Klassenführung. Willy Obrist
Wer gut vorbereitet ist, kann dem Unterrichtsgeschehen ruhig und gelassen entgegensehen, kann nötigenfalls von seinem Plan abweichen und ist offen für das aktuelle Unterrichtsgeschehen in der Klasse.
Sie treffen mindestens eine Viertelstunde vor der Klasse im Unterrichtsraum ein. Zuweilen ergibt sich in der Zeit vor Unterrichtsbeginn Gelegenheit zu einem kurzen Gespräch zwischen Lernenden und Lehrperson. Solche Gespräche haben oft nicht nur den Schulstoff zum Inhalt, sondern auch Begebenheiten aus dem Betrieb oder dem Privatbereich. So spüren Sie die Stimmung in der Klasse und geben den Lernenden die Chance, in der Schule und im Unterricht anzukommen. Wahrnehmungsfähigkeit und Offenheit sind beim Empfang der Lernenden besonders wichtig.
Wie ein Musik- oder Theaterstück hat der Unterricht einen eindeutigen Beginn. Dabei geht es darum, dass die Lehrperson einen ausreichenden Grad an Konzentration einfordert. Stehen Sie am Anfang der Stunde auf jeden Fall vor der Klasse. Zeigen Sie auf diese Weise, dass schulisches Lernen nur in einer konzentrierten Atmosphäre stattfinden kann.
Ihre Körpersprache – die Art und Weise, wie Sie vor der Klasse stehen, was Sie mit Ihrer Haltung ausdrücken – prägt den Unterricht oft mehr als Ihre verbalen Äußerungen. Denken Sie daran: Das Paraverbale (Tonfall, Sprechtempo, Pausen) bleibt meist stärker haften als der Inhalt Ihrer Äußerungen. Wenn die verbalen und nonverbalen Botschaften übereinstimmen, entwickeln die Lernenden mit der Zeit die Einsicht: »Sie/Er meint wirklich, was sie/er sagt.« Diese Form von Selbstkongruenz ist ein wesentlicher Faktor, damit Unterricht gelingt. Auch darauf gilt es, von Anfang an besonders zu achten.
Für die Lernenden ist der Unterricht dann angenehm, wenn die Lehrperson in einer mittleren Körperspannung arbeitet. Ist ihr Körpertonus zu hoch, führt dies zu einer unangenehmen Anspannung und Hektik im Unterrichtsgeschehen. Auch für die Lehrperson wird so Unterrichten auf längere Sicht erschöpfend.
Ist der Tonus aber zu niedrig, wirkt dies für viele Lernende wie eine Einladung, selbst in eine entspannte Position zu gehen. Unterricht entwickelt sich dann mit einer gewissen Beliebigkeit und führt oft nicht zum erhofften Ziel.
Unterrichtsnachbereitung: Nach der Stunde ist vor der Stunde
In die Unterrichtsvorbereitung haben Sie viel Zeit investiert. Es lohnt sich deshalb, im Anschluss an die Stunde das Unterrichtsgeschehen kurz Revue passieren zu lassen und auszuwerten. Ein paar Fragen können Ihnen dabei behilflich sein und Ihrer Auswertung eine Struktur verleihen:
• Was ist mir heute gut gelungen? Welche Faktoren haben zum Gelingen beigetragen?
• Welche Beobachtungen zu einzelnen Lernenden habe ich gemacht, die sich lohnen, festgehalten zu werden?
• Wo kann ich beim nächsten Mal mit dem Unterricht fortfahren, und welche Fragen muss ich noch einmal vertiefen?
• Welche Aufgaben habe ich erteilt, und wie will ich sie am nächsten Schultag in den Unterricht einbauen?
• Was muss ich für den nächsten Unterrichtstag bereitstellen?
• Welche Korrekturarbeiten muss ich bis nächste Woche leisten?
Eine gute Nachbereitung erspart Ihnen viel Vorbereitungszeit für den nächsten Schultag. Deshalb sollten Sie nicht vergessen, dafür genügend Zeit einzuplanen.
