Das Osmanische Reich. Douglas Dozier Howard
Ishak Paşa fort. Zu ihm sagte er das Gleiche. Dann sagte der Herrscher zu Ishak Paşa: „Wisst Ihr, wer dieser Derwisch dort ist?“ Er antwortete: „Mein Sultan! Er ist einer der Adepten von Emir Sultan in Bursa.“
Als Murad in den Palast kam, sagte er: „Ich habe Kopfschmerzen.“ Er schrieb sein Testament nieder und machte Halil zum Regierungschef. Er machte seinen Sohn Sultan Mehmet zu seinem Erben. Drei Tage lag er darnieder. Am vierten Tag schickten sie nach seinem Sohn. a
aÜbersetzung: Michael Reinhard Heß nach Aşık Paşazade, Tevârîh-i Âl-i Osmân. Aşık Paşazade tarihi. Istanbul 1332 H [1913–1914]: Matba-i Amire, S. 139f.
Die gute Stadt
Binnen kurzer Zeit fanden die Sultane die nötigen Mittel für einen erneuten Angriff auf Konstantinopel. Die Währungsverschlechterung funktionierte wie gedacht, sobald ihre unglücklichen Opfer – die besoldete Armee und die Palastbediensteten – den Schlag verschmerzt hatten. Der entschlossene Vorstoß auf Konstantinopel begann in Murads letzten Lebensjahren. Erst unterwarf er die Morea, dann den ehrgeizigen Albaner Skanderbeg, und in der zweiten Schlacht auf dem Kosovo zerschmetterte er 1448 die Armeen Ungarns und der Südslawen. Verträge stellten sicher, dass Mehmed II. nach seinem Herrschaftsantritt aus dieser Richtung keine Störungen befürchten musste. Sogar Ibrahim von Karaman fügte sich.101
Chronogramme
In annalistischen Werken wurde die Jahreszahl manchmal in Form sogenannter Chronogramme angegeben. Ein Chronogramm ist ein Wort oder eine Wortgruppe, die das Datum mit Hilfe des Zahlenwertes kodiert, welchen die einzelnen Buchstaben der arabischen Schrift ausdrücken können. So konnten Schriftsteller das Datum eines Ereignisses in einem Vers verbergen. Chronogramme (tarih, wörtlich „Datum“) waren ein Mittel, um eine Beziehung zwischen Literatur und Mathematik, Kunst und Wissenschaften herzustellen.a
In einer osmanischen Chronik wird zum Beispiel mitgeteilt, dass Sultan Murad II. einen Feldzug über die Donau unternahm und im gleichen Jahr eine neue Brücke und Moschee weihte. Danach folgen vier Verse:
„Die Neue Moschee und die Ergene-Brück’
Sie beide erbauend mit vollem Glück
Nach Ungarn zog Sultan Murad hinüber,
Zum Datum dann sagte man ‚Menge‘ darüber“
Der numerische Wert der Buchstaben des osmanischen Worts hummar („Menge“) beträgt 841, was nach unserer Zeitrechnung dem Jahr 1437–38 entspricht. b
aWindfuhr, „Spelling the Mystery of Time“.
bÜbersetzung Michael Reinhard Heß nach V. L. Ménage: „The ʽAnnals of Murād IIʼ“, Bulletin of the School of Asian and African Studies 39 (1976), S. 577.
Am Bosporus nördlich von Konstantinopel errichtete Sultan Mehmed eine neue Festung, genau gegenüber jenem Fort, das rund 60 Jahre zuvor sein Urgroßvater Bayezid erbaut hatte, und mit dem gleichen Zweck. Nach Abschluss der Bauarbeiten begann im Herbst 1452 die Blockade von Konstantinopel und im darauf folgenden April die Belagerung der Landmauern der Stadt, die vom Goldenen Horn bis zum Marmarameer reichten. Am 29. Mai 1453 schossen die osmanischen Kanonen eine Bresche in die Mauern. Eine anonyme Chronik hielt das Datum in Gestalt eines Chronogramms fest und glich die Buchstaben des Ausdrucks „Gute Stadt“ (Belde-i Tayyibe) dem korrekten Jahr nach dem Hidschrakalender an – „wie einst verzeichnet wuude, ist die gute Stadt gefallen; jetzt hat dieses Zeichen seine Erfüllung gefunden, und dies ist das Bild: 857.“102
Gebannt stand Mehmed in den Ruinen der antiken Stadt. Er gab bei ihren christlichen Gelehrten und Würdenträgern eine Stadtgeschichte in Auftrag. Durch die Verknüpfung der antiken Geschichte mit volkstümlicher islamischer Mythologie half sie, unwillige Muslime mit der christlichen Vergangenheit der Stadt zu versöhnen. In der Hoffnung, ihre städtische Struktur schonen zu können, hatte der Sultan einen Gesandten mit der üblichen Aufforderung zur Kapitulation geschickt, deren Annahme eine Plünderung vermieden hätte. Doch blieb diese Gelegenheit ungenutzt103, und die osmanischen Truppen plünderten die Stadt. Andere Muslime widersetzten sich einem Verhandlungsfrieden, weil sie die Stadt lieber dem Erdboden gleichgemacht sehen wollten.104 Am Tag nachdem die Bresche geschlagen worden war, stoppte Mehmed die Plünderungen und beanspruchte das gesetzmäßige Fünftel, das dem Sultan zustand, nämlich „die Steine der Stadt, ihren Grundbesitz und das Zubehör“.
