Unternehmensbewertung case by case. Michael Hommel
nicht ist), so könnte er seinem Portfolio Aktien beimischen und eine – kapitalmarkttypische – Durchschnittsrendite von 8,5 % erzielen.
Carlo Neumeier ist an dem Erwerb der Kanzlei interessiert. Er kennt die Kanzlei schon seit seiner Kindheit und hat sich schon immer gewünscht, sie zu erwerben. Neumeier hat gerade seine Steuerberaterprüfung erfolgreich abgelegt und möchte ein Kaufpreisangebot abgeben. Er teilt Ihnen mit, dass er auf dem Gebiet der internationalen Besteuerung sehr beschlagen ist, sich sein Können sehr schnell herumspricht und er allein durch sein spezielles Fachwissen jährliche Mehreinnahmen von 30 000 Euro erzielen wird. Natürlich würde er als rational handelnder Unternehmer auch die Sportvereine zukünftig entgeltlich beraten (Einzahlungszuwachs = 5 000 Euro). Auch kann Carlo Neumeier die jährlichen Raumkosten, die der Kanzlei „Tippe“ durch das Anmieten eines großen Archivs und einer üppig ausgestatteten Bibliothek entstehen, deutlich senken. Neumeier ist nämlich bereits Eigentümer einer gut gehenden Unternehmensberatung, die er in eigenen Räumen betreibt. Wenn die Mitarbeiter dort ein wenig zusammenrücken, kann er auf der frei gewordenen Fläche Archiv und Bücher unterbringen. Die damit verbundene Mietersparnis beläuft sich auf 10 000 Euro.
Carlo Neumeier müsste den Kaufpreis bei seiner Hausbank zu 10 % refinanzieren.
Aufgabenstellung:
– Berechnen Sie die Grenzpreise für Tippe und Neumeier. Was ist unter dem Zweckadäquanzprinzip zu verstehen? Stellen Sie die Hauptfunktionen der Kölner Funktionenlehre dar. Welches Unternehmensbewertungsverfahren sollte zur Ermittlung von Grenzpreisen herangezogen werden?
– Nehmen Sie nun an, dass Neumeier für die Kanzlei 800 000 Euro zahlte. War der Kaufpreis angemessen? Verdeutlichen Sie den Zusammenhang zum Gesamtertragsprinzip.
– Wie hoch wäre ein fairer Schiedspreis im vorliegenden Sachverhalt?
– Gehen Sie davon aus, dass Neumeier aktuell bei einer Steuerberatungsgesellschaft angestellt ist. Er verdient dort 65 000 Euro. Neumeier plant aber, nach dem Erwerb der Kanzlei „Tippe“ seine Anstellung zu kündigen und in der Kanzlei vollzeitlich mitzuarbeiten, um den Prognose-Cashflow zu erzielen. Hat diese Information Einfluss auf den Grenzpreis des Neumeier (Unternehmerlohnprinzip)? Argumentieren Sie unter Bezugnahme auf die Äquivalenzgrundsätze.
I. Grenzpreisberechnung
1. Erläuterung
a) Zweckadäquanzprinzip
„Bewertung [ist] nur als Vergleich möglich“, indem der potenzielle „Preis des Bewertungsobjekts anhand des Preises eines (geeigneten) Vergleichsobjekts“ bestimmt wird. Dabei wird rasch offensichtlich, dass es den einen, richtigen Unternehmenswert nicht geben kann. Ein „Bewertungsobjekt kann grundsätzlich [schon] so viele unterschiedliche Werte haben, wie sich unterschiedliche Vergleichsobjekte denken lassen“15. Zudem ist die Unternehmensbewertung subjektiv und unsicher. Jeder (potenzielle) Investor hat unterschiedliche Möglichkeiten, die Nettocashflows eines Unternehmens positiv (oder auch negativ) zu beeinflussen. Jeder hat unterschiedliche Erwartungen über die Entwicklung der Umweltfaktoren (z.B. Euroentwicklung), der Branche, in der sich das Unternehmen bewegt, und der Konkurrenten und Produkte, mit denen es zu tun hat. Daraus ergeben sich ganz verschiedene Schätzungen der zukünftigen Ein- und Auszahlungen. Jeder (potenzielle) Investor hat ganz eigene Vorstellungen über die Höhe der Wahrscheinlichkeit, mit der mögliche Szenarien eintreten werden, und gewichtet sie aufgrund seiner individuellen Risikoneigung. Auch stehen jedem Investor unterschiedliche differenzierte Anlageportfolios offen. Bei dem einen Investor fügt sich z.B. das (neue) Unternehmen ideal in das vorhandene Investitionsportfolio ein und schafft allein dadurch einen Mehrwert. Ein anderer Investor betreibt vielleicht schon ein anderes Unternehmen (z.B. Ökogeschäft) und muss bei dem Kauf des neuen Unternehmens (z.B. Sportwagenhersteller) mit negativen Synergien rechnen, weil sich seine Stammkunden an dem hinzuerworbenen Geschäftsmodell stören und abwandern. Schließlich verfügt jeder (potenzielle) Investor über eine für ihn beste alternative Mittelanlage, die den Wert der Unternehmenscashflows berührt. Nicht zuletzt werden Unternehmensbewertungen aus den unterschiedlichsten Gründen vorgenommen. Die Bewertung kann u.a. erforderlich werden
