Klassenführung. Willy Obrist
als vorausplanendes Handeln
Carolyn M. Evertson und ihre Mitarbeiter gehen in ihren Untersuchungen (in Grund- und Hauptschulen) davon aus, dass Unterrichtsklima vor allem durch gut geplantes Handeln herbeigeführt werden kann, und haben dafür Trainingsprogramme für Lehrpersonen entwickelt, die sich auf folgende Faktoren konzentrieren:
• Aktivitäten zum Schulbeginn planen und durchführen
Die Lehrperson entwickelt für den ersten Tag (die ersten Wochen) Aktivitäten, die alle Lernenden der Klasse einbeziehen.
• Das Klassenzimmer gut vorbereiten
Die Sitzordnung ist durchdacht, alle nötigen Materialien und Hilfsmittel liegen griffbereit. Die Lehrperson muss während des Unterrichts nichts holen und nichts suchen.
• Regeln und Verfahren planen
Die Lehrperson hat präzise Vorstellungen von einem konstruktiven Unterrichtsklima. Ihr ist klar, welche Regeln ihr wichtig sind, mit welchem Verfahren sie diese Regeln einführen und wie sie für deren Einhaltung sorgen will.
• Regeln und Prozeduren zum Unterrichtsgegenstand machen
Der Wert von Haltungen und Regeln ist Gegenstand des Unterrichts. Folgen und Konsequenzen von Regelverstößen sind geklärt.
• Unangemessenes Verhalten unterbinden und auf die Regeln hinweisen
Die Lehrperson reagiert auf unangemessenes Verhalten sofort und immer wieder. Die Lernenden werden auf die vereinbarten Regeln hingewiesen.
• Vorgesehene Konsequenzen anwenden
Ist für ein unangemessenes Verhalten eine Konsequenz vorgesehen, so wendet die Lehrperson diese konsequent an.
• Über Strategien als Reaktion auf potenzielle Probleme verfügen
Insbesondere geht es darum, für folgende Situationen Strategien zur Verfügung zu haben:
– Störungen des Unterrichts von außen (Telefonanruf, Besprechungen u.a.m.).
– Störungen durch Leerzeiten: Was machen Lernende, die mit einer gestellten Aufgabe fertig sind?
– Störungen durch inhaltliche Schwierigkeiten: Was machen Lernende und Lehrperson, wenn bei der Arbeit inhaltliche Schwierigkeiten auftreten?
• Präsenz aufrechterhalten
Die Lehrperson handelt im Sinne der »Allgegenwärtigkeit« und zeigt sich physisch, psychisch und emotional präsent.
• Unterricht sorgfältig vorbereiten
Die Lehrperson bereitet den Unterricht so vor, dass Lernaktivitäten auf verschiedenen kognitiven Anforderungsstufen möglich sind.
• Den Lernenden einen Teil der Verantwortung übergeben
Die Lernenden sind sich sicher, dass sie im Unterrichtsgeschehen Mitverantwortung tragen, d. h., die Verantwortlichkeiten sind geklärt.
• Auf Klarheit und Flüssigkeit im Unterricht achten
Die Lehrperson folgt der bekannt gegebenen Unterrichtsvorbereitung oder begründet, wenn sie davon abweicht. Ihre Anweisungen und Arbeitsaufträge sind klar. Die Übergänge von einer Sequenz zur nächsten sind flüssig.
Einfluss des Lehrerhandelns auf das Klassenklima im Überblick
Tipps für den Unterricht
Die Lernenden als Menschen wahrnehmen und sich selbst als Mensch zeigen
Lernende und Lehrpersonen wollen gleichermaßen als Menschen wahrgenommen werden, jenseits von Funktion und Leistungsfähigkeit. Dies gelingt, wenn beide Seiten Gelegenheit erhalten, sich auch mit den Facetten ihres Lebens zu zeigen, die im Unterricht oft zu kurz kommen. Es gilt, am Leben des anderen Anteil zu nehmen.
