Harzhunde. Roland Lange
rechnete mit einer Pistole, die ihm gleich an die Stirn gedrückt wurde. Doch dann förderte der Weinkenner nur einen Briefumschlag zutage. „Hier. Eine Aufstellung deiner Schulden. Damit du es noch einmal schwarz auf weiß hast. Eine Woche gibt dir unser Auftraggeber Zeit. Er ist ja kein Unmensch. Eine Woche, sonst ...“
Der Satz blieb unvollendet in der Luft hängen. Fischer drehte sich zu dem zweiten Mann um. Der hatte sich hinter seinem Rücken die sündhaft teure Ming-Vase von dem Granit-Sockel geschnappt und ließ sie spielerisch in seinen Pranken tanzen.
„Nicht!“, schrie Fischer entsetzt auf. Ein Fehler, denn sein Schrei irritierte den Mann, die Vase entglitt seinen Händen, fiel zu Boden und zerbrach.
„Autsch.“ Er zuckte hilflos mit den Schultern und grinste treuherzig.
„Scheiße, Scheiße ...“, wimmerte Fischer. Fassungslos starrte er an dem Riesen vorbei auf die Scherben.
Der Weinkenner nahm von dem Missgeschick seines Partners keine Notiz. „Eine Woche“, wiederholte er stur und wedelte drohend mit dem Finger unter Fischers Nase herum. Dann wandte er sich unvermittelt ab und forderte seine Kumpel mit einer Handbewegung zum Gehen auf. „Komm“, sagte er, „ich denke, unser Doktorchen hat verstanden.“
Sekunden später waren die Männer aus der Wohnung verschwunden. Gernot Fischer starrte wie paralysiert auf die Wohnungstür. Zwei, drei Minuten vergingen, dann erwachte er aus der Schockstarre und wandte sich den Scherben seiner Ming-Vase zu. Der Auftritt der beiden war nur das Vorgeplänkel gewesen. Er brauchte keine Fantasie, sich auszumalen, was ihm drohte, wenn er nicht zahlte. Nur – woher sollte er das Geld nehmen? Er würde es weder in einer Woche noch in einem Monat zur Verfügung haben.
4. Kapitel
Katja hatte, wie so oft, ein paar kleine Leckereien aus dem Saloon mitgebracht. Einen Mitternachts-Snack, den sie nach einem arbeitsreichen Tag gemeinsam in der Küche ihrer Wohnung verzehrten, ehe sie müde in ihre Betten fielen.
Blume war, nachdem er vor rund drei Jahren in Hannover seine Zelte abgebrochen hatte, in Katjas Haus umgesiedelt. In die Dachwohnung, die bis dahin für Urlaubsgäste vorgesehen war, wie alle anderen Wohnungen in der kleinen Ferienhaussiedlung. Eine Übergangslösung hatte es sein sollen, mit dem Ziel, eines Tages ein Stockwerk tiefer mit seiner Freundin zusammenzuziehen. Zunächst hatten sie testen wollen, ob es dieses Mal für eine feste Beziehung reichte. Oder ob es wieder zum Scheitern verurteilt war. Wie damals, als Blume – noch unter seinem richtigen Namen Matthias Wagenfeld – eines Tages verschwunden war. Sie ohne ein Wort des Abschieds zurückgelassen hatte. Knapp drei Jahrzehnte später war er wieder bei Katja aufgekreuzt. Ein Mann, dessen Gesicht ihr genauso fremd gewesen war wie sein Name. Sie hätte ihn niemals wiedererkannt, wäre er nicht so hartnäckig gewesen und hätte ihr Einzelheiten aus früheren gemeinsamen Zeiten genannt, die nur er hatte wissen können.
Später hatte Katja von ihm die Hintergründe für sein überstürztes Untertauchen erfahren und sein Handeln verstanden. Trotzdem war es ihr nicht leichtgefallen, Blume zu verzeihen, und ihr Misstrauen ihm gegenüber schwelte weiter unter der Oberfläche. Bis heute. Sie war nicht bereit, sich ein zweites Mal blindlings in eine Beziehung mit ihm zu stürzen, um dann wieder enttäuscht zu werden. Sie fand, dass sie für solche Abenteuer mittlerweile zu alt war. Wenn sie noch mal eine feste Bindung einging, sollte die für den Rest ihres Lebens halten.
Blumes Umzug in Katjas Wohnung war seitdem nur selten ein Gesprächsthema gewesen, zuletzt überhaupt nicht mehr. Das bestehende Arrangement gefiel ihnen, und es gab keinen dringenden Grund, etwas daran zu ändern. Jeder hatte im Haus sein eigenes Reich, konnte dort tun und lassen, was er wollte. Wenn ihnen danach war, verbrachten sie in einer der beiden Wohnungen die Nacht miteinander und hatten Spaß. Nur zum gemeinsamen Frühstück und zu den sporadischen Mahlzeiten, die sie nicht unten im Saloon einnahmen, trafen sie sich regelmäßig in Katjas Küche. Darauf bestand sie. Das war ihr Revier. Dort hatte sie alles, was sie brauchte, um sich auszutoben und die leckersten Speisen für sich und ihren Gefährten zuzubereiten.