– wegen eines geplanten (Ver-)Kaufs des Unternehmens,
– aufgrund gesetzlicher Vorschriften (z.B. bei Abschluss eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrags zur Abfindung der Minderheitsaktionäre16 oder bei Squeeze-Out-Verfahren17),
– aufgrund vertraglicher Vereinbarungen (z.B. routinemäßige Berichte über den Unternehmenswert gegenüber der finanzierenden Großbank oder dem unternehmensfremden Shareholder),
– aus Gründen der externen oder internen Kontrolle (z.B. die Ermittlung von Unternehmens(teil)werten im Rahmen des Impairmenttest des Goodwill nach IAS 36) oder
– aus anderen Anlässen, wie z.B. steuerlichen Bewertungen anlässlich einer Schenkung oder eines Erbfalls.18
Welche Fakten und Annahmen bei der Unternehmensbewertung berücksichtigt werden, hängt entscheidend von dem Zweck der Bewertung ab.19 So ist es für die Höhe des Unternehmenswerts elementar, ob sich die Unternehmensbewertung an den sachkundigen Gesellschafter zur Selbstinformation richtet oder ob die Unternehmensbewertung aus steuerlichen Gründen erfolgt, um dem Finanzamt eine justiziable Berechnungsgrundlage für die Ermittlung der Erbschaftsteuer zu geben, die wegen des Erbes eines GmbH-Anteils anfällt. Während der Adressat im ersten Fall auf ein hoch individuelles Bewertungsgutachten Wert legen wird, das sämtliche von ihm für möglich gehaltenen Eventualitäten berücksichtigt, wird im zweiten (Erbschaftsteuer-)Fall eine objektivierte Wertermittlung dominieren müssen, denn subjektive Einschätzungen bergen ein enormes Streitrisiko zwischen Fiskus und Steuerpflichtigem, und ihr Wahrheitsgehalt lässt sich vor Gericht kaum beweisen.
Entscheidend ist daher, dass sich der Bewerter zunächst Klarheit über den Bewertungszweck verschafft, bevor er – an ihm orientiert – das geeignete Bewertungsverfahren wählt (Zweckadäquanzprinzip): „Der Bewertungszweck bestimmt [...] die Wahl der Verfahrenstechnik; denn der Bewertungszweck entscheidet darüber, welches Gewicht Vereinfachungen und Objektivierungen haben.“20
b) Kölner Funktionenlehre
aa) Hauptfunktionen
Die Vertreter der Kölner Schule hoben diese Relativität der Unternehmenswerte als erste hervor und thematisierten sie. Die Kölner Schule entstand in den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts, basiert auf der Investitions- und Finanzierungssowie der Entscheidungstheorie und wurde in den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts maßgeblich von Adolf Moxter prinzipienorientiert ausgebaut.21 Der Name der Schule leitet sich davon ab, dass ihre wesentlichen Begründer, insbesondere Münstermann, Sieben und Busse von Colbe, an der Universität zu Köln forschten und unterrichteten. Die Kölner Funktionenlehre sieht als Hauptfunktionen der Unternehmensbewertung die Beratungsfunktion, die Vermittlungsfunktion sowie die Argumentationsfunktion.22 Der Unternehmensbewerter tritt „als Berater einer Partei, als Vermittler zwischen Parteien oder als Argumentationshelfer gegenüber einer Partei“23 auf. Als Nebenfunktionen seien exemplarisch die Kommunikations- bzw. die Bilanzfunktion und die Steuerbemessungsfunktion genannt.24
bb) Beratende Funktion: Ermittlung von individuellen Entscheidungswerten (Grenzpreisen)
Den Käufer interessiert, was er maximal für das Unternehmen bezahlen darf, damit sich seine finanzielle Situation nicht verschlechtert, und den Verkäufer interessiert, was er mindestens von dem Käufer verlangen muss, damit er nach dem Verkauf nicht schlechter dasteht als zuvor. Die maximale Zahlungsbereitschaft des Käufers sowie die minimale Forderung des Verkäufers werden als Grenzpreise bezeichnet.25
Grenzpreise sind