Innen wachsen – außen wirken. Julia Buchebner
um eine geeignete Entscheidung zu treffen und eine entsprechende Handlung zu setzen, wird fehlendes Wissen häufig durch Werte ersetzt. Dies passiert umso stärker, je unübersichtlicher die Situation ist.40 Im Alltag lenken oftmals Routinen, Reflexe, Triebe, Automatismen oder die Ratio unser Verhalten. Bei komplexen Entscheidungen oder Konflikten hingegen sind es die Werte, die uns als Richtungsweiser oder Handlungsmotivatoren dienen.
Gerade soziale und ökologische Probleme fallen in diese Kategorie. Sie sind hochkomplex, mit zahlreichen Wertekonflikten behaftet und mit anderen gesellschaftlichen Bereichen so stark verwoben, dass es uns schwerfällt, rein rational zu einer praktischen Lösung zu gelangen.
In unserer globalisierten und vernetzten Welt ist alles mit allem verzahnt und der soziale und technologische Wandel beschleunigt sich ständig. Dadurch wird es für uns Bürger zunehmend schwieriger, sachlich zu beurteilen, wie sich eine bestimmte Maßnahme im persönlichen Alltag auf die Umwelt auswirkt oder welche Alternative einer anderen vorzuziehen ist. In solchen Fällen wird Handeln nur noch auf Basis von Wertentscheidungen realisierbar und der Mensch als rational handelndes Wesen wird dann schnell zur Fiktion.
Aber was sind Werte eigentlich konkret, wie funktionieren sie und auf welche Weise beeinflussen sie unser Verhalten?
Es ist wahrlich keine leichte Aufgabe, auf diese Fragen passende Antworten zu finden. Rein wissenschaftlich gesehen befassen sich die unterschiedlichsten Disziplinen mit der Werteforschung, wie zum Beispiel die Philosophie, die Soziologie, die Psychologie, die Ökonomie und sogar die Naturwissenschaften. Die Soziologie etwa untersucht die Bedeutung von Werten für die Gesellschaft als Ganzes, die Psychologie hingegen für das einzelne Individuum. Allein schon deshalb können die verschiedenen Theorien auch einmal auseinanderklaffen.
Trotz der Fülle an Disziplinen, Studien und Hypothesen haben wir versucht, die für uns wesentlichen Aussagen und Essenzen zusammenzufassen und mit unseren eigenen Erfahrungen verständlich aufzubereiten. Auf den nächsten Seiten wirst du also erfahren, was Werte konkret sind, wie sie auf unser Umwelt- und Sozialverhalten wirken und welche speziellen Werthaltungen eine zukunftsfähige Entwicklung behindern wie auch fördern können.
3.1 Wie Werte unser Verhalten beeinflussen
In den gängigen Definitionen werden Werte als »Vorstellungen vom Wünschenswerten« bezeichnet. Sie dienen uns als Beurteilungskriterien oder Maßstäbe, mit denen wir Dinge, Menschen oder Handlungen entweder positiv oder negativ bewerten können. Wenn also zum Beispiel in einer Bevölkerungsgruppe der Wert »Leistung« sehr hochgehalten wird, dann werden alle Handlungen, die auf Leistungsbereitschaft und Ehrgeiz basieren, für gut befunden. Und alle »Faulsäcke« für schlecht.
Wir legen also mithilfe unserer Wertestandards fest, was wir als erstrebenswert erachten, moralisch oder ethisch für gut befinden und wie wünschenswerte Endzustände und Verhaltensweisen unserer Ansicht nach auszusehen haben. Wenn wir etwas positiv bewerten, dann führt dies dazu, dass wir diese Werte erreichen wollen, während negativ beurteilte Werte abgelehnt werden. Darüber hinaus fühlen wir uns gut und belohnt, wenn wir in Übereinstimmung mit unseren Werten handeln.41 Das verdeutlicht, wie sehr Werte die Auswahl und Beurteilung unserer Verhaltensweisen und der Verhaltensalternativen beeinflussen können. Sie bilden gewissermaßen die Identität einer Gesellschaft, weil sie das Handeln und auch das Denken der Gesellschaftsangehörigen systematisch regeln und lenken.42
Ob und inwiefern Werte die Beziehung des Menschen zu seiner natürlichen Umwelt beeinflussen, wird etwa in der Umweltpsychologie, der Sozialpsychologie oder auch in der Anthropologie und Philosophie seit mindestens drei Jahrzehnten umfassend untersucht und diskutiert. Als gemeinsames Ergebnis lässt sich ableiten, dass neben anderen Faktoren, wie Bildung oder Verhaltensanreizen, auch unsere Werte einen wichtigen Einflussfaktor auf unser Umwelt- und Sozialverhalten darstellen.
