Harzhunde. Roland Lange
lehnte noch immer an der Theke, jetzt ohne Gesprächspartner. Die Barhocker links und rechts von ihm waren frei. Trotzdem schien er sich nicht setzen zu wollen. Er stand nur da, nippte an einem Bier und betrachtete dabei andächtig die Regale im Rücken des beschäftigten Barkeepers. Die unzähligen dort aufgereihten Flaschen verschiedenster Whiskey-Sorten und anderer Spirituosen schienen ihn zu beeindrucken.
Mit dem ist was faul. Ich rieche das, dachte Blume, ehe er sich abwandte und wieder nach draußen ging. Unter dem Carport stieg er in sein Auto, einen unauffälligen, knapp zehn Jahre alten Toyota Corolla. Es wurde Zeit, dass er losfuhr. Sein Klient, der Finanz- und Wirtschaftsberater Martin Kullmann, wartete auf ihn.
Kullmann empfing ihn vor der Haustür seiner Landhaus-Villa, auf dem kleinen Podest, das von zwei weißen Säulen und dem Balkon darüber eingerahmt wurde. Blume hatte sich vorn am schmiedeeisernen Grundstückstor an der Gegensprechanlage angemeldet und war über die Zufahrt durch die paradiesisch anmutende Parklandschaft bis auf den mit Zierkies bedeckten Platz gefahren. Dort hatte er seinen Toyota abgestellt. Jetzt stieg er die Stufen hinauf, die in einem leichten Bogen verlegt und ebenso wie das Podest aus polierten Granitplatten gefertigt waren.
„Herr Blume! Schön, dass Sie so schnell kommen konnten!“ Kullmann lächelte seinem Gast entgegen und begrüßte ihn mit einem kräftigen Händedruck. Dann machte er eine einladende Bewegung zur Tür hin. „Kommen Sie herein.“
Blume folgte der Aufforderung. Der Hausherr schloss die Tür und trat neben ihn. „Kaffee? Tee?“, fragte er. „Oder möchten Sie etwas Kaltes? Ein Bier vielleicht?“
„Kaffee wäre prima, danke“, antwortete Blume.
Kullmann nickte. „Gut. Gehen Sie schon mal vor in mein Büro. Sie kennen ja den Weg. Ich sage nur schnell Margitta Bescheid, dass sie uns einen Kaffee kocht.“ Damit ließ er ihn stehen und eilte davon.
Margitta war seit gut zwei Monaten die neue Haushälterin der Kullmanns. Er kannte sie von seinen beiden vorherigen Besuchen. Jedes Mal hatte sie ihn an der Tür empfangen und in das Büro geleitet. Daher wusste er jetzt, wohin er zu gehen hatte.
Keine Minute später betrat der Hausherr das Arbeitszimmer. Er forderte Blume auf, am Besuchertisch Platz zu nehmen, und holte ein Notebook von seinem Schreibtisch. Damit setzte er sich ihm gegenüber auf einen der lederbezogenen Schwingstühle.
„So, dann zeigen Sie mal, was Sie haben“, kam er direkt zur Sache und holte den Computer aus dem Ruhemodus.
Blume reichte ihm den Datenstick. „Die Fotos habe ich vor sieben Tagen aufgenommen“, sagte er. „Danach war ich in der Angelegenheit nicht mehr tätig. Wenn Sie sich die Bilder ansehen, verstehen Sie, warum. Sie lassen keine Zweifel zu.“
Kullmann steckte den Stick seitlich in die Buchse seines Notebooks und öffnete die Dateien. Dann saß er da, starrte schweigend auf den Bildschirm, begleitet von gelegentlichen Fingerbewegungen auf dem Trackpad. Blume beobachtete sein Gegenüber genau. Kullmanns Gesicht blieb ohne Regung. Kein erschrecktes Flackern der Augenlider, kein fragendes Runzeln der Stirn, nicht einmal ein leichtes Zucken der Mundwinkel. Nichts an dem Mann verriet, was sich in diesem Augenblick in seinem Inneren abspielte.
Margitta brachte den Kaffee. Kullmann sah kurz auf, dankte ihr und wandte sich wieder den Fotos zu. Weitere Minuten vergingen, ohne dass er ein Wort sagte. Fast schien es, als sei er in eine tiefe Andacht versunken.
„Da haben sie es also getrieben!“, murmelte er plötzlich. Die Reaktion kam so unvermittelt, dass Blume erschrocken zusammenzuckte. „Das ist eine Jagdhütte, oder?“
„Eine Blockhütte, ja“, relativierte Blume eilig. „Ich weiß nicht, welchem Zweck sie dient, wenn nicht gerade jemand ...“ Er ließ den Satz unvollendet.
„Wo steht sie?“, wollte Kullmann wissen. „Gehört sie diesem Seelenklempner?“
„Äh ... wem?“, fragte Blume irritiert.