Klar machen, was man will und was man nicht will
Lehrpersonen müssen ihre Führungsfunktion wahrnehmen und dürfen »Flexibilität« nicht mit »Deformierbarkeit« verwechseln. Wenn wir unsere Werte und Haltungen offenlegen, sachlich begründen und konsequent vorleben, trägt dies viel dazu bei, dass wir uns im Lehrberuf wohlfühlen. Wer diese Fähigkeit nicht mitbringt, muss sie sich im Laufe der Zeit aneignen.
Präsent sein – Präsenz halten
Eines unserer wichtigsten Arbeitsmittel ist es, uns ganz im »Hier und Jetzt« zu bewegen. Präsenz aufrechtzuerhalten ist eine wichtige Voraussetzung für den lebendigen Austausch mit den Lernenden.
Diese registrieren (meist nicht voll bewusst) sofort, wenn eine Lehrperson an Präsenz einbüßt. Es ist deshalb sinnvoll, den Lernenden in angemessener Form mitzuteilen, wenn wir aus irgendeinem Grund (Krankheit, Beziehungs- und Familienprobleme u.a.m.) in unserer Präsenz beeinträchtigt sind. So geben wir den Lernenden Gelegenheit, sich in ihrer Sozialkompetenz zu üben und vorübergehend auf unser reduziertes Leistungsvermögen Rücksicht zu nehmen.
Auseinandersetzungen annehmen und sie »mit offenem Visier« führen
Sich mit den Lernenden auseinanderzusetzen, um bestimmte Dinge immer wieder zu kämpfen und zu ringen ist eine Form der Wertschätzung. Wer mir gleichgültig ist, mit dem streite ich nicht; wer mir etwas bedeutet, mit dem setze ich mich auseinander.
Es muss in diesem Sinne unser Ziel sein, fair geführte Auseinandersetzungen, sei es zwischen der Lehrperson und den Lernenden oder von Lernenden untereinander, zu genießen. Auseinandersetzungen sind das Salz jeder Beziehung.
»Mit offenem Visier« bedeutet, dass wir auch in der Auseinandersetzung den Blickkontakt zum Gegenüber nicht verlieren und zum Beispiel feststellen, wenn es Zeit ist, die Intensität der Auseinandersetzung zu drosseln.
Sorgfältige Unterrichtsvorbereitung als Grundlage des Unterrichtsklimas
Gute Unterrichtsvorbereitung wird sehr oft mit gutem Lernklima belohnt. Lernende registrieren genau, ob und wie wir uns auf den Unterricht vorbereitet haben. Sie nehmen wahr, ob wir unsere Bringschuld leisten oder nicht. Sie merken, ob sie von uns mit »Konfektionsware« abgespeist werden oder ob »à la carte« gekocht wird. Ein nachhaltig gutes Unterrichtsklima baut auf sorgfältiger Unterrichtsvorbereitung auf.
Eine Unterrichtsstunde, in der nicht gelacht wird, ist eine verlorene Stunde
Beobachten Sie, ob in Ihren Stunden ab und zu befreit gelacht wird. Wenn Sie nicht lachen können, werden wohl auch die Lernenden es nicht können. Wo nicht herzhaft gelacht werden darf, da wird hinter vorgehaltener Hand gekichert. Gutes Unterrichtsklima baut auf Unverkrampftheit, Offenheit, Freude und Fröhlichkeit. Es ist an der Lehrperson, diese Haltung vorzuleben.
Ab und zu ein Kontrapunkt
Monotonie ist eine große Gefahr für das Unterrichtsklima. Eine Möglichkeit, der Gefahr zu entkommen, besteht darin, Kontrapunkte einzustreuen: das Andere tun oder das andere Tun.
Kontrapunkte sind mehr als die jährlich wiederkehrenden Ereignisse wie Turn- und Sportfeste, Tages- und Wochenexkursionen. Kontrapunkte sind unangekündigte Überraschungen wie z. B. eine bekannte Persönlichkeit oder ein erfolgreicher Unternehmer, die plötzlich im Klassenzimmer stehen, ein Kurzbesuch bei … Oder die Lehrperson bringt etwas aus ihrem Leben mit in den Unterricht, was keinen didaktischen Bezug zu aktuellen Inhalten hat, usw.
Kontrapunkte sind die bunte Feder am Hut, der Farbtupfer an der