Werte sind vor allem für die Suche und das Verarbeiten von Informationen relevant, denn sie bestimmen, welche Informationen wir bevorzugen oder wie wir Erfolg und Nutzen bewerten. Sie wirken auch auf die Stetigkeit und Regelhaftigkeit unseres Verhaltens. Also zum Beispiel, wie lange oder mit welchem Engagement wir eine bestimmte Aktivität oder eine Sache verfolgen. Zu guter Letzt sind sie auch bei der Entscheidungsfindung ein wichtiger Faktor und beeinflussen etwa die Wahrscheinlichkeit, mit der wir umweltfreundliche Entscheidungen den anderen vorziehen.43
Stell dir als Beispiel eine Person vor, die seit zehn Jahren mit dem Auto zur Arbeit fährt. Neulich hat sie von den ständig steigenden CO2-Emissionen gehört und dass der Verkehr einen wesentlichen Beitrag dazu leistet. Jetzt steht diese Person vor der Entscheidung, ob sie weiterhin mit dem Auto zur Arbeit fahren oder auf Alternativen umsteigen soll. Laut dem US-amerikanischen Soziologen Talcott Parsons kommen bei dieser Entscheidung drei wesentliche Aspekte ins Spiel:44
Der kognitive Aspekt lässt uns mögliche Alternativen wahrnehmen, hier zum Beispiel den Bus, das Fahrrad oder die Mitfahrt bei einem Kollegen oder einer Kollegin, die in der Nähe wohnen.
Der kathektischec Aspekt erlaubt es uns, mögliche Alternativen im Hinblick auf individuelle Wünsche und Bedürfnisse abzuschätzen. In unserem Beispiel wären dies Fragen über passende Busintervalle, die Dauer der Busfahrt, die Geografie und Lage der Fahrradstrecke oder auch die Beziehung zum Arbeitskollegen bzw. zur Arbeitskollegin.
Mit dem evaluativen Aspekt werden die Alternativen schließlich aufgrund von Wertestandards abgewogen und beurteilt. So könnte sich die Person etwa gegen den Bus entscheiden, weil ihr der Wert Pünktlichkeit sehr wichtig ist und sie diesen Wert mit der Variante »Bus« womöglich nicht einhalten könnte. Sie könnte sich aber auch für den Bus entscheiden, weil ihr der Wert Sparsamkeit viel bedeutet und das Busticket günstiger kommt als der Treibstoff für das Auto. Die Person könnte sich für das Fahrrad entscheiden, wenn sie Aktivität schätzt und gern etwas für ihren Körper tut. Wenn ihr aber gutes Auftreten wichtig ist und sie vielleicht nicht verschwitzt zur Arbeit kommen will, dann ist das Fahrrad tabu. Ebenso wird sie die Mitfahrgelegenheit entsprechend ihrem Grad an Sympathie, ihrer Offenheit für Neues oder ihrem Sinn für Gemeinschaft beurteilen.
Natürlich könnte man nun argumentieren, dass dieser Entscheidungsprozess grundsätzlich davon abhängt, ob es überhaupt die besagten Alternativen wie Bus, Bahn oder sichere Fahrradwege gibt. Strukturelle Einschränkungen, wie etwa ein fehlendes öffentliches Verkehrsnetz, werden wahrscheinlich dazu führen, dass unsere Person ihr Auto verwendet, obwohl ihr der Klimaschutz eigentlich viel wert wäre. Nichtsdestotrotz spielen immer auch innere Parameter eine Rolle. Denn selbst in flachen Gegenden mit gutem Verkehrsnetz nehmen viele Leute nach wie vor das Auto – ein strukturelles Problem kann also ausgeschlossen werden.
Darüber hinaus müssen wir uns die provokante Frage stellen, ob nicht die strukturellen Einschränkungen an sich schon einen Spiegel unserer herrschenden Werte darstellen. Bringt denn nicht das Fehlen des öffentlichen Verkehrsnetzes die Prioritätensetzung der Politik und in weiterer Folge die Werte der Wählerschaft zum Ausdruck? Zeigen uns die schmalen und teils gefährlichen Fahrradstreifen auf unseren Straßen nicht auch, dass das kräftige Auto einfach höher bewertet wird als das gesunde, umweltfreundliche Fahrrad? Sind also äußere Beschränkungen nicht gleichzeitig auch wieder ein Hinweis für unsere inneren Wertehaltungen? Wir glauben schon!
Ein bisschen Forschung gefällig?
Egal wie man es auch drehen und wenden mag, unsere Werte wirken auf unsere Handlungen ein und sind somit mitverantwortlich für unser gesellschaftliches Verhalten. Eine spannende Studie dazu liefern Tom Crompton und seine Kollegen in ihrem Bericht »Common Cause – The Case for Working With Our Cultural Values« aus dem Jahr 2010.45 Darin erörtern sie den Zusammenhang zwischen gewissen Werthaltungen auf der einen und bestimmten Verhaltensweisen auf der anderen Seite. In Anlehnung an den weltweit anerkannten Wertekreis von Schwartz46 mit seinen zehn universellen Werten differenzieren sie unterschiedliche Kategorien. Auf der einen Achse finden wir selbsttranszendierende (über das eigene Ego hinausgehende) und selbstbezogene Werte, auf der anderen Achse wandlungsoffene