Die wilde Reise des unfreien Hans S.. Martin Arz

Die wilde Reise des unfreien Hans S. - Martin Arz


Скачать книгу
ein Prackl?«, fragte Yorick.

      »Ein Mordstrumm Kerl. Ein Prackl eben.«

      Die Wachen bedeutenden den Jungen, sich aufzustellen. Der Edelmann schritt durch den Raum, ein parfümiertes weißes Tuch vor der Nase wedelnd, ließ seinen musternden Blick auf manchen Burschen länger liegen als auf anderen. Manche mussten sich ausziehen und vor ihm drehen. Wie auf dem Viehmarkt. Yorick wurde fast unwohl, so lange prüfte ihn der Edelmann. Dann verließ der Herr samt Gefolge die Zelle.

      »Was sollte das jetzt?«, fragte Yorick. Keiner wusste eine Antwort.

      »Das ist noch nicht vorbei«, zischte Don Juan zu Yorick in Anspielung auf ihre unterbrochene Auseinandersetzung. Hans wunderte sich erst, dass er nun plötzlich Spanisch verstand, dann begriff er, dass Don Juan Türkisch gesprochen hatte. Man hatte eine gemeinsame Sprache.

      Tage später versuchte Don Juan, Hans und Yorick zu provozieren, indem er Max am Genick packte und den Kopf in einen Urineimer steckte. Herausfordernd sah er zu Hans und Yorick herüber. Max ließ alles wie üblich katatonisch über sich ergehen. Zunächst. Hans und Yorick stürzten herbei. Die anderen Deutschen und Flamen rotteten sich solidarisch hinter den beiden zusammen. Einer von Don Juans Burschen trat ohne Vorwarnung nach Hans’ linkem Oberschenkel, gezielt auf die Verletzung. Hans knickte weg, die fast verheilte Wunde platzte wieder auf. Yorick ballte die Fäuste und wollte sich auf den Angreifer stürzen, da geschah etwas Unerwartetes. Don Juan schrie plötzlich hysterisch vor Schmerzen auf. Max, der nun seinen Kopf aus dem Eimer zog, hatte blitzschnell mit der rechten Hand unter Don Juans weißes Kuttenhemd gefasst und hielt die Genitalien des Gegners fest umklammert. Don Juan wand sich wimmernd und die Heilige Jungfrau Maria anrufend, was Max nur antrieb, noch erbarmungsloser zuzudrücken. Urin tropfte von seine Haaren und rann über das Gesicht, das keinerlei Gefühlsregung zu erkennen gab. Max behielt seinen Griff bei, zog Don Juan mit der freien Hand an den Haaren hoch und tunkte seinen Kopf in einen Koteimer. Don Juans Schreie erstickten zu einem Gurgeln. Dann ließ Max urplötzlich los, stand auf und setzte sich, als wäre nichts gewesen, an seinen Stammplatz, den Oberkörper leicht nach vorne und hinten wiegend. Don Juan, spuckend und keuchend, wischte sein Gesicht am Hemd eines seiner Speichellecker ab und stieß brutale Flüche aus. Fortan hatten Hans, Yorick und Max Ruhe. Nur die Wunde am linken Oberschenkel musste erneut versorgt werden. Hans konnte Max dazu bewegen, seinen alten Stammplatz aufzugeben, und sich zu ihm und Yorick zu legen. Er hatte mit Schwierigkeiten gerechnet, doch es war ganz einfach. Max folgte ihm wie ein Hündchen.

      Eines Tages erschien ein Trupp schwer Bewaffneter und befahl allen Gefangenen, ihnen sofort zu folgen. Man führte sie aus dem Turm. Nach Wochen im Halbdunkel der Zellen brannte die Sonne in den Augen. Geblendet stolperten die Gefangenen an die nahen Klippen des Meeres. Dort mussten sie sich entlang der Felsen aufstellen und zum Meer hinausblicken. In der Ferne tauchten einige Schiffe auf und kamen schnell näher. Zu seinem Erstaunen bemerkte Hans, dass nicht nur die einfachen Gefangenen angetreten waren, sondern auch die Edelmänner. Coucy, Bar, d’Eu, Tremoille, Marschall Boucicaut, Johann Ohnefurcht und wie sie alle hießen.

      Ein irrer Gedanke durchzuckte Hans. Wenn er jetzt die Klippen hinunterspringen würde … zu den Schiffen schwimmen … Flucht … Er war nicht der Einzige, der daran dachte. Zwei Burschen hechteten los und ließen sich vom Felsen fallen. Noch bevor sie das Wasser erreichten, waren sie von türkischen Pfeilen durchbohrt. Hans begrub den Gedanken an Flucht tief in seinem Innersten.

      Ein Trompetensignal. Dann waren die Schiffe so nah, dass man erkennen konnte, dass sie unter venezianischer Flagge segelten – und wer da stand: König Sigismund und andere, denen die Flucht gelungen war.

      Weil Sigismund schwer getroffen von der Fahnenflucht der Walachen war, hatte er beschlossen, den Heimweg nicht über Land anzutreten. Er fürchtete, Mircea der Alte könnte ihm in den Rücken fallen und ihn an die Türken verraten. So war er mit den Venezianern die Donau hinuntergefahren und hatte sich einige Zeit in Konstantinopel ausgeruht, bevor er auf dem Seeweg nach Italien aufbrach. Bei der Durchquerung des Hellesponts starrte er mit unbeweglicher Miene auf die Reihen der Gefangenen, alles Männer, die für ihn gekämpft hatten. Man hatte sie zu seiner Demütigung aufgestellt. Die Türken hatten keine Flotte vor Ort, schickten aber ein paar Schiffe hinaus, mit denen es zu kleinen Scharmützeln kam. Nichts, was den venezianischen Schiffen wirklich gefährlich werden könnte.