„Dr. Dreyling, dem Mann, der meine Frau bespringt!“, blaffte Kullmann. Für einen Moment hatte er die Beherrschung verloren, die Gesichtszüge waren seiner Kontrolle entglitten. Seine Augen schimmerten schwarz vor Hass. Auf seiner Stirn hatten sich tiefe Zornesfalten gebildet.
„Sie kennen den ... den Liebhaber Ihrer Frau? Ich habe Ihnen doch bisher noch gar nichts über meine Recherchen zu dem Mann erzählt. Wer er ist und was er macht.“, wunderte sich Blume.
Von einer Sekunde zur anderen wechselte Kullmanns Mimik erneut. Er grinste seinen Gast spöttisch an, wirkte fast schon gelangweilt, als er sagte: „Ja, mein Lieber, ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Sie sich umsonst bemüht haben, die Fehltritte meiner Frau nachzuweisen.“
„Aber ... ich glaube, ich verstehe Sie nicht.“
„Na ja ...“, sagte Kullmann gedehnt, lehnte sich mit übergeschlagenen Beinen zurück und faltete die Hände vor dem Bauch, „meine Frau hat mich verlassen. Ist abgehauen, zusammen mit ihrem Therapeuten, jenem Dr. Dreyling.“ Abfällig betonte er den Namen des Mannes. „Als ich gestern Nachmittag von meiner Geschäftsreise zurückgekommen bin, war sie schon weg. Abends hat sie mich dann angerufen und mir alles gebeichtet. Wenigstens das. Aber sie hatte nicht den Mumm zu warten, bis ich zu Hause bin, um mir ihr Geständnis und ihren Entschluss ins Gesicht zu sagen.“
„Und wohin ist sie ...?“, fragte Blume. Er fühlte sich von der unerwarteten Wendung völlig überrumpelt.
„Was weiß denn ich?“, schnappte Kullmann. „Wo sie sich mit ihrem neuen Lebensgefährten niederlassen will, hat sie mir leider nicht mitgeteilt.“ Die Verbitterung in der Stimme des Mannes war jetzt unüberhörbar. „Ach, was soll’s“, er wedelte mit der Hand, als wolle er seine dunklen Gedanken wie eine lästige Fliege verscheuchen, „man kann die Menschen nicht aufhalten. Wenn sie unbedingt gehen wollen, muss man sie ziehen lassen.“ Er beugte sich vor, fixierte Blume mit seinen dunklen Augen. „Und was Sie und Ihre Arbeit betrifft – ich werde Sie selbstverständlich für Ihre Mühen entschädigen. Wie vereinbart. Sie haben Ihre Sache gut gemacht. Dass sich die Geschichte so entwickelt, konnten Sie ja nicht voraussehen. Ihre Rechnung haben Sie dabei?“
Blume nickte und zog einen Briefumschlag aus der Tasche, den er Kullmann über den Tisch schob. Der Mann nahm das Kuvert, öffnete es und überflog die innen liegende Auflistung.
„Ich darf davon ausgehen, dass Sie die Rechnung wie besprochen umgehend vernichten?“
Kullmann nickte. „Natürlich, Herr Blume. Die Sache bleibt unter uns.“ Er erhob sich, verschwand in einem Nebenraum und kam kurz darauf mit einem Bündel Geldscheinen zurück. „Ich habe Ihnen ein paar Euro obendrauf gelegt“, sagte er generös und drückte seinem Gast das Geld in die Hand.
„Vielen Dank.“ Blume ließ die Scheine in seiner Tasche verschwinden.
„Dann würde ich Sie jetzt gern verabschieden, wenn es Ihnen nichts ausmacht“, sagte Kullmann. „Ich habe noch einige wichtige Sachen zu erledigen.“
Blume nickte und stand auf. Er ließ sich zur Haustür begleiten. „Hat mich gefreut, Sie kennengelernt zu haben. Machen Sie’s gut“, sagte der Hausherr und klopfte ihm jovial auf die Schulter. „Und noch mal, Sie haben erstklassige Arbeit geleistet. Vielleicht nehme ich Ihre Dienste mal wieder in Anspruch.“
„Würde mich freuen ...“, wollte Blume entgegnen, aber da war Kullmann schon im Hausinneren verschwunden und die Tür ins Schloss gefallen.
Was für ein eleganter Rausschmiss!, dachte Blume, als er die Granitstufen hinabstieg. Und was für eine rasante Entwicklung! Kullmanns Frau und ihr Liebhaber gemeinsam durchgebrannt! Damit hatte er nicht gerechnet. Aber das war jetzt nicht mehr sein Problem. Sein Job war erledigt und seine Brieftasche gut gefüllt. Er setzte sich in seinen Toyota, genoss die kurze Fahrt durch den Traumpark zurück zur Straße und freute sich auf den Abend mit Katja.
3. Kapitel
Dr. Gernot Fischer hatte hohe Ansprüche. An sich selbst und seinen Beruf als Tierarzt, an seine Kunden, seinen Lebensstil, seine immer öfter wechselnden Schicki-Micki-Freundinnen und überhaupt.