Gender - Sprache - Stereotype. Hilke Elsen

Gender - Sprache - Stereotype - Hilke Elsen


Скачать книгу
und der damit verbundenen Hilflosigkeit ein Zustand assoziiert wird, während die Rolle als Überlebende ein Ergebnis ist. Am Opferstatus wäre dann kaum etwas zu ändern, während Überlebende über Hilfsmaßnahmen erreicht werden. Im Vergleich zu Frauen schreiben Männer einer rape victim häufiger die Schuld zu. Einer Frau who has been raped oder einer rape survivor wird weniger oft die Verantwortung für die Vergewaltigung gegeben als einer rape victim. Bewusste oder unbewusste Schuldzuweisungen hängen also auch mit den Begriffen zusammen. Der verfehlte Ausdruck und die dazugehörenden Assoziationen können darüber hinaus den Heilungsprozess und die Unterstützung durch andere behindern (Hockett et al. 2014).

      Auf syntaktischer Ebene eignet sich das PassivPassiv (grammatische Kategorie) gut, um Täter unsichtbar zu machen. Dadurch rückt das Patiens in den Fokus der Leser/innen. Auffälligerweise verwenden einige Massenmedien überwiegend Passivstrukturen ohne Agensangabe, um über sexuelle Gewalt zu berichten (vgl. Kap. 11.4). Außerdem ist die Akzeptanz eines Verbrechens bei der Passivformulierung höher. Die Versprachlichung der Täter korreliert mit weniger Toleranz gegenüber dem Verbrechen (Parker/Mahlstedt 2010, Henley et al. 1995). Hier lässt sich also gut zeigen, wie sich über Sprache Blickwinkel verschieben lassen.

      Manche sprachlichen Einheiten und Strukturen weisen auf Machtlosigkeit hin. Oft lässt sich ein Tatbestand sprachlich so darstellen, dass bestimmte Verantwortlichkeiten verschleiert oder erst impliziert werden. Auch wenn im Satz „Frau in rotem Minirock nach Diskobesuch vergewaltigt“ die eigentlichen Fakten stimmen, bleibt das Opfer ohne Namen, was die Frau weniger wichtig erscheinen lässt. Der Minirock im Zusammenhang mit dem Diskobesuch impliziert eine Mitschuld („hätte sie sich vernünftig angezogen, wäre das nicht passiert“). Die Tat wird anonymisiert und bagatellisiert, im PassivPassiv (grammatische Kategorie) und ohne Agensangabe ist der Täter nicht präsent. In der Formulierung „In der Nacht zum Montag kam es zu einer Vergewaltigung“ wirkt die Tat abstrakt, weniger vorstellbar, ohne aktive Beteiligte oder Opfer und noch harmloser1. Die Formulierungen mögen journalistischem Kalkül oder fehlenden Informationen zum Tathergang eher geschuldet sein als gezielter Manipulation. Sie entfalten gleichwohl ihre Wirkung. Aufgrund von Häufungen derartiger Strategien bestätigen und verstärken sich Stereotype. Diese werden von den Sprachbenutzer/innen unbewusst weitergepflegt. Implikationen etablieren sich als Tatsachen. Vergewaltigungen erscheinen weniger schlimm und von den Opfern mitverschuldet. Dies ist nur ein Beispiel von vielen, wie sich Denken, Einstellungen und Meinungen mit der Zeit verändern lassen.

      Direkte Kommunikationssituationen bilden einen weiteren Bereich, in dem Beeinflussung anderer stattfindet. Ein dominanter, einflussnehmender Gesprächsstil zeichnet sich durch wenig HeckenausdrückeHeckenausdrücke, <i>hedges</i>, Zöger- und Verunsicherungssignale, Bestätigungsfragen, Pausenfüller und Intensivierungen aus. Der Machtlosigkeit ausstrahlende Stil hat davon viel (wirklich, irgendwie, glaub’ ich, nicht wahr?, äh, mmh, total), er wirkt unsicherer, höflicher. Ein dominanter Sprachstil wird zudem mit höherem StatusStatus in Verbindung gebracht und er ist trotz gleichem Inhalt bzw. Aussage überzeugender (Hosman 2015).

      Menschen mit Macht und bestimmte Formulierungsweisen nehmen Einfluss darauf, wie Diskurse strukturiert und geführt werden, nicht nur auf deren Inhalte.

      4.3 Sprachliche Diskriminierung

      Wenn Sprache sich auf das Denken auswirken kann, wird auch verständlich, warum es zu sprachlicher Diskriminierung kommt. Dies ist umso gefährlicher, als wir es nicht bemerken. Wenn ungerechte Sprache bzw. Verhalten häufig genug sind, gewöhnen wir uns daran und empfinden es als normal. Dann wird das sprachliche Handeln nicht mehr als falsch interpretiert und Diskriminierung ist unsichtbar geworden.