      Die Türken begannen, Spottlieder zu singen. Sie schrien dem König zu, er solle anlegen und von Bord kommen, wenn er ein Mann sei. Ein Hauptmann lief an den christlichen Edelmännern vorbei. Bei jedem blieb er stehen, brüllte dessen Namen und dann eine Lösegeldsumme. Er pries die Prinzen, Grafen und Herzöge wie Sklaven auf einem Markt an. Johlendes Gelächter und Applaus der türkischen Soldaten begleiteten das Schauspiel. Selbst als die Schiffe nur noch kleine Punkte am Horizont waren, klatschten und sangen die Türken.

      Während Johannes Schiltberger in Gallipoli im Turm saß, zog Bayezid mit seinen Truppen nach Ungarn, überquerte die Save und verwüstete einige Herzogtümer, ließ Städte niederbrennen und nahm über sechzehntausend Gefangene, Männer, Frauen und Kinder, die er mit Sack und Pack nach Griechenland umsiedeln ließ. Per Boten ließ er seinen Statthalter in Gallipoli wissen, dass die Gefangenen auf dem Seeweg in die Reichshauptstadt Bursa zu bringen seien.

      So fuhr Hans Schiltberger das erste Mal mit einem Schiff übers Meer, besser gesagt, klammerte er sich die ganze Fahrt über verzweifelt mit seinen Innereien ringend und den heiligen Johannes um Gnade anflehend unter Deck an einem Tau fest. Um seinen Hals baumelte ein neuer Glücksbringer: Cem hatte ihm zum Abschied unauffällig ein kleines Stoffsäckchen an einer langen Schnur in die Hand gedrückt, darin befand sich die Pfeilspitze aus der Schulter.

      In Bursa brachte man die Edelleute in den Palast des Sultans und befahl ihnen, Briefe an ihre Familien zu schreiben und die jeweiligen Lösegeldsummen zu fordern. Jacques de Helly wurde ausgewählt, die Schreiben nach Paris an den französischen Königshof zu bringen. Schon von Konstantinopel aus hatte König Sigismund auf diplomatischem Weg versucht, die Gefangenen auszulösen. Boten waren hin und her geeilt. Doch Bayezid hatte alle Angebote als viel zu niedrig abgelehnt. An Weihnachten brach Helly auf. Hans und die einfachen Gefangenen, die man in Kasernen untergebracht hatte, bekamen davon nur über Gerüchte etwas mit. Es kümmerte sie auch kaum, denn sie würde niemand freikaufen. Tatsächlich war es so, wie sich viel später herumsprach, dass alle Lösegeldforderungen erfüllt wurden und die hohen Herren in ihre Schlösser und Burgen zurückkehren konnten. Mal abgesehen vom Grafen d’Eu, den man neun Tage vor seiner Freilassung im Gefängnis vergiftete, und Zar Iwan Sratsimir von Bulgarien, den Bayezid erdrosseln ließ, um dessen Sohn Constantin zum Marionetten-Zar zu ernennen.

      Sigismund aus dem Hause Luxemburg, geboren in Nürnberg, König von Ungarn und Kroatien, brachte die Niederlage bei Nikopolis übrigens keinerlei Nachteile, im Gegenteil. 1411 wählten ihn die Kurfürsten zum neuen römischdeutschen König, und 1433 setzte ihm der Papst in Rom gar die Kaiserkrone des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nationen auf.

      4 Janitscharen

      Hans und Yorick hatten es sich angewöhnt, Max immer in ihre Mitte zu nehmen. Der Sendlinger schwieg weiterhin, reagierte auf nichts und zeigte keinerlei Gefühlsregung, machte aber alles, was man ihm sagte. Hans’ aufgeplatzte Wunde am linken Bein heilte diesmal langsamer. Sie eiterte und schmerzte. Zwar gab es auch in Bursa eine gute medizinische Betreuung der Gefangenen, doch der zuständige Pfleger, der eine herzhafte Gleichgültigkeit seinen Patienten gegenüber an den Tag legte, zuckte mit den Schultern und verwies auf die allgemeine Erkenntnis, dass die Zeit alle Wunden heilen würde.

      Noch einmal kehrte größere Unruhe unter den jungen Gefangenen ein, als sie sich zu einem Appell in den großen Hof sammeln mussten. Der Sultan persönlich erschien mit großem Gefolge. Darunter erkannte Hans auch den massigen Edelmann, den Prackl, der sie in Gallipoli gemustert hatte. Bayezid schritt durch die Reihen. Gelegentlich neigte er den Kopf seinen Beratern zu, die ihm etwas zuflüsterten. Er deutete auf diesen und jenen und ließ neue Gruppen zusammenstellen. Mittlerweile konnten alle gut genug Türkisch, um den General zu verstehen, der sie nun Folgendes wissen ließ: Der große Bayezid, den man den Blitz nannte, Herrscher des Morgenlandes und bald auch des Abendlandes, habe soeben höchstpersönlich Geschenke für treue Vasallen und befreundete Herrscher ausgesucht. Eine


Скачать книгу