Gender - Sprache - Stereotype. Hilke Elsen

Gender - Sprache - Stereotype - Hilke Elsen


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Schließlich werden die Vertreter/innen gendergerechter Sprache bzw. ihre Arbeiten als unwissenschaftlich kritisiert oder auch lächerlich gemacht. Diese Vorgehensweisen sind nach wie vor aktuell trotz beinahe 40 Jahre dauernder Versuche, auf einer sachlichen Ebene zu bleiben und Argumente durch Forschungsergebnisse zu untermauern. Nach wie vor wird behauptet, generische Maskulina seien geschlechtsneutralgeschlechtsneutral und GenusGenus und Sexusbiologisches Geschlecht, Sexus seien stets zu trennen. Einige meinen, kognitiveKognition, kognitiv Effekte seien zwar möglich, aber nicht wichtig, ein aktives Bemühen um gendergerechte Sprache sei daher unnötig oder gar unzumutbar. Noch weiter gehen polemische oder gar aggressive Kritik oder Spott (Mensch*_Innen). Hierzu sei auf die vielen Kommentare zu ernst gemeinten wissenschaftlichen Veröffentlichungen verwiesen, vorzugsweise im Internet, wo im Schutz der Anonymität mit emotionalen und oft auch beleidigenden Bewertungen wie Schwachsinn, Quatsch, Gender-Gaga, Sprachverstümmelung, Sprachklempnerinnen, totalitärer Irrsinn, unsinnig, abstrus, manipulativ nicht gespart wird, ohne gleichzeitig die Argumente und die Diskussion zur Kenntnis zu nehmen. Selbst in seriösen ZeitschriftenZeitschrift und ZeitungenZeitung sind immer wieder aggressive und unwissenschaftliche Kommentare zu lesen. Auch aktuell gibt es noch Diskussionen zwischen wissenschaftlichen und polemischen Gruppen, die immer wieder die längst entkräfteten Argumente bemühen. So will der Band von Meinunger/Baumann (2017) in einem gut gemeinten Versuch einen sachlichen und aktuellen Beitrag zur Debatte zusammenstellen, wiederholt aber alte, längst widerlegte Argumente oder Fehler und ist auch stilistisch keineswegs immer sachlich-neutral. Es ist die Rede von Ungeheuerlichkeiten, von Unsinnin, die es auf die Gipfelin treibt, von Genderei. Die Reihenfolge Bürgerinnen und Bürger wird als verkehrt herum bezeichnet, die Sapir-Whorf-HypotheseRelativität, sprachliche, Relativismus, Sapir-Whorf-Hypothese als sprachdeterminierend charakterisiert und nicht ernst genommen. Das generische Maskulinum sei Schicksal, reiche vollkommen aus und richte sich an alle Menschen. Gendergerechte Sprache sei ermüdend, unmöglich zu lesen.

      Als weiteres Beispiel sei Josef Bayer in der NZZ genannt mit Formulierungen wie „[u]nd da kommen jetzt auf einmal missionarisch getriebene Sprachklempnerinnen daher“1. Die Debatte ist mittlerweile von konservativen, rechts ausgerichteten Seiten auch politisch instrumentalisiert worden.

      5.6 Zusammenfassung

      GenusGenus und Sexusbiologisches Geschlecht, Sexus sind verschiedene Systeme, die grammatische vs. semantischeSemantik, -isch Informationen anzeigen. Sprachen nutzen unterschiedlich viele Genera, das Deutsche hat drei. Unabhängig davon markieren Sprachen das Geschlecht grammatisch, lexikalisch und sozial. Auf der grammatischen Ebene werden im Deutschen wie in vielen anderen Sprachen Maskulina auch neutral bzw. generisch verwendet und dann entsprechend generisches Maskulinumgenerisches Maskulinum genannt. Das war im Sprachsystem historisch nicht gegeben.

      Bei Menschen- und Tierbezeichnungen korrelieren Sexusbiologisches Geschlecht, Sexus und GenusGenus oft, so dass sich die Grenzen zwischen dem grammatischen und semantischen System verwischen und Genus immer mehr als semantische Information uminterpretiert wird. Die Sprachbenutzer/innen fassen daher Maskulina tatsächlich männlich auf, so dass die generische Funktion unklar und beliebig wird. Dies können viele psycholinguistischePsycholinguistik, -isch Verfahren belegen.