      „Discrimination, as distinct from prejudice and bigotry, is overt behavior that affects another individual or a group of individuals. Its enactment is therefore a fully social act“ (Ng 2007: 111). Hierfür ist Sprache eines der effektivsten MedienMedien. Die sprachliche Kodierung von Diskriminierung richtet sich gegen Frauen, Andersgläubige und -farbige oder alte Menschen, aber auch gegen ganze soziale Schichten. So ist die Gesetzessprache so verklausuliert, dass nur Jurist/innen sie verstehen, was ihnen einen Vorteil gegenüber den anderen verschafft. Wirklichkeiten und Zusammenhänge können über geschickte Formulierungen falsch dargestellt werden. Um hier Einfluss auf andere zu nehmen, geschieht das möglichst indirekt, indem man (?!) die anderen dazu bringt, das zu wollen, was man (?!) will, „language provides a rich repertoire of masking devices for reducing resistance and perceived conflicts of interest while enacting discrimination“ (Ng 2007: 112f.).

      Ng (2007) bespricht mehrere Aspekte sprachlicher Diskriminierung, u.a., dass Sprache als Sammelbecken kultureller Werte diskriminierende Stereotype kodiert, Diskriminierung umsetzt und zur Regel macht.

      Sprache wirkt auf das Denken und unsere Sicht auf die Welt. Dadurch konstruiert sie die Wirklichkeit mit. Sie stellt bestimmte Kategorien und Assoziationen her und lenkt durch andere unseren Blick darauf.

      So it appears that linguistic categories can influence people’s thinking by encouraging them to carry out comparisons that they wouldn’t have otherwise carried out (Boroditsky et al. 2003: 74).

      Maskuline Formen reproduzieren das Männliche als das Häufige und damit Normale. Als Selbstverständlichkeit im alltäglichen Diskurs nehmen wir diese Diskriminierung nicht mehr wahr. Sie gehört zu einem Teil des Lebens, über den wir nicht nachdenken. Eine Veränderung der Sprache kann aber zu einer veränderten Wahrnehmung führen.

      4.4 Zusammenfassung

      Sprachtheoretische Ansätze gehen entweder von keinerlei Beziehung zwischen Sprache, Denken und Wirklichkeit aus (UniversalismusUniversalismus), von der Möglichkeit einer gegenseitigen Beeinflussung (RelativismusRelativität, sprachliche, Relativismus, Sapir-Whorf-Hypothese) oder von der Abhängigkeit des Denkens von der Sprache (DeterminismusDeterminismus). Verschiedene Studien bestätigen lediglich die Auffassung des Relativismus.

      Sprachen wirken auf ihre Sprecher/innen ein und können dadurch das Denken beeinflussen und mithin das Handeln ebenfalls. Die jeweilige Wirklichkeit ist eine relative und abhängig von der Sprache und von der Kultur, die immer eine etwas spezifische Sicht der Welt hat und sie mit durch Sprache vermittelt. Die relativistische Sicht macht sprachliche, kulturelle und biologische Systeme durchlässig und öffnet sie für einander. Das erklärt, dass bewusst eingesetzte lexikalische und grammatische Strategien zum eigenen Nutzen verschweigen, verschleiern oder beschönigen können. Wortwahl und Formulierungen wirken darauf ein, wie Rezipient/innen über den entsprechenden Sachverhalt denken. Über den richtigen Sprachgebrauch kann so die Wahrnehmung beeinflusst werden. Vielfach nicht bewusst wird genderungerechte Sprache als normal empfunden, so dass Diskriminierung unsichtbar wird.

      4.5 Literatur

      Eine sehr ausführliche Darstellung des sprachlichen Relativitätsprinzips liefert Werlen (1989), konziser Werlen (2002).

      Verschiedene Zugänge und Möglichkeiten der Erforschung der Beziehung zwischen Sprache und Denken stellt Funke (2015) zusammen. Von Ives/Rana (2018) stammt ein aktueller Überblick über die Möglichkeiten von Machtausübung durch Sprache. Kusterle (2011) beschäftigt sich gezielt mit dem Zusammenhang von Denken, Sprache und Genderwahrnehmung.

      5. Gender und Sprachsystem

      5.1 Geschichte

      Sprachen haben unterschiedlich viele Genera. Das sind grammatische Klassen, nach denen sie Nomen einteilen. Anders als etwa Plural und Mehrzahl – der Plural beschreibt immer eine Mehrzahl des Bezeichneten – waren ursprünglich GenusGenus und Sexusbiologisches Geschlecht, Sexus getrennte Systeme. In der Geschichte des Deutschen ordneten aber einige Wissenschaftler (m.) den maskulinen Wörtern Eigenschaften der Männer zu. So wurden Genus und Sexus vermengt, wobei das Maskulinum als höherwertig galt, z.B. bei Jacob Grimm. Renaissance und Barock gebrauchten üblicherweise für Frauen und Männer noch je unterschiedliche Formen. Deswegen war klar, wer nun mit Sächsin, Wächterin, Schmidin, Doctrin bzw. Doctor etc. (Doleschal 2002: 43) gemeint war. Frauen traten dabei nicht nur als Ehefrau des jeweiligen Mannes auf, sondern übten die


Скачать книгу