Blondine, aus welchen Gründen auch immer ein gruseliges Gemäuer, alternativ dazu einen finsteren Keller, betreten musste. Ebenso üblicher- wie unlogischerweise stolperte die Blondine sinnlos »Hallo, hallo«-rufend in die Dunkelheit hinein, geradewegs dem Psychopathen mit der Kettensäge in die Arme, statt als allererstes einen Lichtschalter zu suchen, um die Lage besser überblicken und dem Killer vielleicht entkommen zu können. Nathalie tastete an der Wand entlang, fand schnell den Schalter und machte Licht. Die beiden Jugendlichen betraten zögernden Schrittes langsam das Haus.

      »Hör zu«, sagte Nathalie bestimmt, »wir gehen schnell in jeden Raum und machen alle Lichter an, die wir finden. Alle! Erst dann schauen wir uns um.«

      Frank hatte nichts dagegen. Schnell durchschritten sie die Küche, den engen Flur, das kleinen Wohnzimmer, das Schlafzimmer, ebenso Bad oder Toilette. Obwohl sie ihr Augenmerk auf Lichtschalter gerichtet hatten, war den beiden gleich aufgefallen, dass Jo oder wer immer hier wohnte, kein gutes Händchen für Inneneinrichtung hatte und vor allem öfter lüften sollte. Als sie sich genauer umsahen, entdeckten sie ein Chaos an zusammengewürfelten Sesseln mit speckigen Bezügen und Stühlen unterschiedlicher Epochen im Wohnzimmer, dem Wust aus Kissen, Kleidung, Decken und Undefinierbarem in allen Schlafzimmerecken, die fein säuberlich zusammengeschnürten Stapel von Zeitungen entlang der Badezimmerwände, die Pyramide aus milchigen Einmachgläsern, in denen Undefinierbares schwamm, in der Mitte der Küche, die grässlichen unmodernen Tapeten, die sich an zahllosen Stellen von den Wänden lösten, die Schimmelflecken in der Toilette, die von oben bis unten mit kitschigen Marienbildchen tapeziert war. Im Flur hingen an der einen Wand große Schwarzweißfotos von Unfallopfern, Großaufnahmen von entstellten, zerfleischten, malträtierten Gesichtern, die gegenüberliegende Wand war mit unzähligen Gekreuzigten übersät, Hunderte


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