      Das generische Maskulinum wird u.a. deswegen kritisiert, weil es mehrdeutig ist, weil Frauen sprachlich nicht sichtbar werden, weil sie darum weniger Identifizierungsmöglichkeiten haben und weniger wahrgenommen werden. Darüber hinaus kommt es zu weiteren Ungleichbehandlungen von Frauen und Männern auf sprachlicher Ebene, die unterschwellige Botschaften zu Hierarchien und Klischees vermitteln. In den Debatten um mehr Gleichberechtigung stellten sich diese Aspekte als Kritikpunkte heraus: Solche sprachlichen AsymmetrienAsymmetrie bestimmen gesellschaftliche Asymmetrien wesentlich mit. Versuche, dies zu ändern, etwa mithilfe von alternativen Schreibweisen, die Frauen sichtbar machen oder die weitere Gendertypen berücksichtigen, stießen und stoßen nach wie vor auf erheblichen Widerstand.

      Viele der sprachlichen AsymmetrienAsymmetrie auf Wort- und Phraseologismenebene spiegeln längst überkommene Klischees wider. Einige Beispiele lassen sich historisch erklären, denn auch heute bildet unsere Sprache die früher männlich dominierte Wirklichkeit ab. Entsprechend ist es berechtigt, neue Realitäten auch sprachlich auszudrücken.

      5.7 Forschungsaufgaben

      In kleineren Forschungsarbeiten können emotionale, polemische Kommentare von Wissenschaftler/innen und Politiker/innen auf Methodik, Taktik und den Wahrheitsgehalt hin geprüft werden als Übung zu Manipulation, richtigem Argumentieren und wissenschaftlich korrektem Verhalten. Hier ist vor allem auf Falschaussagen und Verschweigen von Tatsachen zu achten. Haß-Zumkehr (2003) macht Vorschläge, wie sich anhand von Korpusanalysen Sprachwandelerscheinungen untersuchen lassen. Motschenbacher (2017) listet einige Fragestellungen und Analysevorschläge auf. Kleinere Studien können aktuelle Texte auf die Verwendung des generischen Maskulinums hin prüfen. Hier erscheinen auch bei unbelebten Subjekten mittlerweile öfter Femininformen, etwa die Firma Müller ist Auftraggeberin für die Baumaßnahmen, die Mafia gilt als Drahtzieherin hinter den Morden, die Universitätsbibliothek als Betreiberin, die Firma X als Partnerin. Es gibt bislang keine Untersuchungen, seit wann, in welchem Ausmaß, in welchen Textzusammenhängen und bezogen auf welche Begriffe dieser Typ Kongruenz auftritt. Ein Vergleich mit älteren Texten mit mehr maskulinen Formen könnte einen Sprachwandel zeigen. Ein anderer Aspekt bezieht sich auf belebte Bezugsnomen im grammatischen Neutrum, aber mit weiblicher SemantikSemantik, -isch, die vermehrt feminin aufgenommen werden, vgl. das Mädchen von nebenan ist der Gewinner/die Gewinnerin des Wettbewerbs.

      5.8 Literatur

      Diewald/Steinhauer (2017) bieten einen übersichtlichen und gut verständlichen Überblick über die sprachsystematischen Grundlagen. Zur Vertiefung eignen sich beispielsweise Samel (2000), Bußmann/Hellinger (2003), Kotthoff et al. (2018). Vor- und Nachteile der Möglichkeiten bespricht Henning (2016). Zur Geschichte des generischen Maskulinums vgl. Doleschal (2002), Irmen/Steiger (2005). Kurze Darstellungen der Situation zum Ende des letzten Jahrhunderts aus Sicht verschiedener deutschsprachiger Länder stammen von Doleschal (1998), Peyer/Wyss (1998), Schoenthal (1998), Trempelmann (1998). Diewald/Steinhauer (2017) diskutieren die verschiedenen Möglichkeiten gendergerechter Sprache und die damit verbundenen Probleme und bieten Formulierungshilfen. Argumentationshilfen bei Einwänden stellen auch Tanzberger/Schneider (2007) oder Schneider et al. (2011) zusammen. Zu sprachpolitischen Maßnahmen und Umsetzungen in Österreich vgl. Wetschanow/Doleschal (2013), in der Schweiz vgl. Elmiger et al. (2017). Zu Widerständen gegen Gleichstellungsarbeit und gendergerechte Sprache vgl. u.a. Hayn/Marx (2019), für Österreich Wetschanow/Doleschal (2013). Die textlinguistisch ausgerichtete Studie von Pettersson (2011) untersucht die konkrete Verwendung generischer Maskulina in Abhängigkeit von Textsorte, Ko- und KontextKontext.

      Die meisten Institutionen haben mittlerweile Leitfäden zu gendergerechter Sprache zusammengestellt, die Vorschläge, Formulierungs-, aber auch Argumentationshilfen und Verhaltensratschläge enthalten. Eine Sammlung findet sich z.B. unter http://www.forschungsnetzwerk.at/downloadpub/gender_budget__leitfaden_checklisten.pdf. Wetschanow (2017) gibt eine kritische Zusammenstellung. Harnisch (2016) macht auf Fehler aufmerksam (der Studierende statt der Student ist keine Verbesserung).

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