Die Kathedrale, die mächtige Hagia Sophia, wurde nicht zerstört. Wie die anonyme Chronik berichtet, war Mehmed sprachlos, als er die Kirche betrat. Dukas schreibt, der Sultan persönlich habe sein Schwert gegen einen Soldaten gezückt, der den Kirchenboden zu beschädigen wagte.105 Man schaffte die Ikonen weg und verdeckte die figürlichen Mosaike der unteren Ebene. Die anderen Fresken und Mosaike, darunter Ikonen der Apostel und Propheten, Marias und der Patriarchen, Szenen aus dem Leben Christi und das Bild des Christus Pantokrator in der Mitte der Kuppel, blieben auch nach der Eroberung über 150 Jahre intakt und frei sichtbar.106 Mit ähnlichem Respekt behandelte man andere in Moscheen umgewandelte Kirchen – die Chora-Kirche in Konstantinopel erhielt einen Mihrab, doch ihre Mosaiken mit dem Marienleben blieben unversehrt. (Dasselbe galt einige Jahre danach für die Kathedrale im Parthenon, die umgewandelt wurde, als Mehmed Athen eroberte.107) Unter Zusatz eines Minaretts aus Ziegeln bildete die Hagia Sophia auch weiterhin die Zierde der Stadtsilhouette. Konstantinopels uralte Kathedrale, die schon die osmanischen Architekten der Drei-Balkone-Moschee in Edirne herausgefordert hatte, wurde zur ausdrücklichen Inspiration nicht nur für die Moschee Mehmeds des Eroberers, sondern auch für andere künftige osmanische Königsmoscheen.108
Wiederaufbau
Mehmed II. trieb den städtischen Wiederaufbau und die Neuansiedlung in Istanbul voran. Die Stadtmauern wurden ausgebessert und eine Festung errichtet. Der Bau eines Palastes begann. Eine ganze Reihe öffentlicher Einrichtungen, darunter ein großer neuer überdachter Basar, Karawansereien und ein Bad, bildete den Kern eines renovierten osmanischen Stadtzentrums, das über Stiftungen finanziert wurde.109 Die Einkünfte aus dem überdachten Basar waren für den Unterhalt der renovierten Hagia Sophia bestimmt, die zur Königsmoschee wurde. Bei seiner Fertigstellung enthielt der Basar, der auf Anhieb eines der wichtigsten Handelszentren im westlichen Eurasien wurde, 122 Läden. Im Jahr 1472 lag die Anzahl der Geschäfte in und um den Basar bereits bei 265.110 An Platz war kein Mangel – der Holzschnitt von Konstantinopel in Hartmann Schedels Nürnberger Weltchronik von 1493 zeigt innerhalb der Stadtmauern ausgedehnte Felder mit Windmühlen. Brachland überließ Mehmed den Zuzüglern, die Steuervergünstigungen erhielten. Einige leerstehende Stadtpaläste und Kirchen wurden an Mehmeds Offiziere verschenkt. Frühere Einwohner lud man zur Rückkehr in die Stadt ein; denen, die sich versteckt hielten, wurde die Freiheit versprochen; Gefangene, die ihr eigenes Lösegeld zahlen konnten, durften bleiben. Während seiner gesamten Herrschaft garantierte Mehmed ein Rückkehrrecht für Menschen, die aus Konstantinopel geflohen oder verschleppt worden waren. Zusätzlich wurden manche von anderen Orten zwangsumgesiedelt, darunter Juden, christliche Griechen und Armenier sowie nicht wenige muslimische Türken.111 Dahinter stand neben wirtschaftlichen Motiven möglicherweise der Wunsch nach kosmopolitischer Vielfalt, wie sie einst für das mongolische Weltreich charakteristisch gewesen war.112
Abb. 2.3: Konstantinopel in der Schedelschen Weltchronik
Die Königsfamilie ging mit ihrem Privatbesitz mit gutem Beispiel voran. Sein Fünftel der griechischen Sklaven aus Konstantinopel siedelte Mehmed in Quartieren entlang des Hafens an, setzte sie für seine Bauvorhaben ein und zahlte Löhne, mit denen sie sich freikaufen und in der Stadt ansiedeln konnten. Die Eroberer-Moschee bildete den Mittelpunkt eines neuen Quartiers inmitten der Stadt, zusammen mit einem Bad, einer Bibliothek, einer großen Herberge und einer Elementarschule. Die Einweihung der acht Medresen in diesem Baukomplex verschaffte Konstantinopel 1471 schlagartig die geistig-kulturelle Führungsposition in