Gegen elf Uhr am Abend war Katja heute aus dem Saloon gekommen. Blume hatte kurze Zeit später ihre Wohnung betreten und die Reste eines schmackhaften mexikanischen Bohneneintopfs aus der Saloonküche auf dem Tisch stehen sehen. Er liebte diesen Eintopf!
Zum Glück haben wir uns nicht nach dem Essen zu einer gemeinsamen Nacht verabredet, fuhr es Blume durch den Kopf angesichts der roten Kidneybohnen, die Katja ihm in den Teller füllte.
„Und? War Kullmann zufrieden mit deiner Arbeit?“, fragte sie beiläufig.
„Wie man’s nimmt“, entgegnete Blume und nahm den Teller entgegen, „seine Frau hat mir, wenn man so will, die Pointe geklaut.“
Katja blickte ihn fragend an. „Pointe geklaut? Was heißt das denn?“
„Sie hat ihrem Mann das Verhältnis gebeichtet und ihn verlassen. Ist mit ihrem Liebhaber durchgebrannt. Und das alles gestern Abend. Bevor ich Kullmann heute meine Fotos vorlegen konnte. Er kennt den Lover seiner Frau sogar.“
„Ach ja? Und? Wer ist es?“ Katja beugte sich zu ihm hin, stellte ihre Neugier ungeniert zur Schau.
Blume legte den Kopf schief und deutete mit seiner maskenhaften Mundpartie ein Grinsen an. Er sprach nur hin und wieder mit Katja über Details seiner Observationen, hatte ihr in diesem Fall nur das Nötigste gesagt und den Namen des Mannes verschwiegen. „Ihr Therapeut“, sagte er. „Ein gewisser Dr. Karsten Dreyling.“
„Ah ... der“, reagierte Katja wenig überrascht.
„Du weißt, wer das ist?“
Sie zuckte mit den Schultern. „Gesehen hab ich ihn noch nie. Ist aber in Insiderkreisen kein Unbekannter, der Gute. Hat einen großen Wirkungskreis, heißt es. Na ja, man erzählt sich eben so dies und das. Die Patientinnen stehen angeblich bei ihm Schlange. Bin mal gespannt, wie lange das junge Glück hält.“ Sie verdrehte die Augen und winkte wegwerfend ab. „Hat der Kullmann dich trotzdem bezahlt?“
„Oh doch, das hat er. Ich habe meinen Teil des Auftrags ja erfüllt. Konnte keiner ahnen, dass seine Gattin mir zuvorkommt.“ Blume nickte. „Er hat sogar ein paar Scheine obendrauf gelegt.“
„Oh, das ist anständig.“
„Er kann es sich leisten“, entgegnete Blume lapidar. „Ach übrigens, der Typ, der da heute unten im Saloon am Tresen stand ... macht der hier etwa Urlaub?“
„Welcher Typ? Wen meinst du?“, fragte Katja, überrascht von dem abrupten Themenwechsel.
„Ich habe ihn dir gezeigt, bevor ich zu Kullmann gefahren bin. Er hat mit deinem Barkeeper gequatscht.“
Katja brauchte einen Moment, dann erinnerte sie sich. „Oh, ja, jetzt weiß ich wieder. Stimmt, der hat sich bei uns einquartiert. Zunächst für zwei Wochen. Ich habe ihm drüben, im Haus schräg gegenüber, die Wohnung im Obergeschoss vermietet.“ Sie musterte Blume misstrauisch. „Sag mal, was hast du denn bloß mit dem? Hab mich schon unten im Saloon über deine Frage gewundert. Kennst du ihn irgendwoher?“
„Das versuche ich ja herauszufinden ... nein, ich glaube nicht, dass ich ihn kenne. Hat der Mann auch einen Namen?“
„Ritter. Clemens Ritter.“
Blume schüttelte den Kopf. „Nie gehört. Trotzdem ... mit dem stimmt was nicht. Irgendwas an dem stört mich.“
„Und was soll das deiner Meinung nach sein?“ Katja schaltete auf Abwehr um. Ihre Stimme klang wie das Fauchen einer Katze.
„Es ... es ist nur so ein Gefühl“, versuchte Blume eine Erklärung. „Seine ganze Haltung. Lauernd ... er schien alles genau abzuchecken. Vorhin, als ich nach Hause kam, stand er drüben vor der Tür. Hat mir zugewunken und ist dann reingegangen. Als hätte er auf mich gewartet.“
„Er hat dir zugewunken? Na, so was!“, höhnte Katja. „Und das macht ihn in deinen Augen verdächtig? Verdammt, Blume! Fang nicht schon wieder an mit dieser Scheiß-Verfolgungsmacke!“ Sie atmete tief durch. „Du kannst dich nicht ein Leben lang vor deiner Vergangenheit