Deshalb gelingt’s
Unterrichten ist Beziehungsarbeit. In Anlehnung an Ruth C. Cohn, die Begründerin der Themenzentrierten Interaktion (TZI), gilt es dabei vier Faktoren in dynamischer Balance zu halten:
• Ziele und Anliegen der Lehrperson,
• Ziele und Anliegen der Lernenden,
• Stoff, inhaltliche Ziele,
• politisches, organisatorisches und strukturelles Umfeld.
Lehrperson – Lernende
Grundlage des Unterrichts ist die Beziehungsebene zwischen Lehrperson und Lernenden; sie hat einen wesentlichen Einfluss auf den Unterrichtserfolg. Es ist deshalb wichtig, dieser Achse besondere Beachtung zu schenken – gerade am Anfang, aber auch im Verlauf der Unterrichtsarbeit und immer wieder neu. → Kapitel Kommunikation und → Umgang mit den Lernenden
Lehrperson – Stoff
Lehrpersonen sind Experten in ihrem Fach und Fachleute für das Lernen. Im traditionellen Unterricht (Ganzklassen- oder Frontalunterricht) gestaltet die Lehrperson die Erarbeitung und Vermittlung des Stoffes. Die bevorzugte Methode ist der Frontalunterricht (Ganzklassenunterricht) oder im beruflichen Lernen die Instruktion. Der Frontalunterricht ist vor allem dann angebracht, wenn die Lernenden über wenig oder gar kein Vorwissen verfügen und nicht zu viel »Versuch-Irrtums-Situationen« entstehen sollen – also auch immer wieder in Einstiegssituationen. → Kapitel Lernen lernen ; Struktur; Kompetenzen fördern; fair prüfen und benoten
Lernende – Stoff
Das kognitiv-konstruktivistische Lernverständnis geht davon aus, dass die Lernenden ihr Wissensnetz selbst knüpfen und konstruieren – nach diesem Konzept entsteht das Wissen erst im Kopf der Lernenden. Sobald genügend Vorwissen vorausgesetzt werden kann, sind deshalb Lehr- und Lernformen, die das mehr oder weniger selbstgesteuerte Lernen begünstigen, von besonderer Bedeutung. Eine hohe Eigenaktivität der Lernenden zu fördern muss deshalb schon bei der Planung und Vorbereitung von Unterricht im Zentrum stehen. → Kapitel Clever üben ; Überforderung Unterforderung
Umfeld
Das politische, organisatorische und strukturelle Umfeld übt erheblichen Einfluss auf das Unterrichtsgeschehen aus. Die Politik definiert den Stellenwert der Bildung, bestimmt die Anstellungsbedingungen für Lehrpersonen, setzt den organisatorischen Rahmen für das Unterrichtsgeschehen, verfügt über die finanziellen Mittel und legt die Ausbildungsrichtlinien fest.
Organisatorische Entscheidungen fallen in der Verwaltung auf unterschiedlichen Ebenen. Schulen und Lehrpersonen sind in diese Organisationsstrukturen eingebunden, die sie manchmal als hilfreich, manchmal als einengend empfinden. Lehrpersonen sind Mitglieder eines Teams, das die Durchführung eines qualitativ guten Unterrichts zu gewährleisten hat.
In einer schnell sich verändernden Welt müssen Schulstrukturen immer wieder an die neuen Gegebenheiten angepasst werden. Dabei ist aber zu bedenken, dass erfolgreiche Unterrichtsarbeit auch Ruhe, Konzentration und eine gewisse Stabilität im Umfeld verlangt. → Kapitel Vertrauensvoll zusammenarbeiten
Tipps für den Unterricht
Entscheiden heißt verzichten
Es gilt von Anfang an, das Nötige vom Möglichen zu trennen. Nicht alles, was wünschbar ist, ist auch machbar, und nicht alles Machbare ergibt einen Sinn. Überfrachtete Unterrichtsvorbereitung trägt den Keim zur Hast und Gehetztheit in sich. Beides ist dem Unterrichtserfolg abträglich.
Gute Vorbereitung – klare Strukturen
Gute Vorbereitung mündet in eine Klarheit des Unterrichtsgeschehens, die ein wesentlicher Qualitätsmaßstab für den Unterricht ist. Dies betrifft Ziele, Inhalte, Unterrichtsprozess und unterrichtliches Handeln,